Gabriele Rossmanith (Ida), Jürgen Tarrach (Frosch), Dovlet Nurgeldiyev (Alfred), Narea Son (Adele), Matthias Klink (Eisenstein), Hulkar Sabirova (Rosalinde), Björn Bürger (Dr. Falke), Tamara Gura (Orlofsky), Chao Deng (Gefängnisdirektor Frank), Raphael Wittmer (Dr. Blind) (Foto: RW)
Sicher, Die Fledermaus sollte amüsieren, aber auch den Bruch zwischen nach Außen gezeigter prüder Bürgerlichkeit und heimlich ausgelebter Lust nicht kaschieren. Dem Klamauk hingegeben, wie bei Barbe & Doucet, verliert das Stück erheblich an innerer Spannung.
Johann Strauß
Die Fledermaus
Staatsoper Hamburg, 28. Dezember 2022
von Dr. Ralf Wegner
Vielen scheint der klamaukige Charakter der Inszenierungen von André Barbe & Renaud Doucet zu gefallen. So liest man es in den Kritiken, und große Teile des Publikums fühlen sich amüsiert. Mir ging schon die erste Inszenierung dieses Duos vor einigen Jahren (Offenbachs Schöne Helene) arg auf den Geist.
In dieser Fledermaus wohnen Eisensteins in einem Zirkuswagen, Orlofskys Ball findet in einem großen Zirkuszelt statt und das Gefängnis liegt an der Geisterbahn hinter dem Tor zu Hölle. Damit gab es zumindest drei verschiedene, aufwendige, dem grellen Zirkusmilieu entlehnte Bühnenbilder. Manches der Ausstattung erinnerte an bunte Sammeloblaten, wie sie früher die Kinder mit Freuden in Alben steckten. Der Aufwand an Artisten und Komparserie war beträchtlich. Neben dem Chor wurden 12 Tänzerinnen und Tänzer sowie 19 weibliche und männliche Zirkusartisten namentlich aufgeführt, darunter zwei klassisch ausgebildete männliche Tänzer in Zebrakostümen (!), diverse Eroten, vielerlei als Freaks verkleidete Personen, eine biegsame Schlangenfrau, ein mit großen Reifen turnendes Paar oder ein Mann in einem Bärenkostüm.
Warum heißt die Fledermaus so wie sie heißt? Der Notar Dr. Falke wurde von dem Rentier Gabriel von Eisenstein nach einem Kostümball volltrunken in einem Fledermauskostüm allein gelassen und sah sich am Morgen danach dem öffentlichen Gespött ausgesetzt. Er rächt sich an Eisenstein mit Hilfe des Prinzen Orlofsky, der ein Fest geben will. Eingeladen werden unter falschem Namen Eisenstein, dessen Gattin Rosalinde, deren Stubenmädchen Adele sowie der Gefängnisdirektor Frank. Eisenstein steht am nächsten Tag eine Arreststrafe bevor.
Nach dem Abschied von seiner Frau Rosalinde empfängt diese ihren Liebhaber Alfred, der statt Eisensteins von dem anrückenden Gefängnisdirektor in die Arrestzelle geführt wird. Auf dem Ball wirbt Eisenstein um eine maskierte russische Gräfin, bei der es sich in Wahrheit um die verkleidete Rosalinde handelt. Am nächsten Morgen erscheinen alle auf der Gefängniswache, Alfred wird ausgelöst, Eisenstein erkennt in ihm den Liebhaber seiner Frau, wird aber selbst von ihr der Untreue bezichtigt. Denn sie hatte sich auf dem Ball von ihm ein Ührlein als Pfand ergattert. Außerdem gibt es noch einen Gefängniswärter, der die erste Hälfte des dritten Aktes mit einem mehr oder weniger kabarettistischen Soloprogramm gestaltet.
Sicher, Die Fledermaus sollte amüsieren, aber auch den Bruch zwischen nach Außen gezeigter prüder Bürgerlichkeit und heimlich ausgelebter Lust nicht kaschieren. Dem Klamauk hingegeben, wie bei Barbe & Doucet, verliert das Stück erheblich an innerer Spannung. Erst der herausgearbeitet Zwiespalt macht Die Fledermaus interessant. Der inszenierte Rummelklamauk im ersten Akt, der eigentlich nur ein Prolog ist, lähmt dagegen die Empathie für das Bühnengeschehen.
Zum Gesanglichen: Matthias Klink chargierte als Eisenstein über die Maßen. Auch stimmlich wäre mehr zu erwarten gewesen. Anfangs klang sein Tenor wie mit einem Reibeisen aufgerauht. Später besserte sich das, er stellte seine Stimme aber weiterhin in den Dienst des überdreht Deklamatorischen. Neben Hulkar Sabirova (Rosalinde) ging er stimmlich unter. Deren Sopran erwies sich als glutvoll, kräftig und in allen Lagen schön anzuhören, die beste Leistung des Abends. Ihr Bühnenliebhaber Alfred war mit der eher lyrischen als heldischen Stimme von Dovlet Nurgeldiyev hochkarätig besetzt, aber auch an diese Rolle verschwendet. Ich hätte ihn lieber als Tamino in der Zauberflötenserie gehört. Tamara Gura schien mir als Orlofsky überfordert, weder hatte sie das charismatisch-herrische Auftreten eines Prinzen, noch konnte sich ihre angenehme, schöne Stimme im großen Saal richtig durchsetzen.
Über die notwendige stimmliche Durchsetzungskraft verfügte dagegen Narea Son als Stubenmädchen Adele, aber vorwiegend im hohen Koloraturegister. Darunter fehlte es noch an lyrischer Breite, um die Sinnlichkeit der Rolle der Adele stärker betonen zu können. An charismatischem Auftreten mangelte es ihrer Bühnenschwester Gabriele Rossmanith nicht; der Sprechrolle der Ida wurde so mehr Aufmerksamkeit zu Teil als sonst. Mich erinnert dieses langjährige Hamburger Ensemblemitglied schauspielerisch immer mehr an die britische Mimin Maggie Smith.
Anders als Matthias Klink sang sein Kontrahent Björn Bürger (Dr. Falke) klangschön und mit guter Tonbindung. Er war schon in der letzten Manon-Serie als Lescaut positiv aufgefallen. Chao Deng gefiel mit rabenschwarzem Bass als Gefängnisdirektor Frank. Man könnte sich ihn auch gut als Sarastro vorstellen. Schließlich gab es noch die inhaltlich eigentlich überflüssige, den dritten Akt auf die notwendige Länge ziehende Rolle des Gerichtsdieners bzw. Gefängniswärters Frosch. Er wurde im koketten Babyrosa-Pfeilverschießungs-Amorkostüm von dem Schauspieler Jürgen Tarrach dargestellt. Die kleine Partie des Br. Blind sang Raphael Wittmer. Die musikalische Leitung hatte Jonathan Darlington. Das durchaus amüsierte Publikum spendete der Aufführung reichlich Beifall.
Dr. Ralf Wegner, 31. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
weitere Termine:
Die Fledermaus (Musik von Johann Strauß), Wiener Staatsoper, 31. Dezember 2020
Johann Strauß, Die Fledermaus, Wiener Staatsoper Livestream, 31. Dezember 2020
Johann Strauß, Die Fledermaus, Semperoper Dresden, 11. Januar 2020
In der Deutschen Oper ärgerte ich mich heute über eine Fledermaus, die das Gelage beim Prinzen Orlowsky durch die Pause unterbrach und die Gefängnisszene mit Frosch defacto auslöschte, indem der Wärter auf einer Raumfahrtbühne seine Spässe versuchte, vergebliche Dekonstruktion.
K. Conermann