Der Schmerz des Virtuellen... Jonas Kaufmann: „Musik ohne Publikum ist nicht dasselbe für mich“

4. Montagskonzert mit Jonas Kaufmann, Helmut Deutsch,  Bayerische Staatsoper

Das 4. Montagskonzert der Bayerischen Staatsoper live als Stream am 27. April 2020

Foto © Gregor Hohenberg Sony Classical, Jonas Kaufmann

Georg Friedrich Händel
Aria ‚Piangerò la sorte mia‘ aus Julio Cesare in Egitto
Elsa Benoit, Sopran
Donald Wages, Klavier
In Memoriam Sir Peter Jonas

Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierquartett Es-Dur KV 493
Bayerisches Staatsorchester
Münchner Klaviertrio
Michael Arlt, Violine
Gerhard Zank, Violoncello
Donald Sulzen, Klavier
mit
Tilo Widenmeyer, Viola

Robert Schumann
Dichterliebe op. 48 aus Heinrich Heines Buch der Lieder
Jonas Kaufmann, Tenor
Helmut Deutsch, Klavier

von Frank Heublein

Jonas Kaufmann wendet sich nach seiner Interpretation des Liedzyklus Dichterliebe von Robert Schumann an das virtuelle Publikum und spricht mir spiegelbildlich aus der Seele: „Music is not the same for me without an audience“. Musik ohne Publikum ist für mich nicht dasselbe. Für mich als seinem „Spiegelbild“, einem Teil des Publikums, ist Musik, die ich nicht im Saal mit anderen unmittelbar teile, auch nicht dasselbe wie einen Stream mitzuverfolgen.

Dabei merke ich sie ihm an, die Passion für die Schumannschen Lieder. Passion, die das Band des spürbar empfindenden Gegenübers braucht, um über sich hinaus zu wachsen, weil sie einen Energieschub von der Gegenseite, des lebendigen Publikums erhält. Und dabei kein Nullsummenspiel ist, die Energie vervielfacht sich, elektrisiert alle Beteiligten im Raum.

Trotz aller beschriebenen Einschränkung: sehr intensiv berührt mich Jonas Kaufmann mit dem 10. Lied des Zyklus Dichterliebe, in dem Schumann Texte von Heinrich Heine vertont.

Hör‘ ich das Liedchen klingen,

Das einst die Liebste sang,

So will mir die Brust zerspringen

Vor wildem Schmerzendrang.

 

Es treibt mich ein dunkles Sehnen

Hinauf zur Waldeshöh‘,

Dort löst sich auf in Tränen

Mein übergroßes Weh‘.

Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch am Klavier verstehen sich praktisch blind, sind ein eingespieltes Team. Der Zyklus wird flüssig dargeboten, mit großer Achtsamkeit auf die sich mit den Liedern ändernde Stimmung. Die beiden nehmen mich mit auf eine kürzere emotional hügelige, mich  anrührende musikalische Reise.

Erneut stelle ich jedoch fest, dass meine Konzentration nicht dauerhaft hoch ist in diesem letzten Teil des Konzerts. Liegt’s an den unterschiedlichen Regie-Einstellungen, die mich persönlich stören in meiner Konzentration? Ich hätte gern die beiden Künstler, Ihre Darbietung mit Augen und Ohren fixiert.

Was ich bei Mozarts Klavierquartett KV 493 am meisten bedauere ist, dass mir die Regie keinen letzten Blick in die Gesichter der Künstler gewährt, nach Verklingen des letzten Tons. Ich stelle mir also nur vor, wie sich die Interpreten gegenseitig anlächeln.

Bei Donald Sulzen am Klavier fällt mir zuerst auf, wie Mozart ihm ein Lächeln auf seine Lippen zaubert. Auch seine drei Streicherkollegen Michael Arlt, Gerhard Zank und Tilo Widenmeyer begeben sich in Mozarts wunderbaren Bann. Senden diesen durch den digitalen Äther hindurch. Beschwingt der erste Satz, zärtlich-lyrisch der zweite, erfrischend inspirierend der dritte. Die lächelnden, konzentrierten, Mozartbeseelten Gesichtsausdrücke übertragen sich in mein Wohnzimmer auf mein Gesicht. Mein Moment des Glücks am heutigen Abend.

Der Beginn des Konzerts ist der traurigste Moment. Der ehemalige Intendant der bayerischen Staatsoper Sir Peter Jonas ist am 22. April 2020 gestorben. Zu seinem Andenken singt die Sopranistin Elsa Benoit begleitet von Donald Wages am Klavier die Arie Piangerò la sorte mia aus Georg Friedrich Händels Julio Cesare in Egitto. Elsa Benoit singt die Arie kräftig, klar, rein mit einem mich wärmenden Timbre.

Julio Cesare war Sir Peter Jonas‘ Beginn der Münchner Händelisierung des Opernpublikums. Auch meiner Freude an Barockmusik hat er in den 2000er-Jahren Aufschub gegeben. Meinen musikalischen Horizont erweitert. Elsa Benoits Gesang ruft in mir eine vorgestellte Opernszene auf. Ich träume damit das Konzertante weg für einen Moment der Verbundenheit. Sir Peter: Sie haben mir viel gegeben. Von Herzen: Danke.

Frank Heublein, 28. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert