Ein Bericht aus dem Garten der Villa Wahnfried in Bayreuth
Wahnfried Open Air, Foto: Olaf Barthier (c)
von Olaf Barthier
Wir schreiben den 25. Juli 2020 und befinden uns in der oberfränkischen Provinz in einer Stadt, die sich an diesem Tag schon seit 149 Jahren aus einer idyllischen Kleinstadt in eine Metropole verwandelt. Aus aller Welt reisen Menschen an, die verschiedenste Sprachen sprechen, unterschiedlichsten Kulturen angehören, aber alle tief im Inneren große Wagnerianer sind. Sicherlich sind in der ersten Woche auch viele Promis unter den Gästen, denen es nicht nur um Wagner geht, die aber unter dem großen Kulturtrubel weitere Interessen mit dem Bayreuthaufenthalt verbinden. Ab der zweiten Woche nimmt die Anzahl derer, für die der Wagnerkult schon fast eine Religion ist, exorbitant zu. Der größere Teil der Bayreuther Bürger tritt alljährlich die Flucht an, andererseits wird jedes Bett und noch so kleine Kammer an angereiste Musiker und Wagnerianer zu interessanten Preisen vermietet.
2020 ist nun alles anders. Die Stadt ist nicht voll, das Festspielhaus verwaist. Etwa 400 Gäste haben im Garten der Villa Wahnfried Platz genommen und schauen gespannt auf zwei große Open-Air-Monitore. Dr. Sven Friedrich, Leiter des Richard-Wagner-Museums, befragt zu diesem Konzert, kommentierte in seiner typisch ironischen Art, dass er damit nichts zu tun habe. Darauf angesprochen, dass er doch der Hausherr sei, meinte er, dass er sich gegen das Konzert nicht gewehrt habe. Um 16 Uhr begann die Übertragung aus dem Wohnzimmer von Richard Wagner. In der Anmoderation wurde den Besuchern mitgeteilt, dass dieses das Eröffnungskonzert und auch Abschlusskonzert der diesjährigen Bayreuther Festspiele ist. Unter der Leitung des hochverehrten Christian Thielemann und 14 Mitgliedern des Bayreuther Festspielorchesters sowie am Klavier Jobst Schneiderat und nicht nur irgendein Klavier, sondern der Flügel von Richard Wagner.
Jobst Schneiderat, Repetitor an der Dresdner Semperoper, ist mir sehr gut bekannt: Ich erinnere mich noch gern an ein Konzert, bei dem er mit seinem Kollegen, Johannes Wulff-Woesten an zwei Flügeln die Overtüre vom „Fliegenden Holländer“ interpretiert hat. Es war großartig, wie vier Hände an zwei Instrumenten ein ganzes Orchester abgebildet haben.
Wieder zurück zum heutigen Nachmittag. Als Solisten wirkten mit Klaus-Florian Vogt und die großartige Camilla Nylund aus Dresden. Eröffnet wurde das Konzert, wie sollte es anders sein, mit den „Meistersingern von Nürnberg“, was als Premiere für die Festspiele geplant war. Die erste Arie, „Fanget an“ aus dem 1. Aufzug war eine treffliche Eröffnung. Die akustische Wiedergabe wurde am Anfang häufiger nachjustiert und war etwas problematisch. Wie ich später von Herrn Schneiderat erfahren habe, war der Raum wegen der geringen Anzahl von Menschen sehr hallig und führte zu diesen Übertragungsschwierigkeiten.
Bei den ersten beiden Stücken sangen die Solisten nur mit Klavierbegleitung. Bei dem zweiten Liedvortrag, der sogenannten Liebeserklärung von Stolzing an Eva aus dem 2. Aufzug, wurde es sehr emotional, Camilla Nylund war sehr überzeugend. Als nächster Programmpunkt mit dem Bayreuther Festspielorchester wurde das „Siegfried-Idyll“ vorgetragen – dieses sehr leidenschaftliche Stück hatte für mich die Kraft, Hoffnung auszustrahlen, damit auch die Bayreuther Festspiele aus diesen tragischen Zeiten wieder gestärkt auferstehen und vielleicht sogar zu einer anderen Kraft und Verständigung führen werden.
Vielleicht genau so, wie Richard Wagner seinem Sohn damit ein glückliches und erfülltes Leben prophezeien wollte. Nun zum dritten Teil. Camilla Nylund , begleitet vom Bayreuther Festspielorchester, interpretiert die Wesendonck-Lieder. Mit großer Leidenschaft spiegelt sie die unerfüllte Liebe zwischen Richard Wagner und Mathilde Wesendonck wieder. Man hört schon sehr deutlich, was Richard Wagner später aus diesem Thema gemacht hat, nämlich Tristan und Isolde. Für den Zuhörer heute hatte das so den Anklang, dass die Festspiele und die Wagnerianer dieses Jahr in Bayreuth nicht zusammenkommen und mit dem Schmerz der Isolde zu Hause am Radio oder Fernseher leiden müssen.
Olaf Barthier, 25. Juli 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at