Es ist Neumeiers Opus Magnum, diese Welturaufführung. In höchstem Alter zu höchster Blüte zu finden, ist das nicht der Traum unser aller? Nun, der „alte“ John hat es unter Beweis gestellt.
Fotos: © Kiran West
Staatsoper Hamburg / Hamburg Ballett, 1. Dezember 2019, Premiere
Die Glasmenagerie, Ballett von John Neumeier nach Tennessee Williams
von Harald N. Stazol
Die Augen in einem Ballet zu schliessen, weil die Musik so erhebend ist, ist ja schon widersinnig an sich.
Vor allem, wenn man bei Höhenangst in der Loge im 4. Rang sitzt. Aber da spielt eben fein, fein Phillip Glas, sie wissen schon: Der minimalistische Mann, der eigentlich nur dudeldidudeldi dadeldi dadeldi dädeldi dädeldi erklingen lässt.
Diesmal mit zwei Klavieren, einem normalen und einem Flügel. Und dann wacht man wieder auf, in der „Glasmenagerie“, nach dem Libretto von Tennesse Williams, deren Handlung den Rezensenten ebenso wie den Leser überfordern würde… es sei angedeutet, dass es sich um freudianische Erinnerungen eines Autobiographen über eine eheliche Beziehung handelt – sehen Sie? Genau.
Es ist John Neumeiers Opus Magnum, diese Welturaufführung. In höchstem Alter zu höchster Blüte zu finden, ist das nicht unser aller Traum? Nun, der „alte“ John hat ihn sich erfüllt.
Allein für die Glasmenagerie Phillip Glass zu verwenden. Die Marmorkante der Bühne, in schwarz, in der sich die Tänzer spiegeln – genial, ganz schlicht. Und nun, in aller Eile, diese Rezension, zur Stunde der Premiere, wir wollen ja aller anderer Deadline schlagen.
Ich habe den Namen der unfasslichen Primaballerina nicht im Kopfe, gerade stand sie noch vor dem Bühneneingang in Lammfellschuhen, noch eine rauchend – nun wird sie dreimal (!!!) über dem Kopf herumgewirbelt, von dem Prima Ballerinus, und allein dieser Schönheit teilhaftig zu werden: „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist dem Tode schon anheimgegeben“ (August Graf von Platen-Hallermünde, geboren als Karl August Georg Maximilian Graf von Platen-Hallermund, * 24. Oktober 1796 in Ansbach, Ansbach-Bayreuth; † 5. Dezember 1835 in Syrakus, Königreich beider Sizilien), – bei der Zigarette vor der Staatsoper Hamburg in der Pause höre ich, was ich eigentlich unter meinem Herzen bewahren wollte – nun, man hört es im Foyer, man sei „wie in Trance“.
Immer wieder senkt sich eine 30 Quadratmeter große, wenn auch gefühlt so groß, Glasscheibe hinunter, freischwebend, der tanzende Bruder kommt mit einer Rassel in der Hand – ewige Warnung auch meiner – volltrunken nach Hause. Elisabeth Tudor, die Erste ihres Namens, nimmt diese imaginierte Glasscheibe vor Augen, wenn sie sich distanzieren will, also eigentlich immer.
Und dann die Szene, gerade rafft man sich zusammen, der Basketballspieler. Man weiss, dass John Neumeier nach Schönheit aussucht. Nun also 20, ich konnte nicht mehr zählen, Adonen im Sportdress, Bälle werfend.
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg dabei ist in ständiger Höchstleistung. Ständiger.
Epochal. Schon vor der Oper stehen die Fans, mit einem Schild „eine Karte bitte“ – genau wie die Bettler am Jungfernstieg mit den Pappschildern, „Ich habe Hunger“…
Wenn Sie da nicht hingehen, kann ich auch nicht mehr helfen.
Harald N. Stazol, 1. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ich hatte für meine Deutsch-Matura (übersetzt: Abitur) „Die Glasmenagerie“ auf die Literaturliste gesetzt und wundere mich jetzt von einer Ehe zu lesen. Tennessee Williams halte ich für den Poetischsten des naturalistischen Theaters. Habe jedoch noch nie eine befriedigende Inszenierung erlebt, obwohl teilweise von Williams zu meinem Erstaunen autorisiert.
Lothar Schweitzer
Dem ist absolut nichts mehr hinzuzufügen.
Danke für diese punktgenaue Rezession.
J. F.