4. Soirée der Wiener Philharmoniker
Konzert am 9. Mai 2022 im Musikverein Wien, Großer Saal
Igor Strawinsky: Psalmensymphonie, K Catalog 52
Felix Mendelssohn-Bartholdy: Symphonie Nr. 2 in B-Dur „Lobgesang“ (Eine Symphonie-Cantate nach Worten der heiligen Schrift, op. 52 MWV A 18
Simona Saturová, Sopran
Jeanine de Bique, Sopran
Tilman Lichdi, Tenor
Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
(Leitung: Johannes Prinz)
Wiener Philharmoniker
Dirigent: Herbert Blomstedt
Foto: © Martin U. K. Lengemann – Herbert Blomstedt
von Herbert Hiess
Je nach persönlicher Glaubenssituation kann man es nur als ein Wunder der Natur oder ein Geschenk Gottes bezeichnen, dass ein Mann, der am 11. Juli 95 Jahre (!!) alt wird, offenbar geistig und doch auch körperlich so jung geblieben ist.
Schon das Dirigieren per se ist eine körperliche Höchstleistung, die Herbert Blomstedt stehend spielend gemeistert hat – dazu kommen noch die Ansprüche an das Gedächtnis und den Geist. Auch hier stellt der großartige Mann viele, sehr, sehr viele seiner jüngeren Kollegen in den Schatten.
Natürlich merkt man bei Gang zum Pult eine leicht vorgebeugte Haltung; steht er aber und gibt seine Einsätze, ist das alles vergessen. Mit einer traumwandlerischen Sicherheit führt er durch die teils komplexen Partituren. Mit einer sparsamen Schlagtechnik (ohne Taktstock) gibt er Chor und Orchester jeden Einsatz, den die Leute brauchen.
Den Wiener Philharmonikern und dem exzellenten Singverein merkte man die Musizierfreude an, die sie mit dem schwedischen Maestro teilen durften.
Strawinskys „Psalmensymphonie“ ist ein dreisätziges Werk für Chor und Orchester (Bläser, Schlagwerk, tiefe Streicher) und vertont drei Psalmen aus dem alten Testament. Während Satz eins und drei die typischen rhythmischen Verwebungen Strawinskys haben, ist der zweite Satz hörbar an Bach angelehnt. Die Holzbläser spielen viele Takte lang einen an der „Kunst der Fuge“ angelehnten Satz, bevor dann der Chor einsetzt.
Großartig, wie Blomstedt, die Philharmoniker und der Singverein durch das recht komplexe Werk führen. Dieses Werk wird leider viel zu selten aufgeführt; in Erinnerung ist ein Konzert mit den Philharmonikern unter Pierre Boulez, wo das Werk genauso exemplarisch zu hören war.
Tief in die deutsche Romantik führte dann der zweite Teil des Konzertes. Mendelssohns „Lobgesang“-Symphonie ist mit seinen 70 Minuten Aufführungsdauer sowohl für die Ausführenden als auch für das Publikum ein „schwerer Brocken“.
Herbert Blomstedt erreichte mit der großartigen Aufführung, dass diese Zeit wie im Fluge verging. Mendelssohns Vertonung der Psalmen steht vor allem unter dem Motto „Alles was Odem hat, lobet den Herrn“ und ist ein glaubensbejahender Hymnus an den Glauben und die Auferstehung.
In berührende Klänge tauchte der Komponist die Psalmen in Choräle, Sologesänge und Chorsätze. Ein Höhepunkt des Werkes ist das Duett der Soprane „Ich harrete des Herrn“, das gemeinsam mit dem Chor richtig tränentreibend ist. Großartig die beiden Damen Jeanine de Bique und Simona Saturová. Das eigentlich kein Duett ist, sondern ein Terzett. Das Solohorn spielt kontrapunktisch dazu; Ronald Janezic ließ wieder seine großartigen Qualitäten hören. Schon allein dieser Teil lohnte das ganze Konzert.
Jeanine de Bique hat einen wunderbaren strahlenden Sopran, der vielleicht in der Mittellage ein bisschen „eng“ ist. Das macht sie aber durch ihre phantastische Musikalität wett; sie versteht es allemal, ein berührendes Pianissimo erklingen zu lassen. Eine Entdeckung ist der Tenor Tilman Lichdi. In allen Lagen von gleicher Schönheit und Musikalität; eine enorme Wortdeutlichkeit und eine exzellente Diktion sind die Attribute des Deutschen. Ein Tenor, von dem man hoffentlich noch viel hören wird.
Wortdeutlichkeit wäre etwas, was man dem Singverein wünschen würde; trotz aller Qualitäten durchgängig bei allen Stimmlagen, fehlt es doch gerade an einer klaren Diktion. Schade, denn ansonsten wäre der Chor derzeit einer der besten in Österreich. Einstudiert perfekt von Johannes Prinz; angefangen von den Chorälen bis hin zur Halleluja-Fuge am Schluss.
Auf alle Fälle muss man sich für den großartigen Auftritt Herbert Blomstedts bedanken und nicht ganz uneigennützig wünscht man ihm noch ein langes und gesundes Leben und noch viele Auftritte. Dieser Abend im Wiener Musikverein war vom Allerfeinsten!
Herbert Hiess, 10. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Philharmoniker, Herbert Blomstedt Musikverein Wien, 3. Oktober 2020
Wiener Philharmoniker, Franz Welser-Möst Musikverein Wien, 18. April 2021
Wiener Philharmoniker, Riccardo Muti Tourneeprobe am 7. Mai 2021 im Wiener Musikverein
Danke für die feine Kritik des Lobgesangs und der Psalmensymphonie unter Maestro Blomstedt
MS