Eine festspielreife Produktion von Händels „Teseo“ begeistert an der Oper Halle

Georg Friedrich Händel, Teseo  Oper Halle, 2. Oktober 2020

Oper Halle, 2. Oktober 2020
Georg Friedrich Händel, Teseo (Premiere)

Fotos: (c) Falk Wenzel

von Guido Müller

Im Juni diesen Jahres mussten die Händel-Festspiele in Halle an der Saale bedingt durch die Corona-Pandemie-Vorschriften abgesagt werden. Damit entfiel auch die traditionell von der Oper in seiner Geburtsstadt verantwortete Produktion der Oper Teseo zur Eröffnung der Festspiele. Die geplante frühe und 1713 in London mit großem Erfolg uraufgeführte Oper Händels wurde unter künstlerischer Leitung durch das Team Martin G. Berger (Regie) und Attilio Cremonesi (musikalische Leitung) nun zum Beginn der Spielzeit in einer neuen neunzigminütigen Spielfassung dargeboten. Mit Abstandsregelungen, radikaler Reduktion des Händelfestspielorchesters auf wenige Solisten und ohne Pause wurde nun allen Vorschriften entsprechend eine Reduktion realisiert. Und das gelingt grandios.

Berger und Cremonesi scheinen geradezu das ideale Paar für die geforderte Konzentration unter den aktuell erschwerten Bedingungen des Musiktheaters zu sein. Es geht Nichts an Sinnlichkeit und intellektuellen Möglichkeiten des Musiktheaters verloren. Im Gegenteil vermögen beide es beide mit ihrem Team und den hervorragenden Sängern und dem Händel-Festspielorchester noch zu steigern: eine wahrhaft festspielreife Produktion.

Das Leitungsteam stellt nicht nur Arien, Duette, konzertante Rezitative und Instrumentalstücke der Oper in Form eines Pasticcios neu zusammen. Dabei ordnen sie auch Stimmfächer und Rollen wie ursprünglich vom Alt gesungende Frauen-Partien nun neu z.B dem Bassbariton zu.
Vor allem rücken sie aber die Figur der Medea als Modelle von exaltierter und vertiefter Weiblichkeit in verschiedenen Spiegelungen und historischen Stufen in den Mittelpunkt. Medea als mehrfach gebrochene weibliche Projektionsfläche dient dabei sowohl ihrem Mitspieler wie dem Publikum. Der ewige und unentrinnbare Kampf der Frau gegen das Partriarchat seit in der Neuzeit – ob in Form des Mannes als Vaters oder als Geliebten – ist der rote Faden dieser Medea-Reflexionen. Da erübrigt sich die Erzählung eines Handlungsfadens, der üblicherweise schon bei der gängigen Barockoper sich versagt. Dennoch besteht auch diese Version einer barocken Oper am Ende auf einer Utopie, indem Medea mit ihren Mitschwestern beseligt von ihrem Traum von „Süßer Ruhe und unschuldigem Frieden“ singt.

Beginnend mit einer Medea von 2020 wird diese Frauengestalt im Rückblick auch als kämpferische Suffragette von 1880, als beschürzte Haushaltshilfe in der Enge der Nachkriegszeit von 1958 und als im Korsett des Frühbarock von 1619 steckende Edeldame vorgestellt. Damit wird die Figur über die bereits extreme Künstlichkeit der Barockoper hinaus noch einmal weiter dekonstruiert in die oft stereotyp starren Bilder von Weiblichkeit, die für den in der Kunst vielfältig variierten Medea-Mythos von Liebe, Haß, Rache, Mordlust und Tod stehen.


Indem die zentrale Rolle des grausamen Medea-Gegenspielers Teseo/Jason einem männlichen Sopran (dies entspricht wiederum einer Aufführungstradition Händels) anvertraut wird, erfährt die verschärfte Unnatürlichkeit und Künstlichkeit dieses Patriarchats noch eine weitere Steigerung. Ein raffinierter Kniff, der sich aber zugleich auf die Rollentypen der barocken Oper mit seinen Kastraten-Helden berufen kann. Der von einem Bassbariton verkörperte Vater scheint vom Kostüm her einer Vaterfigur einer Verdi-Oper wie „La Traviata“ oder „Don Carlo“ entsprungen zu sein und fuchtelt daher auch mit Pistolen in einem Duell herum, das Medea einfach beendet. Immer wieder lugt so auch ein Funken Ironie in diesen Medea-Diskurs.

Mit drei Mitteln gelingt es nun diesem Musiktheater ein so glühendes und starkes Leben einzuhauchen, dass es kein langweilender anderthalb stündiger Diskurs über den Medea-Mythos wird.
Zunächst muss mit dem Kranz durchgehend auf höchstem Niveau singenden Solisten begonnen werden, die bis auf einen Gast aus dem Hause besetzt sind. Mit jedem Ton und jeder Phrase ihres Gesangs ist ihnen anzumerken, wie glücklich und beseelt sie sind, endlich wieder auf der Bühne singen und spielen zu dürfen.

Die Händel-Preisträgerin und Kammersängerin Romelia Lichtenstein bietet mit allen Möglichkeiten ihres dramatischen Soprans gut fokussiert und ausgeruht die zeitgenössische Medea von 2020 im blutrot expressiven Outfit der Mutter, der Liebenden und der Rachefurie.
Vanessa Waldhart lotet mit ihrem lichthell leuchtenden jugendlichen Sopran die lyrischen wie expressiven Arien ihrer Medea von 1958 aus. Mit ihrer schönen Stimme lässt sie die Enge ihrer Dienstboten-Schürze der späten Adenauer-Zeit hinter sich.

Yulia Sokolik sprengt mit ihrem warmen und schlanken Mezzosopran das drückende Korsett der dunklen Kämpferin für soziale Freiheitsrechte von 1880.

Herausragend singt der Sopran Samuel Mariño als Gast den Jason / Teseo. Er packt mit seinen anscheinend unbegrenzten Fähigkeiten der kristallklaren Spitzentöne, der atemberaubenden Koloraturen und besonders auch mit seinen beeindruckenden weiten und beseelten lyrischen Bögen.

Ki-Hyun Park verkörpert mit warmen, sonorig tief fundierten und kräftigen Bass den Vater Medeas.

Das zweite Mittel zur sinnlichen Überwältigung in dieser Inszenierung sind die vom Regisseur klug eingesetzten Mittel der sich drehenden Einheitsbühne eines Rundbaus mit durchlässigen wie abschließenden Fädenwänden (Bühne Sarah Katharina Karl), sinnvollen Videoüberblendungen (Daniel M.G. Weiss) und dramatischer Beleuchtungsregie – die vor allem durch blutrot und nachblau bestimmt sind. Die oft prächtigen historischen Kostüme (Esther Bialas) und Maske unterstützen dieses Futter für das Auge.

Schließlich trägt als dritter Faktor das Händel-Festspielorchester unter ihrem Gastdirigenten Attilio Cremonesi mit den glänzenden Leistungen ihrer Solisten und mit kammermusikalischer Begleitung wesentlich zum großen Erfolg des Abends bei. Die einzelnen Mitglieder – von denen etwa in ihrer solistischen Rolle nicht nur Cembalo, Cello und Flöten zu nennen wären – würden eine namentliche Erwähnung im Programm verdienen.
Das Publikum bejubelt denn auch verdient das Händel-Festspielorchester ganz besonders. Die Besucher zeichnen aber zugleich auch alle anderen Mitwirkenden mit nicht enden wollendem Beifall aus. Dieser klugen und sinnlich gelungenen Version einer Händel-Oper sind noch viele Besucher in den über die Spielzeit verteilten Vorstellungen an der Oper Halle zu wünschen. Chapeau den Künstlern und der Leitung der Oper Halle für diese festspielwürdige Leistung!

Dr. Guido Müller, 4. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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