Foto: Nationaltheater München © Wilfried Hösl
Es ist anders als im Saal und muss es meiner Ansicht nach sein. Kamerafahrten, Schnitte, Überblendungen. Das kontextuiert die Musik auf eine andere Art. Die Regie führt meine Aufmerksamkeit, im Saal bin ich es der sie lenkt.
Ein Erfahrungsbericht von Frank Heublein
Mein Thema ist das der Konzentration. Ich glaube, dass ich Konzentration in meiner häuslichen Umgebung für ein Konzert, dass annähernd drei Stunden dauert, lernen muss. Mit dem Gang zum Kulturort bereite ich mich vor, fördere ich die Konzentration auf das Folgende. Das fällt zuhause weg.
Dann sind da Aspekte der Ablenkung: Ich schaffe es nicht, das Essen pünktlich zuzubereiten. Den ersten Teil der Schumannschen Lieder höre ich aus der Küche heraus. Immerhin: Ich habe den Stream mit meiner Anlage verbunden und dadurch eine gute Tonqualität. Essen und zuhören: Das geht schon, es ist aber nicht die Konzentration vorhanden, die ich für eine Rezension von mir selbst erwarte.
Bewegungsfreiheit – Positionswechsel vom Stuhl zum Sofa verschlechtert bei mir die Konzentration. Manchmal pirsche ich mich ran, lasse den Linseneintopf Eintopf sein. Folge den beiden Stimmen. Bei jedem Lied-Ende jedoch die Gefahr und oftmals ist es so: Meine Konzentration ist weg.
Die Situation ist besonders: Es hallt ob der leeren Ränge. Es bleibt ruhig. Das ist ungewohnt und deprimierend – bitte liebe Streamer: Schafft einen Rückkanal, damit auch die Künstler merken, dass sie vor Publikum singen.
Toll hingegen: Ich kann an den Lippen kleben, ganz nah, wenn die Kamera draufhält: Gesangstechnik viel genauer als im Saal vor Ort bewundern. In meinen Momenten konzentrierter Aufnahme.
Bei Mozarts Streichquartett gelingt es mir hingegen kaum, mich auf die Darbietung einzulassen. Im Geiste entschuldige ich mich dafür vor den Darbietenden.
Bei Igor Levits Diabelli-Variationen von Beethoven, auch da war sie zum Teil da, meine Konzentration. Eine unglaubliche Präsenz hat dieser Igor Levit. Wie viele Noten, Stücke er auswendig parat hat, im Kopf und in den Fingern. Unglaublich, aber auch in meinem Fall eine Ablenkung. Bei diesen Gedanken bin ich eben nicht bei der Musik.
Es ist anders als im Saal und muss es meiner Ansicht nach sein. Die Situation ist eine andere und erfordert anderes – der Situation angemessenes Vorgehen und das Ausnutzen von Möglichkeiten: Kamerafahrten, Schnitte, Überblendungen. Das kontextuiert die Musik auf eine andere Art. Die Regie führt meine Aufmerksamkeit, im Saal bin ich es der sie lenkt.
Stimmungsaufhellend dann die beiden Stücke, die OPERcussion zum besten geben. Hier springt der Konzentrationsfunke über und bleibt ob der Kürze der Stücke auch erhalten. Regelrecht atemlos beobachte ich die flinken Schlägel die der Marimbaspieler und der Vibrafonist über ihre Stäbe fliegen lassen. Danke, dass ihr mein Gefühl anhebt.
Ich muss mich besser vorbereiten das nächste Mal. Strategien entwickeln, die Konzentration aufrechtzuerhalten. Sie werden lesen ob es mir gelingt.
Frank Heublein, 18. März 2020, für
klassik-begeistert.de
Das 5. Akademiekonzert der Bayerischen Staatsoper live im Stream am 16.3.2020 (hier weiterhin zu sehen: https://operlive.de/akademiekonzert19-20/)
Das Programm:
Robert Schumann
Liederalbum für die Jugend op. 79
Christina Landshamer, Sopran
Christian Gerhaher, Bariton
Gerold Huber, Klavier
Wolfgang Amadeus Mozart
Streichquartett Nr. 14 G-Dur KV 387
Schumann Quartett München
Barbara Burgdorf, Traudi Pauer, Violine
Stephan Finkentey, Viola
Oliver Göske, Violoncello
Ludwig van Beethoven
Diabelli-Variationen op. 120
Igor Levit, Klavier (vor dem Stream aufgezeichnet)
Johann Sebastian Bach
Präludium 2 c-Moll BWV 847
Chick Corea
Spain
OPERcussion
Claudio Estay, Thomas März, Marcel Morikawa, Maxime Pidoux, Carlos Vera Larrucea, Schlagzeug