Yuja Wang, Klaus Mäkelä, Concertgebouw © Bjoern Woll
Allerdings schmälern Störungen seitens des unruhigen Publikums den Betriebsablauf. Ein großer Abend wird durch filmende Menschen massiv gestört. Es wird Zeit für klare Ansagen.
Dortmund, Konzerthaus, 26. September 2023
Maurice Ravel (1875-1937) – Klavierkonzerte D-Dur „für die linke Hand“ (1930) und G-Dur (1931)
Claude Debussy (1862-1918) – Prélude à l’après-midi d’un faune (1894) und La Mer (1905)
Yuja Wang, Klavier
Koninklijk Concertgebouworkest
Klaus Mäkelä, Dirigent
von Brian Cooper, Bonn
Ich glaube, es war ein herausragender Abend. Leider war mein 13. Konzert in der noch jungen Saison 2023/24 nur bedingt genießbar, weil zwei Reihen vor mir, in Reihe 13, drei Frauen – nein, nicht „Damen“ – immer wieder ihre Smartphones hochhielten, um kurze Ausschnitte des Konzerts zu filmen.
Und jetzt schlägt’s 13. Es wird Zeit für klare Ansagen. Vor jedem Konzert. Idealerweise nicht vom Band, sondern in Form von persönlichen Ansprachen von Vertreterinnen und Vertretern der jeweiligen Spielstätten. Wenn ein Intendant vor Konzertbeginn auf die Bühne käme, sein Publikum herzlich begrüßte und zugleich darum bäte, man möge das Smartphone jetzt aus- und erst zur Pause bzw. nach dem Konzert wieder einschalten: Was wäre daran so schlimm? Es helfen auch nicht irgendwelche Piktogramme, die kaum jemand zur Kenntnis nimmt.
Nur, weil man Geld bezahlt hat, und in Reihe 13 war’s an diesem Abend dreistellig, gibt das einem noch lange nicht das Recht, sich zu benehmen wie im eigenen Wohnzimmer. Wo man ja durchaus mal nebenher Musik hört, Dinge fallen lässt oder sich unterhält – und ja, auch das ist etwas, das viele Menschen tun, während auf der Bühne Weltklasse geboten wird. Sie tuscheln. Es nervt.
Das Amsterdamer Concertgebouworkest gab unter seinem artistiek partner und designierten Chef Klaus Mäkelä einen wunderbaren Abend im Konzerthaus Dortmund. Beide Klavierkonzerte von Maurice Ravel sowie die beiden bekanntesten Orchesterwerke Claude Debussys standen auf dem Programm.
Das Prélude à l’après-midi d’un faune verströmte von Anbeginn einen Klangzauber, der hier vor allem durch Emily Beynons Flöte und den wunderbar warmen Hornklang von Katy Woolley entstand. Die beiden Harfen, Alexei Ogrintchouks Oboe und die flirrenden Streicher taten das Übrige dazu. „Musik wie ein Augenblick“, steht im Programmheft, und das ist eine treffende Bezeichnung für das, was unter Mäkeläs Leitung entstand. Der Augenblick endete mit zwei ganz grandios präzisen pizzicati.
Es folgte Ravels Klavierkonzert für die linke Hand, ein Auftragswerk Paul Wittgensteins. Die Solistin hier war, wie im nach der Pause folgenden G-Dur-Konzert, Yuja Wang, die bereits zwischen 2009 und 2012 als „junge Wilde“ mehrfach im Konzerthaus gastierte. 2009 war es auch, als Claudio Abbado sie einlud, mit ihm und seinem Lucerne Festival Orchestra das dritte Klavierkonzert von Prokofjew zu spielen. Der DVD-Mitschnitt ist irre.
Im zuerst entstandenen der beiden Ravel-Konzerte, das nebulös beginnt, jedoch mit herrlich klar zu hörendem Kontrafagott, fiel es schwer zu glauben, dass da wirklich nur eine Hand der Pianistin im Spiel ist. Zupackend, mit einem beeindruckenden Klavierton, spielte sie den Solopart, von ihrem Lebensgefährten vollkommen tiefenentspannt begleitet. Mäkelä dirigierte fluid, elegant, die Tuttistellen klangen herrlich. Im marschartigen Teil gab Mäkelä lockere Einwürfe mit seiner rechten (!) Hand, etwa in Richtung der Celli, was sich unmittelbar auswirkte: Das Gesehene und das Gehörte verschmolzen zu einer Symbiose sinnlichen Konzertklangs.
Aufregend waren in diesem Werk auch die solistischen Passagen des Fagottisten Gustavo Núñez, die gedämpfte Posaune von Bart Claessens und die Dreierriege in den Trompeten.
Nach der Pause erklang das G-Dur-Konzert mit großer Spielfreude, angefangen mit der Piccoloflöte von Vincent Cortvrint. Yuja Wangs Lesart erinnerte mich an die junge Martha Argerich (es gibt auch hier übrigens eine Aufnahme mit Abbado). Und dachte man schon, dass die Harfenstelle – die vom hohen Horn begleiteten Flageoletts – zum Höhepunkt des Werks geraten würden, so hatte man noch nicht das Adagio gehört. Der Schluss des ersten Satzes, in dem Mäkelä noch einmal das Tempo anzog, geriet so gut, dass der Zwischenapplaus fast schon folgerichtig war.
„Jetzt kommt das Adagio“, tuschelte die Kennerstimme hinter mir. „Ach was“, hätte ich gern mit Loriot geantwortet, aber da spielte Yuja Wang bereits, und ich pflege nicht zu reden, während gespielt wird. Wie improvisiert klang das, vergeistigt, profund, mit einer unendlichen Palette an Klangfarben und dynamischen Abstufungen. Fantastisch, wie das Englischhorn von Miriam Pastor Burgos am Ende das Thema aufnahm.
„Den zweiten Satz habe ich noch nie so schön gehört“, so mein Begleiter später. Und der letzte hatte dann wieder so viel Power und Spritzigkeit, dass ich kurz wehmütig wurde, das nie mit La Martha gehört zu haben. Haarsträubend Diffiziles war unter Wangs Händen bestens aufgehoben.
Konnte das Konzert denn noch besser werden, nachdem das Publikum Frau Wang mit rhythmischem Applaus, wie ich das nur aus Frankreich kenne, bedacht und noch eine träumerische E-Dur-Zugabe geschenkt bekommen hatte? Jedenfalls habe ich La mer oft gehört, doch selten bis nie so gut wie an diesem Abend. Mäkelä ist offenbar – auch – mit der französischen Musik des frühen 20. Jahrhunderts bestens vertraut und dort absolut in seinem Element.
Während die drei in Reihe 13 wieder filmten, spielten die zwölf Cellisten, angeführt von Gregor Horsch, so, wie es sich ein Debussy vermutlich erträumt hat. Alle drei Teile des gesamten Stücks waren so mustergültig musiziert, dass einem ganz warm ums Herz geworden wäre, wären da nicht einzelne Menschen im Publikum gewesen, die mit Smartphones und krachendem Husten, Tabletteneinnahme kurz nach Beginn und dem Fallenlassen etlicher Gegenstände die impressionistisch-flirrende Stimmung entweiht hätten. Ungewöhnlich für Dortmund. Das war nämlich ein einziger Klangzauber, den wir da hörten, die Harfen wie Wind über den Wellen, das Meer lebte, wogte, rauschte.
Und dann noch Ravels Pavane als Zugabe. Fans dieser Musik haben hoffentlich mehr mitbekommen als ich, ohne sich über die Mitmenschen in ihrer näheren Umgebung zu ärgern. Das tat allerdings leider auch mein eigens aus Bayern angereister Freund.
„Sie haben mir den Abend vermiest“, sage ich denn auch. Immerhin entschuldigt sich eine der Frauen. Nicht alle sind schlechte Menschen. Vielen ist offenbar nicht bewusst, was sie mit ihrem Fehlverhalten anrichten. (Warum das so ist? Das ist hier nicht die Frage, wir brauchen nicht über schlechte Erziehung zu spekulieren.) Aber genau deshalb sollten Intendantinnen und Intendanten vor jedem Konzert ein paar warme Worte an ihr „verehrtes Publikum“ (so Franz Xaver Ohnesorg, der selbst auf Handyklingeln während seiner Ansprache nicht eingeht) richten.
Ach so, und Filmen ist übrigens illegal. Auch das sollte ein Grund sein, eine klare Ansage zu machen und das Personal während der Aufführung im Saal zu lassen und anzuhalten, diskret, aber bestimmt, Fehlverhalten im Publikum zu unterbinden.
Dr. Brian Cooper, 27. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
BSO Andris Nelsons, Dirigent, Jean-Yves Thibaudet, Klavier Konzerthaus Dortmund, 4. September 2023
Gautier Capuçon, Yuja Wang, Elbphilharmonie Hamburg, 8. Januar 2020
Wir waren aus Göttingen angereist, zum dritten Mal ins Konzerthaus Dortmund, und haben eine der eindrucksvollsten Aufführungen unseres Lebens gehört. Angeregt durch meine ehemalige Klavierschülerin, die seit langem in Oslo lebt und uns bei ihrem Besuch im Sommer eine neue „Sacre“-Aufnahme mit Mäkelä mitgebracht hatte, habe ich umgehend Tickets für das besprochene Konzert geordert. Ich kann den Ärger des Kritikers über die beschriebenen Unsitten im Publikum gut verstehen, auch wir haben u.a. viel Husten etc. gehört, aber die extreme Intensität des Konzerts hat das weit in den Hintergrund verschwinden lassen. Wir werden lange von diesem Konzerterlebnis zehren.
Rüdiger Hoffmann