Photo by Sudhith Xavier on Unsplash
Vor einigen Jahren wurde ich auf einem Berliner Flohmarkt fündig und erstand ein Grammophon mit großem Metalltrichter. Die dazugehörigen Platten fanden dann wie von selbst zu mir, ich möchte sie nicht mehr missen, wenn sie natürlich auch einen erheblichen Platzbedarf einfordern. Jeder Musikfreund sollte sich zumindest einmal diesen besonderen Klang gönnen, gleichzeitig muss man davor warnen: es besteht hohes Suchtpotential!
von Peter Sommeregger
Die kommerzielle Tonaufzeichnung und deren Wiedergabe fand zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch ganz ohne Zuhilfenahme der Elektrizität statt. Bei Gesangsaufnahmen wurden die Sänger so nahe wie möglich vor einem Trichter postiert. Die nach einem komplizierten Verfahren hergestellte Schellack-Platte konnte man dann auf einem Gerät abspielen, bei dem der Klang aus einem ähnlichen Trichter strömte, wie er zuvor für die Aufnahme benutzt wurde.
Ab dem Ende der 1920er-Jahre bediente man sich des so genannten elektrischen Aufnahmeverfahrens, das bereits mit einem Mikrophon arbeitete, die Grammophone selbst kamen aber immer noch ohne Elektrizität aus, eine von Hand aufgezogene Feder betrieb den Motor.
Spätestens seit den 1950er-Jahren hatten aber elektrische Geräte und Vinyl-Platten ihren Siegeszug angetreten und die Schellack-Platte mehr und mehr verdrängt. In dieser Zeit wurden die alten mechanischen Grammophone in großer Zahl weggeworfen, die neue Technik war ja auch um einiges praktischer und Platz sparender. Vielfach wurden sie lediglich noch als Dekoration verwendet.
Ein harter Kern von Sammlern historischer Gesangsplatten schloss sich dem allgemeinen Trend aber nicht an. Und es ist tatsächlich so, beschäftigt man sich etwas eingehender mit der Materie, verfällt man schnell der Faszination des Klanges speziell der frühen, vor 1930 aufgenommenen Platten. Überspielungen dieser Aufnahmen gibt es inzwischen sogar auf CD, aber authentisch klingen sie eigentlich nur mit jener Technik abgespielt, für die sie produziert wurden. Zum erstenmal damit konfrontiert, will man gar nicht glauben, wie unmittelbar und natürlich die Sängerstimme aus dem Trichter kommt. „Guten Tag, Herr Caruso“ ist man versucht zu sagen, und meint, dem berühmtesten Sänger der Geschichte durch den Trichter die Hand schütteln zu können. Es ist eine Erfahrung, die kein Liebhaber des klassischen Gesanges auslassen sollte.
Sicher, das Gerät immer wieder aufziehen zu müssen, der notwendige Wechsel der Nadel erscheinen nicht nur anachronistisch, sondern auch lästig. Was man damit gewinnt, ist aber eine veränderte Hörgewohnheit. Zappt man sich heute allgemein durch die einzelnen Titel einer CD, oder lässt diese mit reduzierter Aufmerksamkeit durchlaufen, zwingt das Prozedere mit der Schellackplatte zu einer bewussteren Auswahl, zu einer größeren Konzentration.
Es ist keine Marotte, dass es weltweit noch unzählige Schellack-Sammler gibt, gute Grammophone und seltene Platten zum Teil astronomische Preise erzielen. Neben der Schönheit des Klanges einer intakten Platte gibt es noch einen weiteren Anreiz. In der Frühzeit der Tonaufnahmen griffen die damaligen Künstler auch gerne zu gesangstechnischen Finessen, die auf der Bühne wirkungslos verpufft wären oder gegen ein volles Orchester nicht praktikabel gewesen wären. Ein krasser Gegensatz zu der heute zu beobachtenden Angleichung von Sängerstimmen bis zur Unkenntlichkeit. Natürlich möchte ich das praktische Handling einer CD nicht missen, aber sensible Ohren bemerken schnell auch den Unterschied zu einer Vinyl-Schallplatte. Daher verwundert es nicht, dass einige Plattenfirmen inzwischen ihre Top-Titel zeitgleich als CD und LP veröffentlichen.
Vor einigen Jahren wurde ich auf einem Berliner Flohmarkt fündig und erstand ein Grammophon mit großem Metalltrichter. Die dazugehörigen Platten fanden dann wie von selbst zu mir, ich möchte sie nicht mehr missen, wenn sie natürlich auch einen erheblichen Platzbedarf einfordern. Jeder Musikfreund sollte sich zumindest einmal diesen besonderen Klang gönnen, gleichzeitig muss man davor warnen: es besteht hohes Suchtpotential!
Peter Sommeregger, 21.Januar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert at.
Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Langes Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Lieses Klassikwelt (c) erscheint jeden Freitag.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Posers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Ricardo Muti und Anna Netrebko. Seit 25 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de .