Franz Welser-Möst, The Cleveland Orchestra © Claudia Höhne
Das Cleveland Orchestra gastiert unter Franz Welser-Möst mit Strauss und Berg in der Kölner Philharmonie.
Köln, Philharmonie, 5. September 2022
Richard Strauss (1864-1949) – Macbeth op. 23 TrV 163
Alban Berg (1885-1935) – Lyrische Suite für Streichquartett, Fassung der Sätze 2-4 für Streichorchester
Richard Strauss – Suite aus Der Rosenkavalier, TrV 227d (für Orchester zusammengestellt von Franz Welser-Möst)
von Brian Cooper, Bonn
Richard Strauss war 22 Jahre alt, als er mit der Komposition seiner ersten Tondichtung begann. Macbeth wird verhältnismäßig selten gespielt, und so war es ein besonderes Vergnügen, das Cleveland Orchestra damit in Köln zu hören. Das Werk steht in d-Moll, und gleich zu Beginn, ganz kurz nur, sind Anklänge an den Anfang von Beethovens Neunter unüberhörbar. Bilde ich mir zumindest ein.
Doch ist es erkennbar schon reinster Strauss, der mit seiner „spannungsgeladenen wie zugleich klangkulinarischen Tondichtung“ – diese schöne Formulierung steht im Programmheft – hier den Grundstein für spätere Werke legte. Das üppig besetzte Orchester spielte mit Verve, sattem Klang und schier unbegreiflicher Perfektion. Warum ist das Blech in den großen US-amerikanischen Orchestern so unglaublich gut? Es könnte an der Tradition der marching bands liegen – so ein interessanter und durchaus einleuchtender Erklärungsversuch.
Mit der Zweiten Wiener Schule werde ich nach wie vor nur bedingt warm. Abseits der Verklärten Nacht und Alban Bergs op. 1 fällt mir der Zugang bisweilen noch immer schwer, insbesondere bei Webern. Allerdings versuchen zwei, drei Freunde und Bekannte immer wieder, mich dafür zu entflammen, so etwa der australische Pianist Michael Leslie, der in München lebt und von Schönbergs Klavierkonzert derart schwärmt, dass man es sogleich hören möchte.
Die Sätze 2-4 aus Bergs sechssätziger, ursprünglich für Streichquartett geschriebener Lyrischen Suite wurden vom Komponisten selbst für Streichorchester bearbeitet und waren für mich der unerwartete Höhepunkt des Abends. Zunächst einmal liebe ich Streichorchesterklang. Und wenn über 60 Streichinstrumente pianissimo spielen, ist das sehr beeindruckend. Zum Zweiten ist das Stück eine Liebeserklärung an Hanna Fuchs-Robettin, der Schwester Franz Werfels. Sie und Berg waren beide verheiratet, doch dummerweise nicht miteinander.
Diese musikalische Liebeserklärung kann man durchaus heraushören. Es ist nämlich wirklich eine zu Herzen gehende Musik. Und geht man in die Analyse, erschließt sich das Ganze noch viel stärker (als Stichwort seien etwa die Initialbuchstaben AB und HF genannt, mit denen Berg spielte). Für Interessierte: Bei Constantin Floros findet man neben Bergs Briefen an Hanna Fuchs-Robettin Aufschlussreiches über den Komponisten und seine heimliche Liebe sowie eine Analyse der Lyrischen Suite.
Der Dirigent des Abends, Franz Welser-Möst, hat eine reizvolle dreisätzige Suite aus dem Rosenkavalier zusammengestellt. Auch hier erzeugte das Orchester aus Ohio einen geradezu Wienerischen Klang, dem jedoch ein wenig die walzerselige Sinnlichkeit abging. Herausragende Einzelleistungen, unter Anderem der Solo-Oboe, waren hier abermals zu erleben.
Denkt man an Cleveland, denkt man auch an Stahl. Und irgendetwas Stählernes findet sich im Cleveland Sound – so der Titel einer Reihe von Decca-Aufnahmen des Orchesters unter Christoph von Dohnányi. Letzterer dirigierte Anfang der 2000er im Pariser Théâtre du Châtelet eine Achte von Bruckner, die ich bis heute als besonders warm in Erinnerung habe. Heute klingt das Orchester kühler; man fühlt sich an ein etwas zu stark klimatisiertes Zimmer in einem amerikanischen Luxushotel erinnert: Alles ist vorhanden, der Zimmerservice super, aber so ganz wohl fühlt man sich dort nicht.
Was in Köln zu hören war, hatte ich etwa 15 Jahre zuvor in einer Zweiten von Mahler schon mal erlebt, ebenfalls mit dem Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst: eine gut geölte Maschine, die stählern-unterkühlte Perfektion bot. Das ist natürlich eine sehr subjektive Empfindung. Für einen guten Freund war nämlich jene Kölner Mahleraufführung damals ein Erweckungserlebnis; durch jenes Konzert fand er zu Mahler. Mich hat es, freilich auf allerhöchstem Niveau, ein wenig kaltgelassen. Wie auch der gestrige – übrigens erschreckend schlecht besuchte – Abend.
Dr. Brian Cooper, 6. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Da blutet mir ja das Herz, wenn ich lese, dass das Konzert so schlecht besucht war. Gerade auch Macbeth von Strauss ist ja ein selten gespieltes Juwel der Orchesterliteratur, das eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Allerdings gehe ich die Erklärung mit den Marching Bands nicht mit. Wenn das die Erklärung für gute Blechbläser-Tradition sein soll – wieso sind deutsche Orchester – besonders im Rheinland – mit der ganzen Karnevals- und Schützenfest-Tradition dann nicht noch viel besser? Was hier dann stets an „Marching-Bands“ aufgefahren wird, ist doch noch einmal ein ganz anderes Kaliber, als da in den USA – bilde ich mir zumindest ein.
Randnotiz noch: Ich hatte auch beim Orchester angefragt, ob ich teilnehmen könnte, sie hatten aber darauf hingewiesen, dass sie pro Medium nur einen Journalisten zulassen. Die Kartenpreise von über 100 € selbst für die Mittelklasse waren dann leider doch überhalb meines bescheidenen Budgets.
Beste Grüße,
Daniel Janz
Lieber Herr Janz,
vielen Dank für Ihre wie stets interessanten Kommentare und Berichte der letzten Tage und Wochen! Ich wünschte mir auch mehr Aufführungen des Strauss’schen Macbeth. Vielleicht macht’s ja Riccardo Muti mal bei der nächsten Tournee des Chicago Symphony Orchestra. Im Januar 2014 dirigierte er in Essen in der ersten Konzerthälfte Verdis Ballettmusik aus Macbeth und danach Tod und Verklärung, und wenn man das quasi kombinierte…
Was die marching bands angeht, hier ein „fun fact“, wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht: Stefan Schmitz, seines Zeichens Posaunist im WDRSO, spielte ursprünglich mal beim Blasorchester Dürscheid. Aber die o.g. Begründung ist natürlich nur ein reizvolles Gedankenspiel.
Danke an dieser Stelle auch für Ihren Artikel über Hans Rott. Dessen Erste Sinfonie lernte ich vor ziemlich genau 15 Jahren unter Neeme Järvi in Berlin kennen.
Gerade aus Paris zurück, zweimal Yannick mit Philadelphia, das Publikum war wie immer entsetzlich. Im Netz hat jemand Chaussons Poème von gestern Abend hochgeladen, mit Lisa Batiashvili, offenbar komplett mitgefilmt und natürlich in miserabler Klangqualität.
Beste Grüße nach Köln,
Brian Cooper