Ausgezeichnet und gewürdigt: Unsuk Chins Portraitkonzert beeindruckt in der Kleinen Elbphilharmonie

Unsuk Chin – Portraitkonzert I  Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal, 28. November 2019

Foto: Unsuk Chin © Priska Ketterer
Elbphilharmonie Hamburg
, Kleiner Saal, 28. November 2019
Mitglieder des NDR Elbphilharmonie Orchesters
Kairos Quartett
Rinnat Moriah, Sopran
Florent Farnier, Trompete
Henry van Engen, Posaune
Antoine Brocherioux, Schlagwerk
Bertrand Gourdy, Schlagwerk
Kathrin Isabelle Klein, Klavier
Stefan Geiger, Dirigent

Unsuk Chin – Portraitkonzert I:
ParaMetaString für Streichquartett und Tonband
Fantaisie mécanique
Akrostichon-Wortspiel

 von Guido Marquardt

Obwohl unzweifelhaft in der Gegenwart angesiedelt, ist das Werk von Unsuk Chin durchaus nicht als unzugänglich oder abweisend zu bezeichnen. Wer sich, wie an diesem Abend im Kleinen Saal der Elbphilharmonie, auf die spannungsreichen Strukturen ihrer Werke einlässt, wird belohnt mit einem faszinierenden, sehr eigenständigen Klangerlebnis.

Zunächst gilt es, herzliche Glückwünsche auszusprechen: Unsuk Chin wurde vor dem Konzert durch Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda mit dem Bach-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg ausgezeichnet. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wird nur alle vier Jahre verliehen, für Komponisten, „deren Werke unter dem hohen Anspruch, der der Namensgeber des Preises setzt, Auszeichnung verdienen“.

Prominente Preisträger

Nach dem ersten Preisträger Paul Hindemith (1951), ging der Bach-Preis bereits an Persönlichkeiten wie Olivier Messiaen, Karlheinz Stockhausen, Sofia Gubaidulina, Pierre Boulez – und auch an György Ligeti, den vermutlich wichtigsten Lehrer der heute 58-jährigen Koreanerin Chin. Entsprechend hob sie mit Bezug auf ihre Hamburger Studienzeit bei Ligeti in ihrer Dankesrede auch hervor, dass ohne diese Stadt ihr „Leben anders verlaufen wäre“. Mit Blick auf die eindrucksvolle Liste ihrer Vorgänger wähnte sie sich nunmehr „im Olymp“.

Portrait, Würdigung und Querschnitt

Entsprechend war das folgende Konzert denn auch nicht nur ein „Portraitkonzert“, sondern ebenso eine Würdigung für Unsuk Chin, die in dieser Spielzeit als „Composer in Residence“ beim NDR Elbphilharmonie Orchester amtiert.

Drei ihrer Werke aus den 1990er-Jahren gab es zu hören, dargebracht von unterschiedlichen Formationen, die ihre besondere Liebe zur Gegenwartsmusik eint.

Offengelegte Klangschichten

Den Anfang machte das Berliner Kairos Quartett mit Chins „ParaMetaString für Streichquartett und Tonband“. Dieses Werk in vier Sätzen verlangt exaktes Timing nicht nur für das Spiel der Streicher untereinander, sondern auch in genauer Abstimmung mit den vom Band eingespielten, verfremdeten Streicherklängen. Dabei gelang eine Offenlegung von Klangschichten, wie sie so nur in der leichten Verfremdung möglich war.

Klang es im ersten Satz Allegro bisweilen wie eine Jagd der Live-Instrumente nach den flirrenden Tönen vom Band oder auch wie eine Straßenkapelle, die musikalisch mit schnell vorbeifahrenden Autos korrespondiert, war es im zweiten Satz Andante eher so, dass die sich immer weiter verfeinernden Obertöne der Instrumente mit dem Ostinato des Cellos wie die lenkenden Hände wirkten, die einen Drachen an der Schnur auszubalancieren versuchen. Im dritten Satz Andantino faszinierten dann die gegenläufigen Bewegungen von Cello und den übrigen Streichern, bevor im letzten Satz Moderato-Allegro schließlich der erste Satz noch einmal aufgenommen und in einem spannungsreichen Dialog zu Ende geführt wurde.

Lebendiges und Entmenschlichtes

Die folgende Pause wurde für umfangreiche Umbauten genutzt, denn nun war ein etwas größeres Ensemble gefordert: Die „Fantaisie Mécanique“ verlangte neben reichlich Percussion (für zwei Personen) und Klavier auch Posaune und Trompete. Angeleitet vom Dirigenten Stefan Geiger, entfaltete sich diese „Fantaisie“ als ein Werk in sechs Teilen, die das Lebendige (Fantaisie) und das Entmenschlichte der Maschine (Mécanique) kontrastieren und schließlich doch auch vereinigen sollte.

Nachdem sich Chins ursprüngliche Fassung dieses Werks als nahezu unspielbar herausgestellt hatte, kam die revidierte Version 1997 zur Uraufführung und hat seidem nichts von ihrer Wucht und Spannung verloren. In einigen zum Teil extremen, stark verdichteten Passagen erinnert diese Fantaisie bisweilen an Free Jazz, wobei man nicht vergessen sollte, dass hier nichts improvisiert oder spontan ist.

© Maxim Schulz

Insbesondere der Dialog zwischen Posaune und Trompete beeindruckte immer wieder. Durch die Positionierung der beiden Blechbläser am linken bzw. rechten Rand der Bühne entstand zudem ein starker stereophoner bzw. räumlicher Höreindruck.

Musikalische Antworten auf musikalische Fragen

Mit einem nochmals erweiterten Ensemble, wiederum unter der feinfühligen Leitung von Stefan Geiger, ging es dann zum letzten Programmpunkt, dem „Akrostichon-Wortspiel“.

Unsuk Chin legt ja wert darauf, dass sie keine simplen Bedeutungszuschreibungen für ihre Musik sucht und dass sie überhaupt die Auffassung vertritt, dass Antworten auf musikalische Fragen auch nur innerhalb der Musik gesucht werden können. Es handelt sich also um eine Spielart der absoluten Musik, der zudem zugrunde liegt, dass Chin Synästhetikerin ist und sich bei der Sprache auch in erster Linie nicht an semantischen Zuordnungen orientiert, sondern an klanglichen Aspekten.

Echos und Dopplungen

Bei solch einer durchaus spielerischen Annäherung ist es nicht überraschend, dass Unsuk Chin die Werke von Lewis Carroll (u. a. „Alice im Wunderland“) ganz besonders schätzt. Entsprechend bediente sie sich für die Akrostichon-Wortspiele denn auch bei Carrolls „Alice hinter den Spiegeln“ sowie bei Michael Endes „Unendlicher Geschichte“. Die daraus entstandenen sieben Szenen wurden stimmlich von der Sopranistin Rinnat Moriah vorgetragen. Moriah bewältigte diese außerordentlich anspruchsvollen Gesänge mit Bravour. Immer wieder erzeugte sie mit ihrer sensiblen Stimmbildung wunderbare, zarte, kaum greifbare Echos mit den Instrumenten, insbesondere mit den Holzbläsern.

Wortfetzen in verschiedenen Sprachen huschten vorbei, verschleppte Dopplungen blitzten auf. Und obwohl Chin den Einfluss koreanischer Musik auf ihr Werk als eher gering einstuft, hat der „Buchstabiergesang“ im Stück „Das Beliebigkeitsspiel“ doch auch eine für europäische Ohren deutlich fernöstlich anmutende Melodik.

Begeisterter Beifall eines konzentrierten, wenn auch leider zahlenmäßig überschaubaren Publikums verabschiedete die Musiker und auch die sichtlich stolze Unsuk Chin in den Abend.

Guido Marquardt, 29. November 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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