Das WDR Sinfonieorchester zeigt sich in bestechender Form

Yulianna Avdeeva, Klavier, WDR Sinfonieorchester Köln, Manfred Honeck, Dirigent  Kölner Philharmonie, 15. Dezember 2023

Manfred Honeck © Felix Broede

Kurz vor Weihnachten dirigiert Manfred Honeck bekanntes wie abseitiges Repertoire. Und Yulianna Avdeeva begeistert mit Beethoven.

Erwin Schulhoff (1894-1942) – Fünf Stücke für Streichquartett (Bearb.: Manfred Honeck & Tomáš Ille)

Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58

Franz Schmidt (1874-1939) – Sinfonie Nr. 4 C-Dur

Yulianna Avdeeva, Klavier
WDR Sinfonieorchester Köln
Manfred Honeck, Dirigent

Kölner Philharmonie, 15. Dezember 2023

von Brian Cooper, Bonn

Freitagabend, Kölner Philharmonie, das WDR Sinfonieorchester (WDRSO) spielt, parallel wird das Konzert auf WDR 3 live übertragen, tags darauf wird es gar einen Livestream geben: für Interessierte; für Menschen, die nicht mehr ganz so mobil sind; und für all jene, die lieber zuhause als unter Menschen gute Musik hören. Live geht es schon seit Jahrzehnten so zu, und ich mag diese Freitagabendstimmung in Köln.
Am dritten Adventswochenende ist das Programm besonders spannend. Eine Mehrheit geht wohl wegen Beethoven hin (einige Plätze bleiben nach der Pause leer), eine Minderheit vielleicht wegen Schulhoff und Schmidt. Es wird für alle etwas geboten – für Neugierige sowie für jene, die Bewährtes schätzen. Heute, Kinder, wird’s was geben.

Gleich der zweite Satz im Programmheft lässt aufhorchen, ja, er hat sogar eine erschütternde Wirkung: „Der jüdische Komponist Erwin Schulhoff, 1894 in Prag geboren, wurde Opfer der Nationalsozialisten, denen [der 20 Jahre ältere Österreicher] Franz Schmidt seinerseits an seinem Lebensende huldigte.“ Die Frage, ob man Mensch und Werk trennen kann, soll hier unbeantwortet bleiben. Im Grunde ist sie auch gar nicht zu beantworten.

Erwin Schulhoffs geniale Fünf Stücke für Streichquartett erklangen in einer sehr hörenswerten Orchesterbearbeitung, die der Dirigent des Abends, Manfred Honeck, gemeinsam mit dem klassischen Gitarristen (!) Tomáš Ille vornahm. Sind die Stücke schon in ihrer ursprünglichen Form dicht und zugleich transparent, kommen in der groß besetzten Orchesterversion, die hier mit Witz und großer Spielfreude dargeboten wurde, neue und spannende Klangfarben zum Vorschein. Es sind kurze Miniaturen, die ihren Ursprung in der Tanzmusik haben, die Schulhoff sehr liebte, und das Tänzerische war es auch, das Honeck und das WDRSO großartig hervorhoben. Besonders sinnlich war der vierte Tanz, ein Tango, mit schönen solistischen Leistungen.

Yulianna Avdeeva © Sammy Hart, Wr. Konzerthaus

Vor der Pause erklang Beethovens viertes Klavierkonzert. So schön dieses Stück auch ist, es gibt so viele seltener gespielte Klavierkonzerte, dass ich glaube, die Wenigsten hätten etwas dagegen, wenn die fünf Klavierkonzerte des Bonner Meisters etwas seltener gespielt würden – denn das wäre immer noch oft und würde noch immer dem Rang dieser Kompositionen mehr als gerecht.

Aber diese Interpretation war allemal hörenswert! Die Solistin des Abends, Yulianna Avdeeva, gewann 2010 den 16. Chopin-Wettbewerb und gastierte nun zum ersten Mal mit dem WDRSO. Zart, in sich gekehrt, begann sie das Konzert, und die sanfte G-Dur-Stimmung füllte auch dank einem gut geleiteten und aufmerksam aufspielenden WDRSO den Saal. Das erste Tutti des Orchesters war voller Herzblut, und Avdeevas Hände, stets sehr dicht an der Tastatur, malten förmlich Linien, die immer zu einem Ziel führten. Die Kadenz gelang so eindrucksvoll, dass die Huster völlig das Husten vergaßen. Überhaupt gab es an diesem Abend einige bewegende und besondere Momente der Stille.

Aufmerksam führte Honeck das Orchester durch die Partitur, man hörte stets gut aufeinander. Groß gelang auch der melancholische e-Moll-Mittelsatz, denn das durchaus forsche forte im Orchester kontrastierte Avdeeva brillant mit einem umso leiseren und zurückgezogenen piano, und peu à peu wurde das Orchester im Laufe des Satzes ebenso leise, bevor es attacca in den letzten Satz ging, in dem vor allem Witz, Geist – Esprit – und Humor dominierten und zu einem regelrechten Wirbelwind führten. Großes Lob an die beiden Hörner.

Die Solistin belohnte ihr Publikum mit einer beeindruckend vorgetragenen gigue, dem letzten Satz aus Bachs B-Dur-Partita BWV 825. Ein Fest der Fingertechnik, eine Lehrstunde im besten Sinne!

Die vierte Sinfonie des Spätromantikers Franz Schmidt, ein Werk von etwa einer Dreiviertelstunde Dauer, komponierte er als Requiem für seine Tochter, die im Wochenbett bei der Geburt seiner Enkelin verstarb. Den Schicksalsschlag vom Tod einer Tochter teilt Schmidt mit Gustav Mahler, dessen Sinfonien er übrigens nicht besonders schätzte. „Ich weiß nicht, ob sie mein stärkstes Werk ist, aber das wahrste und innerlichste ist es auf jeden Fall“, so Schmidt an den Widmungsträger, den Dirigenten Oswald Kabasta, der 1933 (!) die Uraufführung der Vierten dirigierte.

Die vier Sätze der Vierten, die als seine stärkste Sinfonie gilt, gehen nahtlos ineinander über. Das eingangs gespielte Trompetensolo gelang Martin Griebl vorzüglich, nachdenklich, geradezu jenseitig. Es erinnert ein wenig – ebenso wie das Drängende, Pochende (Pauke, pizzicati in den Celli) – an Nino Rotas Thema aus Der Pate. Man fragt sich, ob Rota Schmidts Werk kannte. Der Trauermarsch, in der klugen Einführung von Otto Hagedorn völlig zu Recht als „emotionales Zentrum“ bezeichnet, bestach durch eine sehr eindrucksvoll vorgetragene Celloklage (Solo: Ulrich Witteler). Das Scherzo, eine tänzerische Fuge, wurde leichtfüßig dargeboten. Und der Finalsatz, wieder vom Solo des Beginns eingeleitet, und diesmal von weiteren gut aufgelegten Blechbläsern ergänzt, bevor die Trompete das Werk in Stille beendete (auch hier ein Dank an das Publikum fürs Verharren!), weckte Assoziationen an die Tragik und Schrecklichkeit des Todes eines geliebten Menschen. Schmidts Vierte ist ein wunderbar spätromantisches sinfonisches Requiem. Nicht einfach beim ersten Hören, zuweilen im besten Sinne verwirrend. „Das möchte ich von einem schlechten Orchester aber nicht hören!“, so mein Begleiter, und er hat Recht: Das WDRSO ist in bestechender Form, und Manfred Honeck ein charismatischer Gastdirigent mit sympathischer Ausstrahlung.

Falls Sie das freitägliche Konzert an Ihrem „Empfängnisgerät“ (Jochen Malmsheimer) verpasst haben sollten: Das Konzert vom 16. Dezember ist 30 Tage lang im WDR 3 Konzertplayer verfügbar. Es lohnt sich. Und falls Sie sich in der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker herumtreiben: Dort gibt es Schmidts Zweite unter Fabio Luisi sowie die Vierte unter Chefdirigent Kirill Petrenko.

Dr. Brian Cooper, 16. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Klassik mal anders: Zauberklänge, WDR Sinfonieorchester, Martijn Dendievel, Dirigent Kölner Philharmonie, 7. Dezember 2023

Nuron Mukumi (Klavier), Staatliches Sinfonieorchester Litauen Kölner Philharmonie, 3. Dezember 2023

Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 5 in B-Dur, WDR Sinfonieorchester, Marek Janowski Kölner Philharmonie, 24. November 2023

NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER / MATTHIAS BRANDT / MANFRED HONECK Elbphilharmonie, 5. März 2023

Ein Gedanke zu „Yulianna Avdeeva, Klavier, WDR Sinfonieorchester Köln, Manfred Honeck, Dirigent
Kölner Philharmonie, 15. Dezember 2023“

  1. Ich habe schon fast geahnt, dass dieses Konzert eine gute Leistung werden wird. Manfred Honeck hat mich bisher auch immer schwer überzeugt, wenn er dieses Orchester geleitet hat.
    Schön auch zu sehen, dass die Trompeten des WDRSO weiterhin ihr hohes Niveau halten können. Die haben sich inzwischen zu einem Highlight dieses Orchesters entwickelt.

    Liebe Grüße und danke für den tollen Bericht,
    Daniel

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