Besonders gespannt war man auf die bekannte Arie Mon cœur s’ouvre à ta voix in der Verführungsszene. Elīna Garanča stimmt sie lasziv im Liegen an, besticht als ideale Femme Fatale mit ihrer unterkühlten Erscheinung und dem herrlichen Wohllaut ihrer Stimme, die es verdient hat, als eine der schönsten unserer Zeit zu gelten. Ihrem großen Namen macht die lettische Sängerin jedenfalls einmal mehr Ehre. Groß, rund und golden tönt ihr Mezzo, stets schlank führt sie ihn durch sämtliche Register und singen tut sie mit dem denkbar schönsten Legato.
Fotos: Kwangchul Youn (Abimelech) und Brandon Jovanovich (Samson) an der Staatsoper Berlin; Matthias Baus (c)
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 24. November 2019
Camille Saint-Saëns: Samson et Dalila
Musikalische Leitung: Daniel Barenboim
Inszenierung: Damián Szifron
Bühnenbild: Étienne Pluss
Kostüme: Gesine Völlm
Samson: Brandon Jovanovich
Dalila: Elīna Garanča
Oberpriester des Dagon: Michael Volle
Abimelech: Kwanchul Youn
Ein alter Hebräer: Wolfgang Schöne
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin
von Kirsten Liese
Braune Felsen und Lehmhütten, pittoreske Berghöhlen, Tempel und exotische Tänze: Filmregisseur Damián Szifron bekennt sich in seinem Operndebüt zur Ästhetik des Hollywood-Monumentalfilms. Und das ist, um es gleich zu sagen, kein Unglück. Im Gegenteil: Saint-Saëns‘ Samson et Dalila, eigentlich doch mehr ein Oratorium, wirkte in der jüngsten Produktion an der Berliner Lindenoper glaubwürdig, ästhetisch ansprechend und korrespondierte mit der Musik, so soll es sein!
Freilich spricht aus einer solchen Inszenierung der unerschütterliche Mut des Dirigenten Daniel Barenboim, der den Argentinier entdeckte und engagierte, konnte er sich doch sicher sein, dass zahlreiche deutsche Kritiker und solche Operngänger, die sich für fortschrittlich halten, sie als überholt, kitschig und konventionell abtun würden.
Aber davon hat er sich nicht abhalten lassen, und das ist gut so! Denn die alttestamentarische Handlung um den heldenhaften Hebräer Samson, der – von Dalila verführt und verraten- geblendet und geschoren in Gefangenschaft der Philister gerät, seine Kraft aber zurückgewinnt und deren Tempel zum Einstürzen bringt, lässt sich selbst mit der Brechstange nicht unheikel in die Gegenwart verlegen. Dann nämlich stünden sich angesichts klar verteilter Rollen im heutigen Nahen Osten die Israeli als Opfer und die Palästinenser als barbarische Täter gegenüber. Das hätte der Gründer des West-Eastern Divan Orchestras Barenboim beim besten Willen gewiss nicht verantworten wollen.
Allerdings sollte man Szifrons Inszenierung in ihren Anspielungen nicht allein auf schnulzige Hollywood-Monumentalfilme wie Samson and Delilah, Quo Vadis, Ben Hur oder Cleopatra reduzieren. Einige Momentaufnahmen dieses „Films ohne Kamera“, wie er dem Regisseur vorschwebte, auf der von Étienne Pluss gestalteten Bühne erinnern auch an Gemälde alter Meister, insbesondere Werke von Peter Paul Rubens kamen mir in den Sinn, dies auch im Blick auf die von Gesine Völlm entworfenen Kostüme, schlichte, fließende Gewänder, metallene Rüstungen und Helme. Wo und wann wird einem das noch geboten?
Und natürlich haben auch das Libretto von Ferdinand Lemaire und die Partitur von Saint-Saëns ihren Teil daran, dass diese Produktion von einem höheren Anspruch getragen ist als so manche, vor banalen Dialogen strotzende Kinoschnulze.
Nur ein Hund, dem ganz am Anfang ein kurzer Auftritt vorbehalten ist, wirkte am Premierenabend noch etwas desorientiert, nach seinem Abgang kehrte er unvorhergesehen noch einmal kurz auf die Bühne zurück. Aber das quittiert man als Tierfreund mit einem Schmunzeln.
Großen Respekt verdient Szifron vor allem für seine glaubwürdige Personenführung. Seine fantasiereiche Rollengestaltung zeigt sich besonders an seinem Titelhelden, Brandon Jovanovich, der die Verwandlung vom glorreichen, unbesiegbaren Helden zu einem körperlichen Wrack so erschütternd vollzieht wie es ein Schauspieler nicht besser könnte. Als gemarterter, verhöhnter, blutüberströmter, geblendeter Schmerzensmann obliegt ihm der härteste Part. Was muss er alles erleiden. Permanent wird er getreten und geschlagen, das Bacchanale samt barbusigen Tänzerinnen und mordenden Knaben steigert sich schier zu einer infernalischen Orgie.
Zum Ende hin in der Höhe tönt der Amerikaner, der über einen agilen Tenor verfügt und seinen Samson über weite Strecken sehr kultiviert singt, zwar ein wenig belegt in der Höhe, aber das stört angesichts der Martyrien, die er da durchleidet, kaum. Sein Ausdruck wird unter solchen stimmlichen Einbußen sogar noch glaubhafter.
Besonders gespannt war man freilich auf die bekannte Arie Mon cœur s’ouvre à ta voix in der Verführungsszene. Elīna Garanča stimmt sie lasziv im Liegen an, besticht als ideale Femme Fatale mit ihrer unterkühlten Erscheinung und dem herrlichen Wohllaut ihrer Stimme, die es verdient hat, als eine der schönsten unserer Zeit zu gelten. Ihrem großen Namen macht die lettische Sängerin jedenfalls einmal mehr Ehre. Groß, rund und golden tönt ihr Mezzo, stets schlank führt sie ihn durch sämtliche Register und singen tut sie mit dem denkbar schönsten Legato.
Als Samson angesichts seiner religiösen Verpflichtungen zaudert, ihr sein Geheimnis zu verraten, bespritzt Dalila ihn mit Wasser und steigert damit sein Verlangen, so dass er sich wie ein Vergewaltiger auf sie stürzt. Wie in Notwehr schneidet ihm Dalila daraufhin seine magischen langen Haare ab.
Starke Auftritte sind weiterhin dem Bariton Michael Volle als denkbar fiesestem, intriganten Oberpriester Dagon und dem Bassisten Kwangchul Youn als ebenso hasserfülltem Philisterfürsten Abimelech vorbehalten. Mit ihrem stimmstarken Wutschnauben lehren sie das Fürchten.
Bei alledem kommt die Musik voll zu ihrem Recht. Farbenreich, dramatisch, duftig und bisweilen auch kammermusikalisch erkundet Barenboim sie mit seiner Staatskapelle in allen Facetten. Und da nichts von ihr ablenkt, lassen sich herrliche Motive und Details heraushören, auf die man andernfalls nicht unweigerlich aufmerksam geworden wäre: herrliche lyrische Soli, allen voran ein langes im Englischhorn.
Der Buhsturm, der nach den Bravos für die Sänger, die Staatskapelle und Daniel Barenboim auf das Regieteam niederging, muss für den jung aussehenden, mit Berliner Verhältnissen nicht vertrauten Regisseur wie ein Schock gewirkt haben. Anderswo, an der Wiener Staatsoper oder an der Mailänder Scala, wäre er vermutlich gefeiert worden. Jedenfalls war es ein fairer, guter Zug von Barenboim, dass er es dabei nicht bewenden lassen wollte, sondern demonstrativ mit Szifron an die Rampe trat.
Wie gut, dass Barenboims Vertrag verlängert wurde. Er scheint mir doch der letzte große Künstler in Berlin zu sein, der dafür sorgt, dass die Oper nicht zu einem Selbstbedienungsladen degradiert – und Stücke nach Strich und Faden entstellt, verstümmelt und verhunzt werden.
Kirsten Liese, 26. November 2019, für
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ihre Kritik spricht mir aus der Seele: tolle Oper, wunderbar musiziert und gesungen und ein Regisseur, der verständlich macht, was auf der Bühne geschieht mit vielen Facetten.
Das „moderne Regietheater“ dagegen wird in den seltesten Fällen der Gattung Oper gerecht, da es kaum Regie-Könner gibt, die ihren Anspruch auch erfüllen können. Oft arbeiten Regisseure nur ihre Komplexe in der Oper ab!
Sylvia Weiss