Spielzeitpräsentation der bayerischen Staatsoper für das Jahr 2022/23

Pressekonferenz, Spielzeit 2022/23,  Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream, 05. Mai 2022

Foto: Bayerische Staatsoper © Felix Löchner

Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream, 05. Mai 2022

Pressekonferenz mit Serge Dorny, Vladimir Jurowski und Laurent Hilaire im Beisein des Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst, Markus Blume

von Frank Heublein

Eine Personalie ist das erste Highlight der Pressekonferenz. Laurent Hilaire wird von Staatsminister Blume als neuer Ballettdirektor des Bayerischen Staatsballets vorgestellt. Er arbeitete nach seiner Tänzerkarriere lange als Ballettmeister. Von 2017 bis 2022 war er künstlerischer Direktor des Stanislawski-Balletts. Dieses wurde 2018 für das beste klassische und 2019 für das beste zeitgenössische Ballett des Jahres in Russland mit der »Goldenen Maske« ausgezeichnet. Im Februar 2022 trat Laurent Hilaire als künstlerischer Direktor des Ensembles zurück.

Das Motiv, das das künstlerische Führungsteam leitet, lautet diese Spielzeit „Gesänge von Krieg und Liebe“. Brennend aktuell. Die Opernpremieren stehen in einer – wie Vladimir Jurowski betont – akuten Resonanz zu unserer Gegenwart, Zeiten von Umbruch und Krieg. Die Situation des Wartens ist ein weiterer thematischer roter Faden der Saison 2022/23.

Generalmusikdirektor (GMD) Vladimir Jurowski dirigiert erstmals Mozarts Così fan tutte, Prokofjews monumentales Krieg und Frieden, und den zeitgenössischen Hamlet von Brad Dean. Man sieht es ihm an, es gefällt ihm: damit durchschreitet er die Bandbreite der Operngeschichte.

Bei Così fan tutte wird der Australier Benedict Andrews sein Regiedebüt an der Bayerischen Staatsoper geben. Mit einem jungen Gesangsensemble möchte Jurowski die historisch informierte Aufführungspraxis mit einer zeitgenössisch angemessenen Dramatik verbinden. Das Haus beginnt damit invers mit der letzten der drei gemeinsamen Da Ponte-Mozart Arbeiten den Zyklus, der in den folgenden Spielzeiten mit jeweils unterschiedlichen Besetzungen fortgesetzt wird.

Krieg und Frieden von Sergei Prokofjew auf Basis von Tolstois Roman wird inszeniert von Dmitri Tcherniakov. Jurowski bereitet mich auf einen langen „Abend“ vor. Drei Pausen, Beginn um 16 Uhr, das hat Wagnersche Dimension. Vielleicht ist das der Motivationsschub, den ich gesucht habe, den Roman in die Hand zu nehmen.

Jurowskis letzte Premiere, die er dirigiert, ist für ihn eine „Wiederaufnahme“. Hamlet von Brett Dean ist eine Auftragsproduktion des Glyndebourne Festival. Jurowski selbst gab dem Komponisten als musikalischer Direktor des Festivals 2013 den Auftrag dazu. 2017 kehrte er nach Glyndebourne zurück für die Uraufführung. Diese Inszenierung vom Australier Neil Armfield wird auf die Bühne des Münchner Nationaltheaters gebracht. Für Jurowski ist die Oper ein Meisterwerk der zeitgenössischen Oper.

François-Xavier Roth debütiert als Operndirigent an der Bayerischen Staatsoper mit Lohengrin. Für die Inszenierung sorgt Kornél Mundruczó aus Ungarn. Bisher konnte man den Franzosen am Pult „nur“ bei Konzerten im Haus erleben.

Henry Purcells Dido and Aeneas und Arnold Schönbergs Erwartung werden in Kombination als Premiere das Licht des Nationaltheaters erblicken. In beiden Stücken sind die Hauptpersonen Frauen im Zustand des Wartens. Regisseur wird der in der Bayerischen Staatsoper bekannte Krzysztof Warlikowski sein. Am Pult wird Andrew Manze sein Hausdebüt geben. Herausfordernd wird der Abend für Sopranistin Aušrinė Stundytė, die die Hauptrollen in beiden, musikalisch völlig unterschiedlichen, Stücken singt. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis der aus meiner Sicht erforderlichen verschiedenen stimmlichen Ansätze.

Giuseppe Verdis Aida wird Daniele Rustioni, erster Gastdirigent der Bayerischen Staatsoper, musikalisch leiten. Damiano Michieletto inszeniert erstmals am Haus. Die zweite Festpielpremiere neben Hamlet wird Semele von Georg Friedrich Händel sein. Claus Guth führt Regie. Stefano Montanari dirigiert.

Der in der aktuellen Spielzeit eingeführte Schwerpunkt zu den Opernfestspielen, 2022 Richard Strauss gewidmet, wird 2023 auf Giuseppe Verdi und Richard Wagner gelegt.

Die beiden neu eingeführten Festivals werden fortgeführt. „Ja, Mai“ dreht sich um den Themenkomplex der Erwartung. Es werden die beiden Kompositionen Hanjo und Matsukaze des in Berlin lebenden Japaners Toshio Hosokawa aufgeführt. Hanjo soll Musiktheater, Tanz und bildende Kunst zusammenführen. Folgerichtig wird Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui Hanjo inszenieren. Lotte van den Berg wird bei Matsukaze Regie führen.

Den beiden Stücken Hosokawas wird die Opernstudio Premiere beigestellt. Il Ritorno / Das Jahr des magischen Denkens wird bewusst als Musiktheater bezeichnet. Die Produktion kombiniert Claudio Monteverdis dramma in musica Il ritorno d’Ulisse in patria (Die Rückkehr des Odysseus ins Heimatland) mit einem Sachbuch der 2021 verstorbenen US-amerikanischen Schriftstellerin Joan Didion. In ihrem 2005 erschienenen Sachbuch, einem schriftlich aufgezeichneten Trauerprotokoll, ringt Didion mit dem plötzlichen Tod ihres Mannes, ihrem Umgang damit und dem Weiterleben. Der Regisseur Christopher Rüping inszeniert. Kein Unbekannter in München: er verantwortete kurz vor Corona das zehnstündige monumentale Theaterstück Dionysos Stadt an den Kammerspielen. Meine beiden Versuche, das Stück zu sehen, scheiterten an der Pandemie. Der britische Dirigent Christopher Moulds leitet das Musiktheaterprojekt.

Das zum Spielzeitbeginn gesetzte September Fest gibt wie schon diese Spielzeit einen kostengünstigen – Karten zu 25 € – Einblick in die breite Mannigfaltigkeit des künstlerischen Angebots inklusive eines von Serge Dorny angeregten besonderen Highlights. Es ist die Premiere des Films „Orpheus in Love“. Gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsorchester, Sängern und Sängerinnen des Hauses und Gästen setzt Regisseur Axel Ranisch eine bild- und musikgewaltige Geschichte über Kunst und Liebe, Vertrauen und den Umgang mit den eigenen Dämonen in Szene.

Entsprechend dem Verständnis als Kunsthaus, das für ganz Bayern steht, startet die Bayerische Staatsoper die Spielzeit am 16. September 2022 in Rosenheim mit einem kostenfreien „Oper für alle“ Abend.

Bei den Sängerinnen und Sängern, die für die Premieren nach München kommen, sind mir vertraute Namen wie Gerhaher, Vogt, Petersen und Kampe dabei. Angesichts der gewählten Premieren werden auch einige mir unbekannte Solisten und Solistinnen auf der Bühne stehen. Die künstlerische Leitung fördert Debüts im eigenen Haus an allen künstlerischen Stellen. Für mich erhöht das die Spannung und Entdeckerfreude.

Ein weiterer Meilenstein, der sich über die kommende Spielzeit hinauszieht, ist das Jubiläum des Bayerischen Staatsopernorchesters.
500 Jahre wird es 2023. Hinein gefeiert wird am 08. Januar 2023 mit einem Konzerttag samt Staatsempfang. Die Feier erstreckt sich über das gesamte Jahr 2023, also in die übernächste Spielzeit hinein. Laut Jurowski hat das Orchester Lust auf mehr Konzerte. Er kündigt eine Europatournee des Bayerischen Staatsopernorchesters in der Spielzeit 2023/24 an. In der kommenden Spielzeit soll in allen sechs Akademiekonzerten auch je eine Uraufführung zu Ohren kommen. Der Brahms Zyklus nimmt Gestalt an. Die Bayerische Staatsoper bietet damit auch orchestral ein umfangreiches reichhaltiges und buntes Programm.

Der ab Montag neue Ballettdirektor Laurent Hilaire betrachtet die beiden Seiten des Balletts, klassisch und zeitgenössisch, als komplementär. Elf Choreografien stehen auf dem Spielplan der kommenden Spielzeit, davon sind drei Premieren. Im Dezember wird Hauschoreograph Alexei Ratmansky die Tschaikowski-Ouvertüren als erste Premiere verantworten.

Die zweite „Schmetterling“ genannte Premiere eröffnet Ende März 2023 die Ballettfestwoche 2023.  Der zweiteilige Ballettabend umfasst die Stücke Silent Screen und Schmetterling. Das Choreographen-Duo Sol León und Paul Lightfoot will in den beiden Werken herausarbeiten, wie sich die menschliche Existenz zwischen Lebenslust und Todesbewusstsein entfaltet. Wie gewohnt wird bei den Festspielen der „Heute ist morgen“ Abend Premiere feiern.

Intendant Serge Dorny betont, dass die bayerische Staatsoper an ihre Zukunft und zukünftiges Publikum denkt. So involviert sich das ganze Haus etwa in die Arbeit mit Geflüchteten oder in Projekten mit und an den Schulen. Die Lust an den im Haus präsentierten Kunstformen soll vielschichtig und breit in die Gesellschaft hineingetragen werden.

Im Vergleich zur aktuellen Spielzeit wird in den Opernpremieren weniger Musik ab dem 20. Jahrhundert zu hören sein. Doch bleibt die künstlerische Leitung ihrer Linie treu, viel Unbekanntes oder eher selten Gespieltes auf die Bühne zu heben. Die dreiteilige künstlerische Leitung zeigt eine offensichtliche Leidenschaft zum einen für Entdeckungen, zum anderen für die Dringlichkeit der künstlerischen Bezugnahme auf das aktuelle gesellschaftlich-politische Umfeld. Ihre zweite Spielzeit ist ein starker Ausdruck dieser Leidenschaft.

Frank Heublein, 05. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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