Yuja Wang begeistert die Zuschauer und Zuhörer im Wiener Konzerthaus

Yuja Wang Klavier
Frédéric Chopin, 24 Préludes op. 28
Johannes Brahms, Variationen und Fuge B-Dur über ein Thema von Georg Friedrich Händel op. 24
Alexander Skrjabin, Sonate Nr. 4 Fis-Dur op. 30
Franz Liszt, Gretchen am Spinnrade S 558/8 (Bearbeitung für Klavier nach Franz Schubert D 118)
Sergej Prokofjew, Toccata d-moll op. 11
Robert Schumann, Der Kontrabandiste op. 74/10 (Spanisches Liederspiel, Bearbeitung für Klavier von Carl Tausig)
Frédéric Chopin, Ballade Nr. 1 g-moll op. 23
Yuja Wang, Variationen über ein Thema aus Bizets „Carmen“
Wiener Konzerthaus, 6. April 2017

Von Antonia Tremmel-Scheinost

Es ist bereits ihr dritter Auftritt, doch an die spektakuläre Kleiderwahl einer Yuja Wang wird sich das Publikum des Wiener Konzerthauses wohl noch lange nicht gewöhnen. In turmhohen Stilettos und hautengem Glitzer-Ensemble ging die 30 Jahre alte Ausnahmekünstlerin am Donnerstagabend behände ans Werk, um ein äußerst gelungenes Recital zu bestreiten.

Der erste Teil des Abends gestaltete sich aus Frédéric Chopins 1839 publizierten 24 Préludes. „Chopins Werke sind unter Blumen eingesenkte Kanonen“, bemerkte schon Robert Schumann. Yuja Wangs hochemotionales Spiel – mal leise und perlend wie Champagner, mal laut und explosiv – hat dies effektvoll wieder in Erinnerung gerufen.

Die eingangs noch recht zaghafte Herangehensweise an dieses epochale Schaffenswerk ging spätestens ab dem etüdenartigen Prélude Nr. 8 fis-moll in beeindruckende spielerische Raffinesse über. Dank Wangs duftig-zartem Anschlag war es dem Zuhörer ein Leichtes, den berühmten, von Chopin und seiner Lebensgefährtin George Sand verbrachten „Winter auf Mallorca“ nachzuempfinden. Man konnte die Klosterzelle mit dem stark ramponierten Piano förmlich riechen! Wangs gekonnter Umgang mit der aphoristischen Knappheit mancher Préludes erinnerte stellenweise an den großen Alfred Cortot, meinen primus inter pares unter den Chopininterpreten.

Den interpretatorischen Höhepunkt stellte das Prélude Nr. 17 As-Dur dar. Wang wusste es kraft ihres bewundernswerten lyrischen Könnens als ein träumerisch rührendes „Lied ohne Worte“ zu inszenieren. Am Ende der ersten Konzerthälfte war auch Chopins architektonische Anlehnung an Johann Sebastian Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ deutlich erkennbar. Der Sohn einer Polin und eines Franzosen, in Warschau aufgewachsen und in Paris verstorben, setzte sämtliche Dur- und Molltonarten meisterhaft (im Quintenzirkel) ein – was will man mehr?

Während der Pause wechselte Wang, das ist ihr Markenzeichen, dann das Kleid: In einem grellen Hauch von Nichts betrat die in Peking geborene Chinesin zum zweiten Mal die Bühne. Ein Raunen ging durch das Publikum – viele Zuschauer zückten Handys und Tablets. Schlagartig war auch ein erstaunlicher Wandel in Anschlag und Dynamik zu verzeichnen, Wangs Spiel wurde zunehmend freimütiger.

Die Brahms-Variationen und Fuge über ein Thema von Händel befand der so selbstkritische, in Hamburg geborene Komponist für „viel besser als meine früheren Werke“. Diese 1861 entstandene einzigartige Synthese aus Barock und Hochromantik hat Händels 2. Sammlung der „Suites de pièces pour le clavecin“ zum Thema, und trotz der formalen Strenge hält sich das klassizistisch-traditionelle Werk auch im Vergleich mit Giganten wie den Diabelli-Variationen wacker.

Yuja Wang bot ihre Hommage an Händel mit ausgemachtem Witz und Humor dar, die stellenweise aufkommende Schleißigkeit verzieh der Hörer in Anbetracht der funkelnden, kraftvollen Interpretation gerne. Das recht kurze romantische Repertoire mit seiner gefühlvollen Expression stand der Pianistin sehr gut zu Gesicht.

Am schönsten war es dann gen Ende. Gleich einer Tigerin am Steinway-Flügel intonierte Wang einen wahren Zugabenreigen an hochkomplexer Klavierliteratur. Beginnend mit Alexander Nikolajewitsch Skrjabins entrückter Sonate Nr. 4 Fis-Dur wurde die Hörerschaft gleich von einer hypnotisierenden, elegant akzentuierten Auslegung in Bann gezogen.

Auf begeisterten Applaus folgte Franz Liszts „Gretchen am Spinnrade“, eine Bearbeitung für Klavier nach Franz Schubert. Diese leuchtende Deutung der Virtuosin ist bereits ein alter Bekannter im Zugabenrepertoire – sie lässt sich schon in Wangs Album „Fantasia“ (2012) ausmachen. Ihre Spielfreude erreichte den Gipfel, sobald die technischen Anforderungen nahezu unüberbrückbar waren.

Als dritte Zugabe prasselte Sergej Prokofjews Toccata in d-Moll drängend impulsiv durch den Saal. Ohne auch nur die geringste Spur von Müdigkeit zu zeigen, gab es als Draufgabe noch Robert Schumanns, von Carl Tausig für Klavier bearbeitetes, furioses Hexenwerk „Der Kontrabandiste“ – die Zuhörer durften sich an dieser Zugabe auch bei Wangs Recital 2014 erfreuen.

Die Krönung des Abends bildete eine schier transzendente Abschlussepisode bestehend aus Chopins Ballade Nr. 1 g-moll sowie Yuja Wangs und Vladimir Horowitz’ „Carmen“-Variationen. Die Zuhörer honorierten dieses große Spektakel mit Standing Ovations und ungestümem Jubel. Auch der Publikumsansturm während der anschließenden Signierstunde sprach für sich. Möge die famose Yuja Wang der Klassikwelt noch lange erhalten bleiben!

Am Sonntag, 16. April 2017, um 19.30 Uhr bringt Ö 1 einen Mitschnitt dieses betörenden Recitals in der Sendung „Aus dem Konzertsaal“ .

Antonia Tremmel-Scheinost, 7. April 2017
für klassik-begeistert.at

 

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Wiener Konzerthaus“

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