Titelfoto: Cornelia Marschall (Krista), David Ameln (Vítek), KS Ulf Paulsen (Jaroslav Prus), KS Iordanka Derilova (Emilia Marty), Kostadin Argirov (Dr. Kolenaty), Tilmann Unger (Albert Gregor), Statisterie
Fotos © Claudia Heysel
Anhaltisches Theater Dessau, 2. Februar 2020
Leoš Janáček, Die Sache Makropulos (Věc Makropulos)
Von Guido Müller
Die Sache Makropulos dieser Oper in drei Akten von Leoš Janáček von 1926 nach der gleichnamigen Komödie von Karel Čapek ist zunächst das Rezept des Lebenselixiers, das der Alchemist des Habsburgerkaisers Rudolf II. Hieronymus Makropulos Anfang des 17. Jahrhunderts in Prag erstellte, um für den Kaiser ewiges Leben, ewige Jugend und Schönheit zu erreichen. Er testete es auf Wunsch des Kaisers an seiner Tochter Elina, die daraufhin in ein totenähnliches Koma fiel. Der Kaiser warf den Alchimisten ins Gefängnis, und die Tochter floh nach ihrem Erwachen. Sie lebte nun dreihundert Jahre bis zum Jahre 1922, in dem die Oper spielt und sie das Nachlassen ihrer Lebenskräfte spürt.
Zugleich ist die Sache Makropulos damit aber auch das Schicksal der äußerst attraktiven, aber aufgrund der ewigen zwischenmenschlichen Wiederholungen in den Erfolgen und dem Scheitern in der zunehmenden seelischen Kälte, der Sinnlosigkeit und der inneren Leere erstarrten Elina. Sie hat über drei Jahrhunderte in diversen Frauengestalten Gestalt angenommen, deren Namen alle mit den Inititialen E und M beginnen.
Diese Vorgeschichte wird in der thrillermässigen Opernhandlung allerdings erst langsam und ganz dann im dritten Akt deutlich. Bis dahin zeigt sich die Opernsängerin und mysteriöse Frauengestalt Emilia Marty im ersten Akt in einer Anwaltskanzlei sehr an den Dokumenten eines seit fast hundert Jahren zwischen den Prozessgegnern der Familien des Barons Jaroslav Prus und des Albert Gregor interessiert. Dabei zeigt sie sich erstaunlich gut informiert über hundert Jahre zurück liegende Ereignisse. Da sie das Rezept damals einem ihrer Liebhaber überlassen hatte, treibt sie nun die Angst vor dem Tod an, es sich aus den bei Prus aufbewahrten Dokumenten zu beschaffen. Bereits im ersten Akt wird ihre große erotische Attraktivität auf alle Männer ihrer Umgebung deutlich, die sie für ihre Zwecke auszunutzen sucht. Zugleich zeigt sie aber auch ihre große Kälte und innere Leere.
Im zweiten Akt steigert sich dies noch, und die unterschiedlichsten Männer vom Machtmenschen bis zum senilen Narren, vom jungen Naiven bis zum alten Sadisten erliegen der kalt-schönen Ausstrahlung Emilias. Dabei ergeben sich ähnlich wie im ersten Akt auch komische Momente. Schließlich gelingt es ihr auch den Sohn von Prus, Janek, zum Diebstahl zu verführen. Doch der Vater überrascht ihn mit Emilia und erniedrigt ihn. Er verspricht Emilia das gewünschte Dokument gegen eine Liebesnacht.
Zu Beginn des dritten Aktes beklagt Prus die Enttäuschung, die die kalte Emilia ihm in der Nacht bereitet hat. Und er erfährt vom Freitod seines enttäuschten Sohnes. Aber auch Emilia Marty hat im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche psychische und körperliche Verletzungen durch gewalttätige Männer erlitten. Als den anwesenden Männern immer deutlicher das Geheimnis der durch die Jahrhunderte bewahrten Identität der Elina Makropoulos deutlich wird, verspricht sie alles aufzuklären.
Da Emilia Marty nun das Rezept in Händen hat, wird ihr deutlich, dass der Tod zum Leben gehört. Sie will nicht weiterleben, da sie erkennt wie wahrhaft glücklich die Menschen mit kurzer Lebensdauer sind. Diese können sich am Leben freuen und genießen, weil es endlich und kurz ist. Die unbegrenzten Wiederholungen ihres Lebens haben hingegen in eine Entwertung aller Empfindungen und Beziehungen bis zur gänzlichen Kälte und Leere ihrer Seele geführt. Keiner der Männer will nun das Rezept an sich nehmen. Auch die junge Opernsängerin Krista, Tochter des Kanzleigehilfen Vitek und ehemalige Geliebte des Prus-Sohnes Janek, der sich wegen Emilias Zurückweisung getötet hatte, nimmt das Rezept schließlich nur an sich um es zu verbrennen.
Die Fragen nach dem Wert des Lebens und der Bedeutung des Todes wie nach dem Kreislauf von Leben und Tod haben einen zentralen humanistischen Stellenwert im Opernschaffen von Janáček. Musikalisch gelingt es ihm diese humane Thematik im Schlussgesang der Emilia Marty in Form eines großen, stark berührenden Adagios enorm zu steigern. Dabei gewinnt die sterbende Operndiva schließlich nicht nur das Mitleid der anwesenden Männer und sogar Kristas auf der Bühne sondern wie von Janáček angestrebt auch des Publikums.
Sonst herrscht in der Oper der Konversationston vor, mit dem Janáček auf beeindruckende Weise seine Komposition der tschechischen Sprachmelodie unterwirft. Das große Orchester unterlegt sinfonisch die Dialoge und den expressiven Gesang teilweise mit starken expressiven Kontrasten und Motivwiederholungen. Die Musik drängt dabei fast ständig stark die Handlung vorwärts.
Die bestens disponierte Anhaltische Philharmonie Dessau folgt dabei dem präzisen und zugleich anfeuernd-drängenden Dirigat von Markus L. Frank in herausragender Weise. Dabei dient sie dem von Janáček als seine dramatischste Oper angesehenen Werk in glänzender Weise.
Die Inszenierung von Jakob Peters-Messer rückt einen ruinierten Bühnenrahmen als Zeichen für Zeit und Verfall ins Zentrum, als Ort mysteriöser Figuren und Ereignisse (Bühnenbild Markus Meyer). Im betonten Kontrast dazu bevölkert das Bühnenpersonal von Beleuchtern, Putzfrauen, Technikern die Bühne und baut ab und auf. Damit sucht er den Kontrast zur eleganten und mit größter Präsenz und Eleganz agierenden Operndiva und kalten Femme fatale zu erhöhen. Auch die Kostüme (Sven Bindseil) changieren zwischen historischen aus dem 16. Jahrhundert – wie im Fall ihrer 16jährigen Doppelgängerin (Karla Heintze) – und den Zwanziger Jahren wie heutigen, um die zeitlichen Kontraste und die Aktualität des Themas zu verdeutlichen.
Ganz im Zentrum dieser Inszenierung und der musikdramatischen Realisierung steht auf höchstem Niveau die großartige Sängerdarstellerin und Kammersängerin Iordanka Derilova. Sie beeindruckt in allen Lagen und Registern ihres hochdramatischen Soprans von feinstem und zartestem Gesang bis in die hochdramatischen Ausbrüche ihrer Partie. In jedem Moment hört man ihr mit größter Anteilnahme und Begeisterung zu. Frau Derilova macht deutlich wie Musiktheater mit dem Herzblut einer großen Sängerin und einer packenden charismatischen Schauspielerin zutiefst zu bewegen vermag.
Um sie herum agiert ein hervorragendes Ensemble auf gleichem Niveau ohne Ausfälle oder Schwächen auch in den kleinsten Rollen. Die männliche Kraft und das stimmliche Ausdruckvermögen von Tilmann Unger als Albert Gregor und von Ulf Paulsen als Jaroslav Prus spiegeln nicht nur die erotische Faszination der im Zentrum der Oper stehenden Diva. Sie vermögen auch für sich sehr stark mit ihren auch gesanglich stets sehr präsenten Sängerpersönlichkeiten zu beeindrucken. Dies gilt aber genauso für den weiteren Kranz des männlichen Personals von David Ameln als Kanzleigehilfen Vitek, Christian Sturm als Janek Prus, Kostadin Argirov als Rechtsanwalt Dr. Kolenaty und ganz besonders Alexander Nikolic in der köstlichen Charakterrolle des dement-schusseligen Graf Hauk-Schendorf. Cornelia Marschall verleiht der Krista, der Tochter Viteks, eine besonders attraktive stimmliche und darstellerische Präsenz, die es schließlich als Bewunderin und Konkurrentin mit Emilia Marty aufzunehmen hat.
Am Ende dieser zweiten Vorstellung nach der Premiere gibt es stürmischen Beifall und zahllose Bravorufe des Publikums für alle Beteiligten. Sie machen deutlich, dass auch ein anspruchsvolles Werk in tschechischer Sprache in einer so hohen musikalischen, schauspielerischen und inszenatorischen Qualität das Publikum eines Opernhauses abseits der Metropolen zu begeistern vermag. Unbedingte Besuchsempfehlung dieser Produktion, bei der es für auswärtige Opernfreunde erfreulicherweise auch noch weitere Nachmittagstermine gibt.
Guido Müller, 3. Februar 2020, für
für klassik-begeistert.de
Inszenierung: Jakob Peters-Messer
Musikalische Leitung: Markus L. Frank
Bühne: Markus Meyer
Kostüme: Sven Bindseil
Chorleitung: Sebastian Kennerknecht
Dramaturgie: Felix Losert