Welch wunderbarer Abend: agil, wach und voller Energie!

6. Akademiekonzert: Vladimir Jurowski  Bayerische Staatsoper, München, 24. Mai 2022

Foto: (c) W. Hösl

Bayerische Staatsoper, München, 24. Mai 2022

6. Akademiekonzert: Vladimir Jurowski

Bayerisches Staatsorchester
Jakob Spahn, Violoncello

Programm

Krzysztof Penderecki (1933–2020)

Ouvertüre und 3 Stücke im alten Stil nach Musik zu dem Film Die Handschrift von Saragossa

Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2

Igor Strawinsky (1882–1971)

Variations „Aldous Huxley in memoriam“

Petruschka. Burleske Szenen in vier Bildern (Originalfassung von 1911)

von Frank Heublein

An diesem Abend wird im Münchner Nationaltheater das sechste Akademiekonzert gegeben. Im ersten Teil eine Hommage an den polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki, dessen Oper „Die Teufel von Loudun“ bei den Opernfestspielen 2022 in München auf die Bühne gebracht wird. Im zweiten Teil des Abends werden zwei Werke Igor Strawinskys präsentiert.

Penderecki hat auch Gebrauchsmusik für Film und Theater komponiert. So für Woiciech Has Romanverfilmung „Die Handschrift von Saragossa“. Der Film spielt um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Die Ouvertüre hat Jurowski anhand des Films transkribiert, da die Noten nach Fertigstellung des Films vernichtet wurden oder verloren gegangen sind. Sie erklingt erstmals als Orchesterwerk. Oh ja, das ist Mozart, den ich höre. Eingewoben ist ein Beethovenzitat, Freude schöner Götterfunken. Die drei Stücke im alten Stil klingen nach einer Mischung von Bach und Telemann. Beim Komponistenraten hätte ich keine Chance, die Tarnung funktioniert. Jurowski führt mit dem Bayerischen Staatsorchester beschwingt agil in den Abend ein.

Drei der vier Stücke sind für opulent besetztes Orchester. Beide Komponisten nutzen Schlagwerk ausgeprägt, wenngleich die Art und der Einsatz hörbar unterschiedlich ist. Ich erkenne Kompositionen von Penderecki, im Sport würde man das signature move nennen, in seiner Art, Schlagwerk aus leiser Tiefe in ein Crescendo zu führen, mit einem kraftvollen kombinierten Pauken-Gongschlag hervorbrechen zu lassen und diesen letzten Schlag mit einer nachfolgenden Pause zu betonen. So auch im Violoncellokonzert Nr. 2.

Zu Beginn ein kurzes sich wiederholendes Streicherthema in pianissimo. Einige Takte danach dann Pendereckis signature move. Für mich ist dieses einsätzige Werk eins, dass ich ohne Innehalten wahrnehme. Ich höre mich in ein expressives Labyrinth hinein. Das Cello wirkt meist wie gehetzt, schnell die Richtung wechselnd, Gänge suchend, die zum Ausgang führen. Solist Jakob Spahn ist erster Solist des spielenden Orchesters. Die spannungsgeladene vertraute Intensität zwischen ihm, dem Orchester und dem Dirigenten ist spürbar.

Als Zugabe spielt Spahn eine Komposition von Mstislaw Rostropowitsch, dem das Cellokonzert zugeeignet ist und dessen Uraufführung er spielte. Ein alertes Marschthema, ein sanft melodisches Zwischenspiel, das zum ersten Thema zurückkehrt. Spahn offenbart seine exzellente Technik. Er entlockt dem Instrument wache, einfühlsame, warme Klänge.

Zu Beginn des zweiten Teils informiert Dirigent Vladimir Jurowski, man solle in den Variations „Aldous Huxley in memoriam“ kein Thema suchen. Es gäbe keins. Es ist ein serielles Zwölftonstück. In der drängenden Expressivität, der Dynamik der beiden Stücke, die heute von Strawinsky gespielt werden, höre ich, durch Jurowski sanft darauf hingewiesen, dieselbe Hand.

Die Variationen sind Strawinsky letztes Orchesterstück. Das erste serielle. Mit 82 Jahren nimmt sich Strawinsky einen neuen kompositorischen Stil vor. Er zaubert eine kurze Miniatur, in dem das Serielle zwei Gesichter hat. Eine schräg anzuhörende, in der drei Instrumentengruppen à zwölf Instrumente jeweils alle pro Instrument einen der zwölf Töne spielt. Erst die Violinen, dann die Bratschen mit zwei Kontrabässen, dann die Bläser. Dazwischen hörte sich das Serielle für mich überraschend brav melodisch an. Das ich es als brav empfinde, könnte daran liegen, dass ich noch die Opernmusik des Georg Friedrich Haas im Ohr habe, die ich die Tage zuvor im Rahmen des Ja, Mai Festivals gehört habe.

 Petruschka in der kompletten Ballettfassung ist, wie der Untertitel sagt, eine Burleske. Bunt schillernd unglaublich klangfarbenreich. Eine von Strawinskys ersten Kompositionen überhaupt. Ein riesiges Orchester inklusive eines Flügels. Jede Instrumentengruppe bekommt ihren hervorgehobenen Auftritt. Ich höre den Jahrmarkt gut heraus. Die Holzbläser sorgen früh im Stück für einen Drehorgelmoment, der mich gedanklich sogleich auf die Auer Dult katapultiert. Die Dult findet in München drei Mal jährlich statt und ist ein Markt, wo man praktisch alles findet. Eine kleine Kirmes gibt es obendrein. Es ist wie ein Gang über die Dult, eine Kirmes. Atemlos entdecke ich Aufregendes. Dann gibt es wieder ruhige Ecken, durch die ich schwebend hindurchgetragen werde. Expressiv, voll bestechender Dynamik, die vom sportlich agilen Jurowski auf dem Dirigentenpult vorgelebt wird, ist auch das Bayerische Staatsorchester konzentriert und dicht bei der Sache. Folgt dem Dirigenten in jeden noch so harten Umschwung in Tempo oder Lautstärke.

Welch wunderbarer Abend: agil, wach und voller Energie!

Frank Heublein, 25. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Thomas, Georg Friedrich Haas, Madrigal Lamento d’Arianna, Claudio Monteverdi Utopia, München, 23. Mai 2022

Bluthaus, Friedrich Georg Haas, Claudio Monteverdi Cuvilliés-Theater, München, 21. Mai 2022

Konzert Passions Pasticcio »Wer ist der, so von Edom kömmt« Hochschule für Musik und Theater, München, 19. Mai 2022

 

 

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