Kulturpalast Dresden, 21. Februar 2020
Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko, Dirigent
Foto: © Monika Rittershaus (c)
Igor Strawinsky, »Sinfonie in drei Sätzen«
Bernd Alois Zimmermann, »Alagoana« (Caprichos Brasileiros)
Sergej Rachmaninow, Sinfonische Tänze op. 45
von Pauline Lehmann
Hochkarätig, präzise und voller Emphase: Mit Werken von Igor Strawinsky, Bernd Alois Zimmermann und Sergej Rachmaninow heizen Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker den Dresdner Kulturpalast kräftig ein, und so lässt sich nach diesem überragenden Konzerterlebnis auf jeden Fall sagen, die neue künstlerische Liaison in Berlin ist ein Glücksfall und die Dresdner Musikfestspiele beweisen für ihre Palastkonzerte abermals ein gutes Händchen.
In diversen Konzertführern und auch in den Spielplänen ergattern alle drei Werke selten einen Platz. Umso wirkungsvoller ist es, dass Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker diese verborgenen Schätze der musikalischen Moderne in einem Konzert zusammenbringen. Entstanden in der Mitte des letzten Jahrhunderts, ist der Nachhall des Zweiten Weltkriegs in allen drei Werken spürbar.
Während der Ballettsuite »Alagoana« flüstert eine Frauenstimme in der hinteren Reihe etwas von einer „schrecklichen Musik“, in Gesprächsfetzen während der Pause ist davon die Rede, dass die Musik aufs Herz gehe und in der zweiten Konzerthälfte bleiben in der Reihe vor mir zwei Plätze unbesetzt – für manches Ohr mögen die Klänge neu und ungewohnt sein, doch Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker erobern sich das Dresdner Publikum, denn die Standing Ovation am Schluss ist so emphatisch wie das Konzert selbst.
Die musikalische Partnerschaft zwischen dem Orchester und seinem neuen Chefdirigenten spornt beide Seiten zu Höchstleistungen an. Mit seinem federnd-grazilen Dirigat führt Kirill Petrenko die Berliner Philharmoniker punktgenau und er vermag es, gemeinsam mit ihnen dynamische Klippen zu überspringen und ein Aufbrausen in einem verhaltenen Pianissimo aufzufangen. Dabei entsteht eine stoische Ruhe, die sich gleichsam auf das Publikum überträgt.
Igor Strawinsky verstand seine Werke als pure Musik. Ohne jegliche außermusikalische Intention sollten sie nicht semiotisch sein, sondern der Sinn ist die Musik selbst. Diesen unmittelbaren körperhaften Gestus transportieren Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker eindringlich.
In seiner »Sinfonie in drei Sätzen«, an der Igor Strawinsky in den Jahren von 1942 bis 1945 im amerikanischen Exil arbeitete, treten neben einem enorm verdichteten sinfonischen Gefüge solistische Episoden. Schroffe Tutti, tänzerisch leicht getupfte Passagen der Streicher, Bläsereinwürfe sowie der Solopart von Klavier und Harfe verlangen ein enorm konzentriertes Zusammenspiel, das die Berliner Philharmoniker mit Bravour meistern. Der Schluss verfehlt seine fulminante Wirkung keinesfalls.
Mit Bernd Alois Zimmermanns »Alagoana« (Caprichos Brasileiros) bringen Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker vor der Pause südamerikanisches Flair in den Dresdner Kulturpalast. In seine Kompositionen, die an Klangfarben, Collagen und Zitaten reich geschichtet sind, flicht Zimmermann ein »pluralistisches« Denken von der »Kugelgestalt der Zeit« ein, wonach Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges gleichzeitig bestehen.
Sergej Rachmaninows Sinfonische Tänze op. 45 sind Kirill Petrenkos Trumpf im Ärmel und eine Versöhnung mit dem Publikum. Zeit seines Lebens sah sich Rachmaninow als russischer Komponist und so atmen seine 1941 in Philadelphia uraufgeführtenSinfonischen Tänze als »Klänge der Heimat« die russische Seele. Anders als bei Strawinsky ist Rachmaninows Zugang zur Musik ein persönlicher, für ihn ist sie das »gesamte Produkt der Erfahrungen des Komponisten«.
In den Sinfonischen Tänzen resümiert er über sein musikalisches Œuvre. So sind die drei Sätze reich an Selbstzitaten, am Ende des 1. Satzes klingt das Thema seiner Ersten Sinfonie an, jenes Werk, dessen Misserfolg sein ganzes Leben überschatten sollte und seinem kompositorischen Schaffen Phasen des Schweigens brachte. Diesen reflexiven Gestus tragen die Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko in den Konzertsaal und es entsteht ein beseelender, wunderbarer Klang.
Den Reigen der nunmehr bereits dritten Saison der Palastkonzerte werden am 25. März 2020 Renée Fleming und Jewgenij Kissin mit einem romantisch-impressionistischen Liederabend beschließen. Das Duo interpretiert dann Werke von Liszt, Schubert, Duparc und Debussy. In allen Preiskategorien (20 – 110 €) gibt es noch vereinzelt Karten.
Pauline Lehmann, 23. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at