Alles versprochen, alles gehalten: Diese Dresdner "Götterdämmerung" ist ein Fest!

Klassik vom Feinsten: Die 25 meistgelesenen Beiträge auf Klassik begeistert (3)

Klassik vom Feinsten: Die 25 meistgelesenen Beiträge auf Klassik begeistert (3)

3650 Beiträge haben wir als größter Klassik-Blog in Deutschland, Österreich und der Schweiz (google-Ranking) in den vergangenen viereinhalb Jahren veröffentlicht. Jetzt präsentieren wir die 25 meistgelesenen Opern- und Konzertberichte, Interviews, Klassikwelten und Rezensionen – jene Beiträge, die Sie seit Juni 2016 am häufigsten angeklickt haben. Wir wünschen viel Freude beim „Nachblättern“.

3 – Richard Wagner, Götterdämmerung. Semperoper Dresden,
1. November 2017
Foto: Semperoper Dresden, © Klaus Gigga

Von Sebastian Koik

Schon die Nornenszene zu Beginn von Richard Wagners Götterdämmerung in der Semperoper Dresden ist auf sensationellem Niveau! Simone Schröder, Christiane Kohl – und allen voran die erste Norn der Mezzosopranistin Okka von der Damerau – singen sie derart stark, dass sich das Eintrittsgeld und weite Anreisen alleine dafür schon gelohnt haben. So gut haben das selbst die erfahrensten Wagnerianer selten oder nie gehört! Die drei Damen packen das Publikum mit schönsten Klängen voller Gefühl und Dramatik. Das ist ganz, ganz groß! Und die Hamburgerin Okka von der Damerau verblüfft selbst anspruchsvollste Zuhörer, die eine Erfahrung von vierzig Ringen haben. Sie ist eine Anwärterin auf den Titel der besten ersten Norn aller Zeiten.

Kurz vorweg: Es gibt an diesem Abend vieler Weltklasse-Leistungen allererster Güte keine wirklichen gesanglichen Schwächen. Alle sind sehr gut, viele grandios.

Und so geht es vom Allerfeinsten weiter. Schon der Besetzungszettel versprach Opern- und besonders Wagner-Fans viel, ja eigentlich alles. Denn mehr als Götterdämmerung unter Christian Thielemann mit Nina Stemme und Andreas Schager geht nicht!

Und diese Weltstars des Wagner-Repertoires liefern! Von Anfang bis Ende, in jedem Moment. Als die beiden sich im ersten Aufzug nahezu welterschütternd voneinander verabschieden, mit wundervollsten „Heil“-Wünschen, ist auch dies eine Szene, die wohl kaum einer bewegender und schöner je gehört hat.

Die Sopranistin Nina Stemme als Brünnhilde singt unglaublich bezaubernd, mit vollem Klang, trifft die schwierigsten und höchsten Töne immer perfekt. Immer wieder geht ihre Stimme durch Mark und Bein und sie zeigt, warum sie sehr, sehr vielen Wagner-Freunden als bestmögliche weibliche Rollen-Besetzung gilt.

Nina Stemme, (c) W. Hoesl

Als Wagner-Liebhaber muss man sagen: Das Leben ist zu kurz, um zu viele irgendwie erreichbare Auftritte von ihr zu verpassen.

Im dritten Aufzug wirkt Nina Stemme überirdisch rein und gerecht und erinnert manche an Maria, die Mutter Jesu. Besonders stark wird der Gedanke, wenn der Leichnam Siegfrieds auf den Schultern einiger Männer hinter ihr über die Bühne getragen wird. Ein starkes Bild! Oft ist eine berührende, mütterliche Wärme in ihrem Gesang. Sie strahlt klanglich schön und trägt eine unfassbare Wahrhaftigkeit und Unanzweifelbarkeit in ihrer Stimme und in ihrem Auftritt. Das ist ein grandioses Erlebnis!

https://klassik-begeistert.de/richard-wagner-parsifal-wiener-staatsoper/ (So sang Nina Stemme im April 2017 im Parsifal an der Wiener Staatsoper)

Ähnliches gilt für Andreas Schager. Auch er ist eine absolute Top-Besetzung, auch wenn die Weltspitze bei den Herren ein klein wenig breiter ist als bei den Damen.

Der Niederösterreicher Andreas Schager, 46, ist der perfekte Siegfried! Er singt vollkommen, meistert jede technische Schwierigkeit mit Bravour. Dieser bezaubernde Tenor hat eine ganz, ganz große Stimme, unglaublich strahlend, extrem dicht und schön. Schager schenkt diesem Siegfried einen fast endlosen Atem und glänzende Höhen. Auch darstellerisch verkörpert er den Siegfried ganz, ganz wunderbar. Es ist eine große Freude, diesen Mann beim Singen und Spielen zu erleben. Diese Natürlichkeit, Frische und Unschuld, die er reinen, naiven, unschuldigen Figuren wie Siegfried oder Parsifal gibt, ist atemberaubend. Er ist ein durch und durch strahlender Held.

Schager war kürzlich an der Staatsoper Hamburg im Parsifal ebenfalls großartig und begeisterte mit sehr schöner Stimmkraft, doch als Siegfried in der Dresdner Götterdämmerung ist er noch besser und eine absolute Traumbesetzung! In dieser Rolle erklingt seine Stimme noch komplexer, reicher, vielfarbiger, souveräner, natürlicher, größer und tiefer. Das ist für einige sehr anspruchsvolle und erfahrene Opernfreunde der beste Schager, den es jemals gab! Ganz besonders im letzten Aufzug! Das ist wundervollste Opernmagie und macht Siegfrieds Tod doppelt schmerzvoll für das Publikum.

https://klassik-begeistert.de/grosses-interview-mit-dem-heldentenor-andreas-schager-hamburgische-staatsoper-bayreuther-festspiele/

https://klassik-begeistert.de/richard-wagner-parsifal-andreas-schager-kwangchul-young-claudia-mahnke-vladimir-baykov-wolfgang-koch-kent-nagano-staatsoper-hamburg/

 

Richard Wagner, Parsifal, 27. September 2017, Staatsoper Hamburg,

Nur einmal ist der Gesang Schagers nicht ganz perfekt: Als er in Gunthers Gestalt schlüpfen muss und die Braut raubt. Man merkt, dass die tieferen Lagen der Gunther-Rolle nicht 100 prozentig seine Stimmlage sind. An der Deutschen Oper Berlin meisterte der Siegfried-Darsteller Stefan Vinke im April auch die tieferen Lagen bravourös und sehr klangschön. Die Illusion des Rollentausches war dort perfekt. Man konnte als Zuhörer lange nicht glauben, dass wirklich der Tenor im Gunther-Kostüm steckte. Als Siegfried ist Schager jedoch sensationell gut! Weltklasse!

Auch Falk Struckmann als Hagen ist wunderbar. Ein paar der kritischsten Opernfreunde hören bei dem gebürtigen Heilbronner, Jahrgang 1958, gelegentlich eine gesangliche Unsauberkeit im ersten Akt. Der Bassbariton glänzt an diesem Abend mit einer wunderbar schönen, sehr dichten, weichen und warmen Stimme. Sein Atem ist sehr lang, und er begeistert auch in mittleren und höheren Lagen und immer wieder mit stimmlicher Zärtlichkeit. Sein Gesang ist wunderbar elegant, leicht, beweglich und vieldimensional.

STEPHEN GOULD_FALK STRUCKMANN_TOMASZ KONIECZNY © Michael Pöhn

Struckmanns Spiel ist sehr eigen und kraftvoll. Er spielt sehr körperlich. Trotz seiner imposanten Statur ist er in der Hüfte und in den Knien beweglich wie Elvis Presley zu seinen besten Zeiten. So hat man Hagen wohl noch nie gesehen! Falk Struckmann macht diese Figur irgendwie menschlicher und nahbarer als man sie sonst kennt. Das hat was! Denn auch Bösewichte sind Menschen. Und komplexe Bösewicht-Figuren sind unendlich spannender als simple Schwarzweiß-Darstellungen.

Außer in der Täuschungsszene gibt der Schotte Iain Paterson, Jahrgang 1973, den Gunther. Sein Bassbariton ist deutlich kleiner als die Stimmen von Schagers Siegfried und Struckmanns Hagen, klingt an diesem Abend mitunter leicht gedeckelt. Anders als bei diesen sind Patersons Grenzen zu spüren. Er singt mit kürzerem Atem und vermag nicht so ganz zu begeistern. Er ist der einzige Hauptdarsteller des Abends, dem man die Figur aufgrund der leichten stimmlichen Abstriche nicht vollends abnimmt.

Auf fast jeder Bühne der Welt würden seine Begrenzungen vielleicht nicht ganz so deutlich wahrgenommen werden, doch inmitten des Star-Ensembles des Abends ist er der einzige, der gesanglich ein wenig blass bleibt.

Die Sopranistin Edith Haller, 45, als Gutrune ist für viele die positive Überraschung des Abends. Anders als Stemme, Schager und einige andere, war die Italienerin ein unbekannterer Name auf dem Besetzungszettel. Sie trifft alle Spitzentöne, ist technisch stark, kann die Herzen aber fast genau so berühren wie das Heldenpaar.

Ähnliches gilt für die Mezzosopranistin Christa Mayer als Waltraute, geboren in Sulzbach-Rosenberg im Regierungsbezirk Oberpfalz. Sie ist technisch sehr stark und meistert jede gesangstechnische Herausforderung. Eine Interpretation mit sehr viel Wohlfühlgefühl.

Der Bariton Albert Dohmen, 61, als Alberich singt tief und sonor, doch etwas eindimensional, schwer und statisch. Die Eindimensionalität des gebürtigen Krefelders lässt die Figur Alberich ein wenig unglaubwürdig erscheinen.

Kräftig und sehr schön singt der wunderbare, junge, vitale Staatsopernchor, teilweise wird er auf der Bühne von dem sehr lebendigen Hagen dirigiert. Das ist Chor-Gesangskultur in Weltklasseformat – ein Schmuckstück für das Haus an der Elbe.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden unter dem Wagner-Spezialisten Christian Thielemann präsentiert sich im ersten Aufzug ganz stark und packt das glückliche Publikum! Die Blechbläser sind mächtig und schön. Die Tuba wabernd den ganzen Abend in großer Herrlichkeit und Pracht, massiert den Zuhörern warm die Bauchdecke – und die Kontrabässe schließen sich der Tuba ebenso körperlich packend an.

Christian Thielemann. © Matthias Creutziger

Im zweiten Akt ist das Orchester nicht immer mehr ganz im Fluss, kommt manchmal für Momente leicht ins Schwimmen und vermag das Publikum nicht durchgehend mitzureißen. Das Blech, vor allem die Hörner, spielt gelegentlich unsauber, auch im dritten Aufzug. In diesem finalen Aufzug erklingen die über den Abend begeisternden Kontrabässe auch mal kurz unpräzise. Das Orchester ist auch mal zu unruhig und nicht ganz zwingend in seinem Vortrag. Insgesamt ist die Leistung des Orchesters unter Christian Thielemann sehr stark, es sind nur wenige Stellen zu bemängeln – und es ist Kritik auf sehr hohem Niveau.

Im Finale ist das Orchester voll da, präzise, kraftvoll und enorm präsent. Die Schärfe und Unmittelbarkeit der Musik im Finale ist überwältigend! Der Dresdner Klangkörper, ein TOP-10-Worldclass-Orchestra, kann beeindruckend laut werden!

Die Streicher sind hier wahnsinnig gut und erzeugen Gänsehaut. Ganz zum Schluss lassen sie den Soundtrack des Abends zärtlichst ins Nichts verklingen. Das geht nicht wirklich besser! Schöner kann sich ein Ende nicht anhören!

Das Bühnenbild ist sehr reduziert, und das ist gut so. Das fördert die Konzentration auf die wunderbare Musik. Die Rheintöchter zum Schluss sind kreidebleich und glatzköpfig und alles andere als attraktive, verführende Wassernixen mit langen, blonden Haaren. Wenn selbst das Programmheft nicht deutlich macht, weshalb das so umgesetzt wird und man ratlos bleibt, dann darf man dies als kleinen Fehlgriff bezeichnen.

Der Weltenuntergang ganz zum Schluss mit ein paar orangerot angestrahlten Stuhlreihen ist auch ein wenig ärmlich und zu unspektakulär. Es sitzen der Wanderer und ein paar weitere Figuren auf diesen Stühlen und betrachten das Bühnengeschehen. Sie sollen eine Spiegelung des Publikums sein. Das kann man machen. Insgesamt gefällt der Schluss vielen Zuschauern nicht. Nur musikalisch und im Gesang Brünnhildes ist er großartig – Weltklasse!

In Willy Deckers Inszenierung vergeht sich Hagen an seiner Halbschwester Gutrune. Ganz zum Schluss tötet diese ihn dafür mit Nothung, Siegfrieds Schwert. Hagen stirbt also durch Rache für Missbrauch und Vergewaltigung an Gutrune und nicht durch seine Gier nach dem Ring, nach Macht und Reichtum.

Er stürzt sich nicht dem Ring hinterher in die Fluten des Rheins, wird nicht von den Rheintöchtern in die Tiefe und den Tod gezogen, sondern stirbt für seine Vergehen an einer Frau, die auch noch seine Halbschwester ist. Diese nicht unerhebliche Abweichung vom Original ist fast das einzige, was einigen Wagner-Freunden an diesem Abend nicht ganz gefällt.

Nach fünfeinhalb Stunden ist dieser denkwürdige Abend vorbei. Die Zeit verging wie im Flug! Selbst kritischste Wagner-Liebhaber sind hellauf begeistert. Diese Götterdämmerung in einem der schönsten Opernhäuser der Welt, ausgestattet mit einer Weltklasse-Akustik, war ein musikalisches Fest!

Ein Fest von Weltruf!

Sebastian Koik, 2. November 2017, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Semperoper Dresden, 1. November 2017

Musikalische Leitung Christian Thielemann
Sächsische Staatskapelle Dresden
Staatsopernchor
Gunther Iain Paterson
Alberich Albert Dohmen
Hagen Falk Struckmann
Siegfried Andreas Schager
Brünnhilde Nina Stemme
Gutrune Edith Haller
Waltraute Christa Mayer

  1. Norn Okka von der Damerau
  2. Norn Simone Schröder
  3. Norn Christiane Kohl
    Woglinde Christiane Kohl
    Wellgunde Sabrina Kögel
    Floßhilde Simone Schröder

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