Foto: © Paul Schirnhofer/Deutsche Grammophon
„Ein wundervoller Konzertabend mit einer Elīna Garanča, die sich fraglos auf dem Zenit ihres Könnens befindet. Es ist unmöglich, von ihr nicht gefesselt zu sein!“
Elbphilharmonie Hamburg, 27. September 2019
Elīna Garanča, Mezzosopran
Wiener KammerOrchester
Dirigent: Karel Mark Chichon
von Dr. Holger Voigt
In Hinblick auf gegenwärtige GesangssolistInnen in Oper und Konzert scheinen wir uns heute in geradezu glücklichen Zeiten zu befinden, was insbesondere für weibliche Künstlerinnen zutrifft. Nie zuvor gab es eine derartige Fülle an Sängerinnen höchster Stimmqualitäten, und der „Nachschub“ nimmt einfach kein Ende. Kaum hat eine von ihnen den beschwerlichen Weg an die Weltspitze geschafft, drängen weitere nach und überraschen den Musikkenner mit völlig unerwarteten Leistungen.
Dabei ist unverkennbar, dass es oft Sängerinnen aus den osteurpäischen Staaten sind, die traditionell in hervorragenden Gesangsschulen von ebenso hervorragenden GesangslehrerInnen ausgebildet werden, bevor sie dann ihren Weg in den Westen machen. Dort treffen sie zunächst auf eine Sprachhürde, da es vielen Opernbesuchern offenbar schwerfällt, ihren Namen korrekt auszusprechen bzw. zu schreiben, was den Lerneffekt negativ beeinflusst. Dabei lohnt es sich, sich frühzeitig ihre Namen einzuprägen, denn sie werden ihren Weg machen und einem mit Sicherheit wieder begegnen.
Auch und besonders das so anspruchsvolle Stimmfach eines Mezzosoprans weist immer mehr Nachwuchstalente auf. Trotz der hohen Anforderungen, im oberen Register textverständlich hell und klar zu klingen, zugleich aber im unteren Register einen dramatischen, oft bitteren Ausdruck zu entwickeln, ohne bei den Wanderungen von oben nach unten und wieder zurück an Ausdrucksstärke einzubüßen oder gar die Luft zu verlieren (Beispiel: Vincenzo Bellinis Arie des Romeo „Ascolta… Se Romeo t’uccise“ in „I Capuleti e i Montecchi“).
Einige Komponisten waren diesbezüglich nicht gerade nachgiebig mit den sängerischen Rollenanforderungen. Im Mezzo-Fach muss alles stimmen, eine Partie zu verhageln, kann leicht passieren, wenn die Rolle (noch) nicht zu der Stimme passt und technische Möglichkeiten an ihre Grenzen stoßen. Eine Aufzählung gegenwärtiger Mezzo-Solistinnen kann heute eigentlich schon gar nicht mehr vollständig gelingen: Neben den „Thron-Positionen“ von Ausnahmesängerinnen wie Joyce DiDonato und Elīna Garanča darf man dabei Namen wie die vehement nach oben drängenden Anita Rachvelishvili, Elena Zhidkova oder auch Nadezhda Karyazina nicht vergessen. Und dieser Hinweis ist weit von jeder Vollständigkeit entfernt. Der Musikkenner kann sich entspannt dem Klangabenteuer öffnen, denn trotz desselben Stimmfaches klingen alle Stimmen doch auf eine berückende Weise in vielen Nuancen und Farben unterschiedlich.
Elīna Garanča kam nun schon zum wiederholten Mal in die Hamburger Elbphilharmonie. Durch den österreichischen Veranstalter, der das Publikum mit einem charmanten Wienerischen „Moin“ begrüßte, war die Elbphilharmonie wohl fest in österreichischer Hand, sieht man einmal von der Solistin (Lettland) und dem Dirgenten (Großbritannien) ab. Letzterer ist bekanntlich der Ehegatte der Sängerin.
Das Programm bestand aus zwei thematisch ausgerichteten Blöcken: Im ersten Teil ging es in die Welt der Oper, im zweiten Teil in die Welt der Orchesterlieder. In beide Teile eingelassen waren Zwischenspiele und Overtüren, die dem Orchester Gelegenheit gaben, seine Qualitäten zu Gehör zu bringen.
Das Wiener KammerOrchester – trotz seines vielleicht zu Missverständnissen verleitenden Namens – ist ein gar nicht einmal so kleines symphonisches Orchester. Sein Dirigent, Karel Mark Chichon, leitete durch alle Anforderungen der gebotenen Werke mit ungeheurer, nicht enden wollender Energie, zugleich umsichtig und präzise, mit großer Sensibilität in Bezug auf die Einsätze der Gesangsstimme, die eher von der Sängerin selbst als vom Dirigenten ausgingen.
Das gegenseitige Zusammenspiel war geradezu atmend intuitiv. In den orchestralen Abschnitten war die geradezu eruptive Energie des Dirigenten in aller Körperlichkeit spürbar – ein dirigierender Vulkan, der mich ein wenig an die „Fauch-und-Zisch-Dampfmaschine“ eines Antonio Pappano erinnerte. Es gelang ihm, alles zusammen zu halten und das Orchester akzentuiert und zugleich fast singend klingen zu lassen. In den dynamischen Höhepunkten war es teilweise etwas zu laut – aber das passiert nun einmal öfter in der Elbphilharmonie.
Der Konzertbeginn schuf die beabsichtigte Grundstimmung. Die Overtüre zu Giuseppe Verdis „Luisa Miller“ wurde hervorragend und spannungsgeladen musiziert, enthielt zupackende Tempi und Accelerandi bis zum abschließenden Höhepunkt. Ich war fast traurig, dass kein Vorhang aufging, um nun die ganze Oper aufzuführen.
Danach betrat Elīna Garanča in einem grau-weissen, floral bemusterten Kleid das Podium und wurde vom Publikum mit warmherzigem Applaus begrüßt. Es folgte das „Schleierlied“ aus Giuseppe Verdis „Don Carlos“ – eine der beiden Auftrittsarien der Prinzessin Eboli.
Was mir sofort auffiel – ich achte grundsätzlich bewusst immer darauf – war Elīna Garančas hervorragende, kontrollierte Körperhaltung. Stabil aufrecht, in sich ruhend, mit korrekter Schwerpunktverteilung und leicht zurückgenommenen Schultern stand und bewegte sie sich durch den ganzen Konzertabend hindurch in entspannter und unverkrampfter Haltung. Nur wer eine derartige Haltungskontrolle hat, kann Brustkorb- und Zwerchfellmuskeln so steuern, dass die Stimme gleichsam herausfließt und anstrengungsfrei verströmen kann. Nicht ein Hauch von Forcieren, auch bei den Schluss- und Spitzentönen gelang es ihr, ihre wunderschöne Stimme in der Elbphilharmonie schweben zu lassen. Was für eine bewundernswerte Leistung!
Dabei wandte sich die Sängerin, reihum sich drehend, an jede einzelne Zuschauergruppe und blickte diese direkt an, so als sänge sie nur für sie allein. Damit hatte sie alle Zuhörer unmittelbar in ihren Bann gezogen und ließ sie nicht mehr los. Als sie im Zugabenteil Georges Bizets „Habanera“ sang, schritt sie dabei sogar in einer großen Runde um das gesamte Orchester herum! Es konnte sich niemand ihrem Zauber entziehen – genau wie die von ihr verkörperte Carmencita.
Besonderes Augen- und Ohrenmerk galt im ersten Teil den beiden Eboli-Arien („Schleierlied“, „O don fatale“). Ihre Stimme zeigte sich sofort beweglich und spielerisch im ersten Lied, dramatisch und ausdrucksstark in der Klagearie der Eboli. Auch hier hätte ich gerne an dieser Stelle die ganze (Rest-)Oper gesehen, so sehr zog sie mich in ihren Bann. Begeisterter Beifall! Zuvor war das Intermezzo aus „Manon Lescault“ von Giacomo Puccini erklungen, das in einem silbrigen Schönklang gleichsam durch den Saal schwebte.
Besonders beeindruckt war ich von Elīna Garančas bewegender Interpretation der Arie „Ecco: respiro appena … Io son l’umile ancella“ aus Francesco Cileas „Adriana Lecouvreur“, die das ganze Gewicht der Wehmut in anrührender Klangschönheit herbeizauberte. Zuvor war die Overtüre aus Giuseppe Verdis „La Forza del Destino“ erklungen und hatte gleichsam dem Schicksal einen eigenen orchestralen Auftritt gegeben.
Im zweiten Teil ging es leichtherziger zu, Drama und Wehmut waren verklungen. Elīna Garanča betrat das Podium in einem hinreißenden kobaltblauen Kleid mit abgesetzen grüngefärbten Glitzerpartien und signalisierte damit einen Stimmungswandel hin zum Optimistischen.
Fast folkloristisch konnte das Orchester nun aufspielen und die volle Klangdynamik entfalten, z.B. bei Franz von Suppés Overtüre „Leichte Kavallerie“. Ein Hauch von Neujahrkonzert-Stimmung lag in der Luft, angereichert durch iberische Klangweisen in weiteren Orchesterstücken.
Edvard Griegs in Spanisch vorgetragenes Liebeslied („Testimo“) und Matos hinreißendes „Lela“ – ein galizisches Liebeslied – machten deutlich, dass jetzt die Leidenschaft im Fokus stand. Hier zeigte die Solistin ihre ganze sängerische Bandbreite mit betörender Klangschönheit und wunderbarer Ausdruckskraft. „No puede ser!“ – eine Tenorarie von Pablo Sorozábal beschloss das reguläre Programm.
Rauschender Beifall für alle Beteiligten. Dann kamen die Zugaben, sehr gutgelaunt von Elīna Garanča angekündigt, darunter Agustin Laras „Granada“ und die bereits erwähnte „Habanera“ von Georges Bizet. Das Publikum erhob sich und applaudierte stehend. Ein wundervoller Konzertabend mit einer Elīna Garanča, die sich fraglos auf dem Zenit ihres Könnens befindet. Es ist unmöglich, von ihr nicht gefesselt zu sein!
Dr. Holger Voigt, 27. September 2019, für
klassik-begeistert.de
Programm:
Giuseppe Verdi
Overtüre zu “Luisa Miller“
Nei giardin dell ballo/Schleierlied der Eboli aus „Don Carlos“
Giacomo Puccini
Intermezzo 3. Akt/Manon Lescaut
Francesco Cilea
Ecco, respiro appena, Io son l’umile ancella/Arie des Michonnet aus ”Adriana Lecouvreur”
Giuseppe Verdi
Overtüre zu “La forza del destino“
O don fatale/Verhängnisvoll war das Geschenk/Arie der Eboli aus „Don Carlos“
– Pause –
Federico Chueca
Prélude zu “El bateo”
Edvard Grieg
T’estimo (Arrangement: John Langley)
Stanislao Gastaldon
Musica Proibita (Verbotener Gesang)/Arrangement: Karel Mark Chichon
Franz von Suppé
Overtüre zu “Leichte Kavallerie“
Rosendo Mato Hermida
Lela (Libretto: Alfonso Daniel Rodríguez Castelao/Arrangement: Juan Durán)
Carlos Gardel
El día que me quieras/Tango Canción/Arrangement: Karel Mark Chichon
Jeronimo Giménez
Intermezzo/La Boda de Luis Alonso
Pablo Sorozabál
No puede ser/aus ”La tabernera del puerto”