„Kinder schafft Neues!“ – exklusive Einblicke in die Vorgeschichte des Beethoven Academy Orchestra. Eine Augenzeugin erzählt.
von Jolanta Lada-Zielke
Es ist ein heißer Tag Anfang August 2003. Am Krakauer Busbahnhof sammelt sich eine Gruppe junger Menschen mit Musikinstrumenten. Das ist das Kammerorchester der Musikhochschule in Krakau, das zwanzig Personen zählt. Sie fahren nach Bayreuth, um am 53. Festival junger Künstler teilzunehmen. Ich begleite sie als Pressebetreuerin, die über ihre Erfolge für den Akademischen Rundfunksender berichten soll. Der Konzertmeister Marcin Klejdysz kommt, wir begrüßen uns. Unsere Reise nach Bayreuth, mit Umstieg in Kattowitz, dauert die ganze Nacht.
Im Laderaum des Busses wurden nur die Kontrabässe verladen. Drei Cellistinnen legen ihre Instrumente auf die Sessel. Deswegen regen sich einige Mitfahrende auf, die unterwegs zusteigen. Zum Glück gibt es keine größeren Auseinandersetzungen, und jeder findet einen Sitzplatz für sich. Der schlimmste Teil der Strecke ist zwischen Breslau und Jędrzychowice. Die Fahrer warnen uns vor, dass die Geigen und Bratschen, die in den Fächern über den Köpfen der Sitzenden liegen, herunterfallen und beschädigt werden könnten. Die Studenten befestigen sie mit Gürteln an die Metallständer.
Wir kommen am Ziel gegen vier Uhr morgens an. Ein paar Leute vom Festivaldienst erwarten uns am Bahnhof und bringen uns zur Unterkunft im Jugendzentrum. Dort erfrischen wir uns und frühstücken.
Das Festival junger Künstler wurde 1950 von Herbert Barth, dem damaligen Pressesprecher der Wagner-Festspiele, gegründet. Die Schirmherrschaft übernahm Jean Sibelius unter dem Motto Richard Wagners „Kinder, schafft Neues!“. Das Ziel der Veranstaltung war von Anfang an, eine große Probebühne für junge Künstler aus der ganzen Welt zu schaffen, die die Kunst trotz sprachlicher und nationaler Grenzen gemeinsam betreiben können.
Jedes Jahr kommen im August Studenten der Musikhochschulen nach Bayreuth, um an den Workshops des Sinfonieorchesters, des Kammerorchesters, des zeitgenössischen Tanzes, des Operntheaters, der Komposition, der Literatur, der Musikkritik, der technischen Klangverarbeitung und des Kulturmanagements teilzunehmen. Alle von erstklassigen Pädagogen durchgeführten Kurse enden mit Konzerten und Aufführungen. Jugendliche arbeiten auch in der Küche, in der Administration und in der Bühnentechnik. Seit 1986 leitet das Festival Sissy Thammer, die über umfangreiche Erfahrungen im Bereich des Kulturmanagements verfügt und seit langem mit jungen Menschen zusammenarbeitet. 2003 lud sie das Kammerorchester aus Krakau nach Bayreuth ein.
Am 53. Festival junger Künstler 2003 beteiligten sich 350 Teilnehmer aus 31 Ländern. Was ist in meinen Erinnerungen von diesen Hitzetagen geblieben?
Das Kammerorchester aus Krakau präsentierte sein eigenes Konzertprogramm mit „Serenade for Strings Op. 2“ von Mieczysław Karłowicz und „Divertimento“ von Professor Marek Stachowski, Komponist und damaliger Rektor der Krakauer Musikhochschule. Das Ensemble würdigte mit seinem Auftritt die Eröffnungsfeier des Festivals. Die Temperatur im Konzertsaal – 32 Grad plus – störte die Studenten nicht. Das Publikum belohnte sie mit herzlichem Applaus. Genauso positiv wurden die Musiker bei den zwei nächsten Konzerten aufgenommen. Anschließend nahmen die Krakauer am Workshop der Kammerensembles teil, und wurden später in das große Jungendsinfonieorchester des Festivals eingegliedert, das am Ende des Festivals die Gustav Mahlers 1. Symphonie „Titan“ zweimal in Bayreuth und dann in Berlin und in Gera aufführte. Das Leistungsniveau und das Engagement der Studenten aus Krakau blieben vom Musikmanagement des Festivals nicht unbemerkt. Drei von ihnen bekamen Funktionen der Konzertmeister ihrer Instrumentengruppen, und Marcin Klejdysz ist der Konzertmeister des gesamten Orchesters geworden.
Als Ehrengast besuchte Frau Elżbieta Penderecka, die Ehefrau des zeitgenössischen polnischen Komponisten Krzysztof Eugeniusz Penderecki, die Veranstaltung. Unter ihrer Schirmherrschaft fand eines der letzten Konzerte des Festivals statt. >>Es gibt viele Jugendorchester auf der Welt<<, sagte sie >> aber das Jugendsinfonieorchester des Festivals junger Künstler ist einzigartig. Es verbindet Musiker verschiedener Nationen, Kulturen und Traditionen, und ermöglicht ihnen, Meinungen und Erfahrungen auszutauschen. Ich bin auch stolz auf unsere Krakauer Studenten, die sich den Reihen dieses Orchesters auf so großem und hohem Niveau anschließen. <<
Die Teilnahme an dem Festival war für das Kammerorchester der Krakauer Musikhochschule ein neuer Anfang. Die kleine Gruppe junger Musiker wurde zur Basis des später gegründeten Beethoven Academy Orchestra (BAO). Aus der Initiative von Frau Penderecki debütierte das neue Sinfonieorchester am Ludwig van Beethoven Osterfestival 2005 in Warschau. 2009 gab BAO ein Konzert im Goldenen Saal des Musikvereins in Wien im Rahmen der Abonnementserie Musik der Meister. Ein Jahr später nahm das Orchester an dem Festival Young Euro Classici in Berlin teil, und seit 2011 tritt es als ständiges Gastensemble in Darmstadt auf.
Im März 2018 veröffentlichte Universal Music das Album „Waves of My Life“ mit der Musik des Künstlers Ihab Darwish aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Premiere dieses Projekts unter Beteiligung des Beethoven Academy Orchestra und des Komponisten selbst fand beim berühmten Abu Dhabi Music Festival statt. Dies sind nur einige der zahlreichen Erfolge des Orchesters.
Das ist die Geschichte, wie Kinder oder genauer gesagt: Studenten aus Krakau etwas Neues und Wertvolles in Bayreuth geschaffen haben. Selbst das Motto des Beethoven Academy Orchestra klingt: „Marking new paths in classical music“.
Jolanta Lada-Zielke, 11. Januar 2020, für
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Jolanta Lada-Zielke, 48, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie aus privaten Gründen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Dreißigern.