Die reale Welt ist derzeit auch coronabedingt aus den Fugen geraten. Die Opernhäuser spüren dies in besonderem Maße. Keine Zuschauer bedeuten keine Eintrittseinnahmen. Das ist zum Weinen traurig. Wer weint, braucht ein Taschentuch. Das Taschentuch (italienisch: fazzoletto) ist der zentrale Gegenstand im Otello: Das Mittel Jagos, seine böse List in die Tat umzusetzen.
Auch dem Rezensenten kommen öfters die Tränen. Nicht nur wegen des coronabedingten Totalausfalls der geliebten Opernvorstellungen, sondern auch, wenn offensichtliche Meisterwerke wie die zu rezensierende Otello-Neueinspielung von griesgrämigen Motzern mehr oder weniger grundlos schlecht rezensiert werden.
Denn die Neueinspielung des Otello (von Sony Classical) ist mehr als meisterlich.
Fangen wir mit Federica Lombardi als Desdemona an. Wie fantastisch besingt sie die Weide im 4. Akt. Ihre Piani betören; auch das sich anschließende Ave Maria ist derzeit wohl kaum zu überbieten. Auch hat sie die Fähigkeit, Trauer, Anmut und Angst stimmlich auszudrücken. Welch ein Segen. Hier vereinen sich Stimmkraft, caballésche Piano- und Legatokultur zu etwas Neuem und zwar zu etwas ganz Wunderbarem. Man darf sich uneingeschränkt darauf freuen, Meastra Lombardi in dieser Rolle live erleben zu dürfen. Eine Weltklasse-Desdemona.
Carlos Álvarez ist ein stimmgewaltiger Parade-Jago wie aus dem Bilderbuch: Höchst textverständlich, stimmlich abgrundtief schwarz, böse und durchtrieben. Man nimmt ihm sein fieses Spiel durchgehend ab. Wenn er live genau so überzeugt, wie auf vorliegender CD-Einspielung, gehört er zu den ganz großen Jagos a la Tito Gobbi.
Die Welt ist derzeit aus den Fugen geraten. Anders ist es nicht zu erklären, dass einige Wenige die Leistung von dem wunderbaren Tenor Jonas Kaufmann schlecht rezensiert haben. Kaufmann singt hier einen Otello, der u.a. an Facettenreichtum schwer zu überbieten sein dürfte. Die nörgeligen Spitzenton-Beharrer sollen einfach Ruhe geben und sich Juan Diego Flórez anhören. Geschmäcker sind verschieden. Wer Otello liebt und kennt, der weiß, dass es für eine sängerische Bestleistung nicht auf unbedeutende Spitzentöne ankommt (obwohl Kaufmann auch diese auf der Aufnahme durchaus meistert).
Kaufmann singt seine Partie wunderschön: Stark, dynamisch und vor allem einfühlsam. Das „Eppur qui annida il demone…“ macht ihm derzeit keiner nach. Kaufmann hat genau die baritonale Grundfärbung in der Stimme, die man für den verzweifelten Feldherrn benötigt.
Fazit: Aufnahme anschaffen, zuhören, wegdriften, glücklich sein! Ulrich Poser, 2. Juli 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-beigeistert.at
Der Mann kann wohl nicht hören. Zu wenig Verdi bei Kaufmann, zu wenig Emphase, zu wenig squillo, zu wenig leuchtend Lyrisches, dagegen gutturales Singen, baritonal vergewaltigte Stimme, Knödeln gar, manierierte Höhen, etc.
Lombardi ist ok aber mehr nicht, da fänden sich zehn andere, die dieser unterschätzten Figur gerechter werden könnten. Auch ist Lombardis Stimme nicht ausgereift. Einzig das Gebet ist gelungen. Álvarez ist nur teilweise gut. Seine Dämonie reicht nicht, elegante Feinheit für die verächtliche Stimmung ist nicht vorhanden. Die Aufnahme lohnt einzig wegen Pappano, aber das reicht nicht. Autor Poser posiert hier unqualifiziert für den überschätzten Kaufmann.
Vinay, Vickers, Domingo, McCracken, Cossutta, Cecchele, Kunde, Atlantov, Monsalve und weitere sind allemal besser als Kaufmann. Vor allem waren (zwei sind es noch) sie alle live der viel bessere Otello. Diese Einspielung hätte niemand gebraucht. Und zusammenschnipseln ist nie die Prüfung, die die Bühne verlangt. Nein, Herr Kaufmann, das ist nicht Ihr Ding. Und Herr Poser, Ihre Sache ist das hier auch nicht.
Robert Forst
Lieber Herr Forst!
Jonas Kaufmann ist jetzt eh Intendant! 🙂
https://klassik-begeistert.de/die-montag-presse-2-september-2024/
Jürgen Pathy
Der Mann kann wohl nicht Partitur lesen.
Alle der oben als gut Aufgezählten haben irgendwas dahergesungen – nur das nicht, was Verdi in den Noten geschrieben und den Briefen gefordert hat.
Nein, Herr F-or/rost – Ihre Sache ist das auch nicht.
Emil Katz
Meisterlich? Ich glaube es nicht. Jonas Kaufmann hat den wahren Größen in dieser Rolle nichts hinzuzufügen. Sein Singen ist von künstlich erzeugter Virilität gekennzeichnet, er drückt die Stimme bewusst ins Baritonale, oft klingt er guttural, fast knödelnd gelegentlich, seine Piani sind von falsettähnlichen Unarten und Manierismen begleitet. Ihm fehlt verdischer Applomb, Durchschlagskraft, wahre Verzweiflung, die leuchtenden, durchscheinenden Höhen etwa auf starker lyrischer Linie fehlen ganz.
Jon Vickers, Carlo Cossutta, Giovanni Martinelli und allen voran RAMÓN VINAY bezeugen einen echten Verdi-Otello. Es ist die Musik selbst, die ein solches Singen verlangt.
Del Monaco und Domingo sind nur eingeschränkt von Überzeugungskraft. Atlantow ebenso. Diese Aufnahme mit Kaufmann war völlig unnötig. Nur Kaufmann-Fans, die sogar sein Husten bewundern würden, dürfen sich glücklich schätzen. Ein völlig überschätzter Tenor. Ein überzeugender Otello war übrigens auch der Schwede Torsten Ralf.
Sony labert mal wieder poetischen Unsinn über seinen Star. Nein, Herr Kaufmann, der Otello ist für Sie mehrere Nummern zu groß.
Jan de Turovski
Ob Sie es glauben oder auch nicht ist ziemlich wurscht.
Kaufmann ist der einzige der von Ihnen Genannten, der die Töne so (Höhe, Lautstärke) singt, wie sie Verdi in der Partitur niedergeschrieben hat – und nur darauf kommt es an; nicht aber, was ein unwissendes Publikum erwartet.
Was „verdischer Applomb“ (sic!) sein soll, das versteh ich nicht, auch nicht, „was leuchtende, durchscheinenden Höhen etwa auf starker lyrischer Linie“ bedeuten soll – unwichtiges, belangloses Geschreibe.
Emil Katz
Hanjo Kesting schrieb in der FAZ mit Verweis auf Peter Ustinovs Ausspruch: Es gibt so etwas, wie die ideale Fehlbesetzung. Sehr richtig. Das ist Kaufmann als Otello.
Hätten alle Beteiligten die Fähigkeiten und die Darbietungskraft eines Pappano, dann hätte es eine Sternstunde werden können. So aber ist die Aufnahme gänzlich überflüssig.
Robert Forst
Widerspruch. Sein Wiener „Otello“ war mein Highlight der Saison 2023/24. Man muss Jonas Kaufmanns Interpretationen stark an der Tagesform messen. An der Wiener Staatsoper, Samstag, 28. Oktober 2023 – zum Niederknien. König Kaufmann!
Jürgen Pathy
Mich lässt eher zweifeln, ob Federica Lombardi richtig am Platz ist. An der Wiener Staatsoper lässt sie Bogdan Roščić in der Saison 2024/25 als „Norma“ auflaufen. Ihre Kostprobe von „Casta Diva“ war nicht gerade vielversprechend. Vielleicht war es der Tageszeit geschuldet. Sonntag Mittags ist keine Keit, zu der Opernsänger zur Höchstform auflaufen. Anna Netrebko widerlegt diese These jedoch. Sie stand kurz danach auf der Bühne. Kein vergleich. Zwei Welten, die da aufeinandergeprallt sind.
Jürgen Pathy
Hörte gerade Aida in Napoli. Das Beste war die Amneris von Anita Rachvelishvili und das Dirigat von Mariotti. Wenn Kaufmann kein Otello ist und das ist er nicht, allenfalls die ideale Fehlbesetzung, so ist er auch kein Radamès, was man schon in der Einspielung mit Harteros hören kann. Voce durissima ingolata quella di Kaufmann, wie wir sagen, ständig verschluckte Stimme. Immer fragt man sich auch, ist er nun Bariton oder Tenor. Uneben der Wechsel von mezzoforte zum piano, das oft nur kopfstimmig gehaucht ist. Gelegentlich röhrt Kaufmann auch und knödelt. Das Argument, es gibt doch viel schlechtere, lasse ich nicht gelten.
Und das Publikum in Italien wusste es richtig. Den größten Applaus bekamen die Rachvelishvili und Mariotti. Zu Recht.
Franco Bastiano
Paris V.
Wunderliche Behauptungen von jemandem, der sich mit Noten nicht auskennen dürfte und mit einer Partitur schon gar nicht.
Es ist eine Rarität, wenn ein Sänger notengerecht – nach Tonhöhe und Lautstärke (an-und abschwellend) – eine Rolle darstellt, die normalerweise durchgebrüllt wird.
Und besonders eigenwillig ist es, wenn sowas als Messlatte verlangt wird – wie hier vielfach dargestellt!
Die italienischen Kritiker wussten die Leistung zu würdigen.
Emil Katz
…was immer man von den vokalen Darbietungen des JK halten mag, es dürfte keinen Sänger geben, der kontroverser betrachtet wird. Es scheinen dann jeweils zwei Konzerte gewesen zu sein. Die persönlichen Anfeindungen, das Zweifeln an der Kompetenz der Kritiker, folgen auf dem Fuße. Warum sollte ich, wer bin ich? Ich respektiere andere Auffassungen, auch wenn ich sie nicht teile.
Tatsächlich muss jeder Sänger mit dem ihm z.V. stehenden Mitteln das Optimum zu erreichen versuchen. Nur, bei Herrn Kaufmann wird das nicht mehr. Allen theoretisierenden Interpretationserklärungen zum Trotz. Es ist die Stimme, nicht weniger, nicht mehr. Italianità, Squillo, werden nur optisch, nicht akustisch erzeugt. Der Registerausgleich, das seltsame, ungestützte piano, die stets gaumige, unsaubere Mittellage, das Passaggio. Ein ehemaliger 2. Tenor der Staatsoper Stuttgart hat mir, nach kurzer Hörprobe, bedeutet, die Interpretation des Cavaradossi durch JK abzubrechen. Auch die Optik leidet inzwischen erheblich. Kein einziger Ton leuchtet und strahlt. Dazu der gequälte Gesichtsausdruck. Wie sollen es dann die Sterne zu mehr als trübem Glanz bringen?
Selbst im Gesang einigermaßen versiert, lehnt meine Gesangslehrerin die stimmlichen Darbietungen von Herrn Kaufmann inzwischen komplett ab. Sein Stolzing, kein Meistersinger, der Tannhäuser höchst grenzwertig, der Tristan, so viele Interpretationserklärungen kann ich gar nicht lesen. Der Lohengrin? Das stehen Völker, Anders, Schock, Kónya u.a. weit weit davor. Der Manrico steht längst nicht mehr auf dem Programm, usw… Der letzte Liederabend in München, „mit hörbar angegriffener Stimme.“ Als Zuhörer wäre ich mir angesichts der Ticketpreise betrogen vorgekommen. Das Publikum hat trotzdem applaudiert.
Die Turandot mit Frau Grigorian in Wien, kaum hörbar JK. Der Kritiker schreibt mir, er sei nur wg. Frau Grigorian da gewesen. Herr Kaufmann habe er in Kauf genommen.
Die historischen Vorbilder Del Monaco, Vinay, Melchior, Vickers, Cossutta, McCracken, King, Kozub, sind weit entfernt, waren und sind unerreichbar. Andere Große haben weise auf die Bühneninterpretation verzichtet. Ein Bayerischer Kammersänger sagte mir einmal, „ der Del Monaco hatte ja alles.“ Wie die „Welt“ schreib, „JK hat alles, außer die Stimme“ für den Otello.
Heute scheint mir das historische Wissen über die wahrhaft Großen ihrer Zunft zunehmend zu verschwinden. Ein Martin Muehle, ein großartiger, aktueller Interpret des Otello, ist nur Fachleuten ein Begriff. Aber was für einer!
Man darf nur mit den Zinsen singen, nicht mit dem Kapital. Eine falsche Rollenauswahl war vor ca. 10 Jahren die Grundlage für den Erfolg von JK. Wirtschaftlich. Bella Figura ist nicht alles.
Was immer in früheren Jahren besser war, perfekt war nur wenig, inzwischen ist die Stimme des JK ein vokales Trümmerfeld. Viele reagieren dennoch höchst sensibel auf Kritik an ihrem Sänger-Idol. Was den Gesang jedoch nicht besser macht. Sein letzter, verbürgter, hervorragender Auftritt war „Die tote Stadt“ an der Bayerischen Staatsoper München. Das lasse ich als Kompliment für Herrn Kaufmann gerne stehen…
Konrad Messerer
Lieber Herr Messerer,
da haben Sie sich aber mächtig ins Zeug gelegt, um wieder einmal mehr gegen Jonas Kaufmann loszuledern! Mit diesem Text geben Sie sich ja geradezu der Lächerlichkeit preis. Doch auch ich respektiere Ihre Einschätzung, teile sie natürlich überhaupt nicht.
Letzten Freitag bei der Tosca-Hitze-Schlacht in der Arena di Verona konnte ich mich davon überzeugen, dass nichts, aber auch gar nichts von dem, was Sie da von sich gegeben haben, der Realität entspricht. Nicht nur Elena Stikhina und Ludovic Tézier waren dort hinreißend, sondern auch und gerade Jonas Kaufmann präsentierte sich als Mario Cavaradossi in beeindruckender stimmlicher Performance. Was zu Recht vom begeisterten Publikum entsprechend honoriert wurde.
Franz Büchel
Übrigens, am 12. September ist JK bei den Hollywood Bowl Concerts in Los Angeles zu Gast. Wie schön liest es sich, wenn unser Münchner Weltstar dort mit den Worten „often called the world’s greatest tenor“ angekündigt wird.
Damit müssen Sie leben, Herr Messerer!