Unkonventionelles Konzert der Staatskapelle Halle verbreitet heitere Laune ohne Schwitzen und Mühe

3. Sinfoniekonzert, Staatskapelle Halle, Christopher Ward (musikalische Leitung), Mirijam Contzen (Violine),  Händel-Halle Halle (Saale), 28. November 2021

Händel-Halle, Halle (Saale), 28. November 2021

Foto: Staatskapelle Halle mit Christopher Ward (c) Guido Müller

Staatskapelle Halle
Christopher Ward (musikalische Leitung)
Mirijam Contzen (Violine)

von Dr. Guido Müller

Ist ein Sinfoniekonzert im Jahr  2021 mit relativ unbekannten Werken von zwei Komponistinnen „unkonventionell“? Die Frage möge sich jeder Hörer selbst beantworten. Die beiden sinfonischen Werke aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an sich und die klassische Programmfolge kurzes sinfonisches Werk, Solistenkonzert und Sinfonie  sind es auf jeden Fall nicht. Und auch ein Programmheft kann die Frage nach dem für das dritte Sinfoniekonzert der Staatskapelle Halle gewählten Titel nicht beantworten, denn es lag schlicht keins vor. Folge des um sich greifenden und durch die Störungen der Lieferketten in Corona-Zeiten bedingten Papiermangels?Die einleitende C-Dur-Ouvertüre von Fanny Hensel, begabte Schwester von Felix Mendelssohn-Bartholdy – dessen berühmtes Konzert in e-moll für Violine und Orchester op. 64 MWV O 14 im Konzert folgt – führt mit heiterer Laune den leitenden roten Faden des Konzerts ein. Melodiöser Reichtum, ein romantischer und ein festlich-beschwingter Grundton bestimmen das Werk.

Mirijam Contzen (c) Universität der Künste Berlin

Die deutsch-japanische Geigerin Mirijam Contzen spielt anschließend sowohl markant wie, wenn erforderlich, mit zarten Kantilenen Mendelssohns Violinkonzert. Sie wird von der internationalen Musikwelt der bedeutenden Orchester, Dirigenten und Instrumentalisten als Solistin, Kammermusikerin, Festivalleiterin und Professorin im Fach Violine hoch geschätzt.

Staatskapelle Halle mit Mirijam Contzen (c) Guido Müller

Ihr Zusammenspiel mit der ausgeruht und konzentriert musizierenden Staatskapelle Halle ist filigran, mit der erforderlichen Dramatik und Transparenz und perfekt ausgewogen. Dafür sorgt in der musikalischen Leitung der sehr erfahrene und souveräne 41-jährige britische Dirigent Christopher Ward, Generalmusikdirektor am Theater Aachen.

Ward machte seit 2005 Karriere an verschiedenen deutschen Musiktheatern wie am Staatstheater Kassel, der Bayerischen Staatsoper und am Saarländischen Staatstheater. Er gastierte bei zahlreichen deutschen Opernhäusern und bei namhaften Orchestern in Deutschland und im benachbarten Ausland.

Nie deckt unter seiner Leitung das Orchester die Solistin zu – auch nicht in den dramatischen Momenten. Besonders berühren dabei die delikat spielenden Holzbläser und die Gruppe der Bratschen.

In der Solo-Kadenz des ersten Satzes erinnert das Spiel der historisch gut informiert spielenden Violinistin an die Violinpartiten des von Mendelssohn so hoch geschätzten Johann Sebastian Bach. Dies wirkt wie eine romantische ferne Erinnerung an den großen Thomaskantor in Leipzig, der Stadt, in der Mendelssohn in wichtigsten Jahren seines Lebens u.a. als Gewandhauskapellmeister  wirkte und komponierte.

Das Hauptwerk des Abends ist die etwa 35 Minuten dauernde Fünfte Sinfonie in f-Moll von der 1812 in Mecklenburg geborenen Komponistin Emilie Mayer. Ihre Biographie verdient zunächst etwas Aufmerksamkeit.

Mitte des 19. Jahrhunderts war Emilie Mayer in Europa eine berühmte und anerkannte Komponistin. 1840 war ihr Vater gestorben. Sie studierte nun bei Carl Löwe in Stettin und dann in Berlin Musik. Dank des Vermögens ihres Vaters konnte Emilie Mayer ein Leben als „Berufskomponistin“ führen –  wie sie sich selbst stolz nannte. Ihre Sinfonien wurden in ganz Europa aufgeführt. Doch eine Generation später war sie bereits vergessen. Seit 2012, ihrem 100. Geburtstag, findet sie auch in Konzerten und durch Editionen wieder die verdiente Aufmerksamkeit als Komponistin.

Zunächst wurde Emilie Mayer geprägt von der Wiener Klassik – besonders von Ludwig van Beethoven. Sie wagt es dann mit ihrer Fünften Symphonie in den direkten Vergleich zum Wiener Meister aus Bonn zu treten. Zugleich ist Mayers Fünfte allerdings schon stark von einem eigenständigen romantischen Stil geprägt.

Emilie Mayer komponierte acht Sinfonien, ein Klavierkonzert, mindestens fünfzehn Ouvertüren, eine Oper, etliche Lieder, acht Violinsonaten, ein Dutzend Cellosonaten, sieben Klaviertrios, zwei Klavierquartette, sieben Streichquartette, zwei Streichquintette, zahlreiche Klavierstücke.

Emilie Mayer hatte einen besonderen Sinn für Melodik und Dynamik. Dabei wechselte sie durchaus innovativ ständig zwischen zarten Kantilenen, leidenschaftlichen Ausbrüchen und monumentalen Klängen. Das erinnert nicht nur an Mendelssohn-Bartholdy sondern  oft auch schon zukunftsweisend an die späteren Komponistenkollegen Johannes Brahms und Antonin Dvoràk.

Zeitgenossen nannten Emilie Mayer den „weiblichen Beethoven“. Trotzdem musste sie als unverheiratete Frau zeit ihres Lebens dafür kämpfen, dass ihre Werke öffentlich gespielt und gedruckt wurden. Nach und nach wurde ihre Musik in vielen Städten aufgeführt, darunter Dessau, Halle, München, Leipzig, Wien und Brüssel. Sie starb 1883 mit 71 Jahren und geriet, zusammen mit ihrer Musik, in Vergessenheit.

Emilie Mayers Fünfte Symphonie zeigt Originalität, Experimentierfreude und Unabhängigkeit. 1850 lobte die ‚Neue Zeitschrift für Musik‘ ihre „zuweilen an Beethoven erinnernde, doch deshalb keineswegs unselbstständige Erfindung“. Ihre Fünfte Sinfonie in f-Moll spiegelt einerseits kompositorischen Zeitgeist und ist dennoch andererseits  von unverwechselbar eigener Identität geprägt.

Ein weiterer Höhepunkt im Sinfoniekonzert in Halle ist das mit den tiefen Streichern vor allem der Celli und Bratschen prägnant und tonschön intonierte Adagio, das sofort originell und melodiös ins Ohr geht. Und dann wird es nach und nach durch das ganze Orchester dramatisch erweitert. Die ersten Geigen und Hörner fallen dabei besonders positiv auf. Das weich und warm Strömende nicht nur in diesem zweiten Satz sondern auch bei dramatischen Steigerungen scheint Mayers besonderes Markenzeichen zu sein.

Auch diese Sinfonie von Emilie Mayer dirigiert Christopher Ward mit der notwendigen zarten Delikatesse, mit großem Sinn für Ausgewogenheit und mit höchster Konzentration für den Aufbau dramatischer Steigerungen. Er hat einen Dirigierstil als eine ohne großes Aufsehen als Pultlöwe erregende, fein ziselierende und zu musikalischer Perfektion anstiftende Autorität am Pult. Damit passt Ward perfekt zu den Werken des Konzerts, die in einer musikalischen Welt zwischen Klassik und Romantik heitere Laune ohne Schwitzen und Mühen verbreiten. Leider war das Konzert, das sehr viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, nur sehr schwach besucht.

Dr. Guido Müller, 2. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Martin Reik, mondëna quartet, Cole-Porter Konzert, Neues Theater, Grosser Saal, Halle, 27. November 2021

Paul Abraham, „Viktoria und ihr Husar“, Oper Halle, 21. November 2021

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