Foto: Vladimir Jurowski, © Simon Pauly
Philharmonie Berlin, 11. September 2020
Marco Blaauw Trompete
Hannes Hölzl, Robert Franke. Thomas Richter, Jörg Lehmann Posaunen
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Vladimir Jurowski Dirigent
Richard Strauss Metamorphosen
Rebecca Saunders „White“
Ludwig van Beethoven Drei Equale für vier Posaunen
Symphonie Nr,. 5 c- moll
von Peter Sommeregger
Erneut präsentiert Vladimir Jurowski mit seinem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin beim Musikfestes Berlin ein klug zusammengestelltes Programm. Dieses war schon lange vor dem Eintritt der Pandemie festgelegt, aber es passt auch ausgezeichnet in diese schwierigen Zeiten.
Am Beginn stehen Richard Strauss‘ „Metamorphosen“, ein Stück für 23 Solostreicher. Strauss schrieb diese tief traurige Musik in der Erschütterung über das kriegszerstörte München. Ein wehmütiger Grundton durchzieht das Stück, dem Meister der Instrumentation, der Strauss nun einmal war, gelingen interessante Wendungen und Variationen des ursprünglichen Hauptmotivs. Dass Jurowski ein teilweise zügiges Tempo anschlägt, bekommt dem Werk doch recht gut.
Es folgt ein 18-minütiges Konzert für Doppeltrichtertrompete solo „White“, komponiert von Rebecca Saunders und virtuos ausgeführt von Marco Blaauw. Einen Zugang zu dem Werk zu finden, ist nicht einfach. Faszinierend die technische Brillanz des Solisten, was er der Doppeltrichertrompete entlockt, ist phänomenal. Eine musikalische Struktur zu entdecken, der man folgen kann, gelingt allerdings nicht. Die Triller, Piani und sonstigen Wendungen erinnern stellenweise doch auch an Gurgellaute, man meint die Atemgeräusche des Trompeters zu hören. Am Ende bleibt bei allem Respekt doch ein zwiespältiger Eindruck.
Einen höchst passenden Übergang zur 5. Symphonie Beethovens bilden die drei Equale für vier Posaunen, die Beethoven 1812 auf Bitten des Linzer Domkapellmeisters Göggl als Musik für den Allerseelentag, den 2. November komponierte. Er konnte nicht ahnen, dass genau diese Stücke in einer Bearbeitung für Männerchor bei seiner eigenen Beerdigung am 29. März 1827 erklingen würden. Jurowski springt übergangslos in das so genannte Schicksalsmotiv der 5. Symphonie, die er in ungewohnter Orchesterbesetzung aufführen lässt.
Es erklingen Naturhörner ,–trompeten und –posaunen, die Streicherstärke ist der Entstehungszeit angepasst. Das im Stehen spielende Orchester erhält dadurch mehr Bewegungsfreiheit, was der Intensität der Aufführung sehr zugute kommt. Man hört einen sehr direkten, prallen Beethoven, Jurowski nimmt sehr straffe Tempi, aber ohne zu hetzen. Man erlebt eine Schrecksekunde am Ende des ersten Satzes, als einige wenige Zuhörer zu applaudieren beginnen. Wahrscheinlich jene, die zuvor schon den Aufstellern der Stühle und Notenpulte Beifall spendeten. Mangelnde Bildung will offenbar ausgestellt werden.
Nach einem sehr zarten, zurückgenommenen 2. Satz beginnt die Überleitung zum befreienden C-Dur. Jurowski denkt diese Symphonie ganz vom Ende her, der strahlende Durchbruch zum C-Dur gelingt sieghaft, der Dirigent springt emotional befeuert in die Höhe, fast fühlt man sich an Leonard Bernstein erinnert, der in ähnlicher Weise seine Emotionen in Bewegung umsetzte. Diese Aufführung der Symphonie, die man schon zu Tode gespielt glaubte, demonstriert wieder einmal deutlich, dass ein charismatisch innovativer Zugang auch eine veränderte Sicht auf ein Werk erlaubt.
Am Ende werden Jurowski und seine Musiker ausgiebig gefeiert, emotional doch deutlich aufgerichtet legt man seine Maske wieder an und fügt sich erneut in die Spielregeln, die uns die Pandemie aufgezwungen hat.
Peter Sommeregger, 12. September 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at