Höchste Zeit, sich als Musikliebhaber neu mit der eigenen CD-Sammlung oder der Streaming-Playlist auseinanderzusetzen. Dabei begegnen einem nicht nur neue oder alte Lieblinge. Einige der sogenannten „Klassiker“ kriegt man so oft zu hören, dass sie zu nerven beginnen. Andere haben völlig zu Unrecht den Ruf eines „Meisterwerks“. Es sind natürlich nicht minderwertige Werke, von denen man so übersättigt wird. Diese sarkastische und schonungslos ehrliche Anti-Serie ist jenen Werken gewidmet, die aus Sicht unseres Autors zu viel Beachtung erhalten.
von Daniel Janz
Die klassische Musik – Königsform der abendländischen Künste und in aller Welt als eines der höchsten kulturellen Güter bekannt. Man stelle sich nur auf die Straße und frage einmal, welche Komponisten vorbeigehenden Passanten einfallen, und sofort wird man mit Bach, Beethoven und Mozart konfrontiert. Gerade letzterem eilt der Ruf voraus, ein „wahres Genie“ und „Wunderkind“ gewesen zu sein. Eine Selbstverständlichkeit also, dass auch seine Werke sich größter Bekanntheit erfreuen.
Auch seine „kleine Nachtmusik“ ist wohl eine jener Kompositionen, die sogar jedes Kleinkind im Schlaf mitsummen kann. Wurde man damit nicht aus Radio und Fernsehen konfrontiert, dann hält sie spätestens im Schulunterricht als DAS PARADEBEISPIEL abendländischer Klassik her. Damit ist sie wohl so präsent wie heutzutage der Haribo-Jingle oder das „M“ von McDonald’s. Ob wohl Wolfgang Amadeus Mozart damals diesen weit über seinen Tod hinausreichenden Ruhm erahnt hat?
Tatsächlich komponierte Mozart diese Serenade Nr. 13 für Streicher in G-Dur KV 525 als „anspruchsvolle Kammermusik“ – und schuf damit ein Klischeewerk sondergleichen. Einfaches, eingängiges Hintergrundgedudel würde man wohl in meiner Generation sagen. Das ist an sich nichts Schlimmes, es braucht auch leichte Musik, um vom Alltag abschalten und entspannen zu können. Hier haben wir es aber mit einem gebrandmarkten Kind zu tun.
Das Tragische daran ist die Beschränkung, die sich heutzutage daraus ergibt. Bach, Mozart, Beethoven… und da endet es dann auch schon – auf der Straße wie auch zu meiner noch nicht allzu lang vergangenen Schulzeit. Glücklich schätzen darf sich, wer mal die Namen Strauss oder Brahms vernehmen durfte. Wagner, Mahler und Konsorten gehören wohl gar zur Königsklasse, die nur den musikalisch ausgerichteten Schulen vorbehalten bleiben. Ob deshalb wohl keiner meiner Mitschüler jemals auch nur im entferntesten Sinne mit klassischer Musik in Berührung kommen wollte?
Mozarts kleine Nachtmusik ist symptomatisch für all das, was in der jungen Generation oft zu Klassikverdrossenheit führt. Klar, dieses Werk ist keine schlechte Musik. Aber mit „Kammermusik“ kann man im Zeitalter elektronischer Musik und Popbands schon lange keine Massen mehr begeistern. Und erst recht keine Kinder, die mit diesem Einzelbeispiel automatisch ein ganzes Genre verbinden.
Das Streichquartett (wie hier gefordert -quintett) ist für sich bereits eine schwierige Gattung, denn die Reduzierung der Klangfarben führt schnell zur Eintönigkeit. Das auszugleichen setzt normalerweise wahre Kompositionsraffinesse voraus. Oder die Verwendung eines Bläsersatzes, der generell ein interessantes Experiment darstellt.
Oder man heißt eben Mozart und darf sich als „Wunderkind“ alles erlauben. Er kombiniert diese durch Eintönigkeit gefährdete Gattung jedenfalls mit einer der simpelstmöglichen Melodien und der „Kunst“ der Repetition. „Periodisch“ und „Mannheimer Rakete“, sagt der Musiktheoretiker – „vorhersehbar“, „reizlos“ und „spießig“ der moderne Zuhörer.
Die einfache Gestalt an sich ist noch unproblematisch – Strauss hat es mit „Zarathustra“ ja auch zum weltweit bekanntesten musikalischen Thema gebracht. Aber hätte Mozart nach der ersten Themenvorstellung (in jedem der vier Sätze) nicht eine Verarbeitung oder wenigstens Variation bringen können? Stattdessen wird ein und derselbe Abschnitt rauf und wieder runtergeduldet, mit teilweise 15 Wiederholungen in unter 5 Minuten, und als einzige Abwechslung gibt es einmal das Anspielen der Subdominante. Wen wundert’s, dass man schon nach der ersten Minute alles auswendig mitsummt? Vielleicht galt das vor 250 Jahren als „Festigung des Grundgedankens“, heutzutage ist das aber reine Faulheit.
Dass moderne Aufnahmen diese Ausreizung durch immer hektischeres Tempo ausgleichen wollen, liegt in der Natur der Sache. Wo Bewegung vorherrscht, entfaltet sich weniger Langeweile. Dabei hätte der eine oder andere prominente Tonartenwechsel dieses Problem von Anfang an beseitigt! Genauso hätte auch eine dramaturgische Steigerung geholfen, wie sie heutzutage jeder moderne Pop-Song durch aufwühlende Beats, Spannungswechsel und den Refrain erfährt.
Bei der Nachtmusik könnte man stattdessen meinen, der Titel sei programmgebend. Wenn ich eine Musik zum Einschlafen suche, wäre diese Komposition glatt erste Wahl – nicht nur wegen der einfallslosen Kompositionsweise und der trockenen Instrumentation, sondern auch wegen ihrer 20 Minuten Länge, von denen wohl nur wahre Kenner mehr als den prominenten ersten Satz kennen.
Eines ist jedenfalls sicher: Der Bereich klassische Musik braucht keine Werke, die durch ihre Beschaffenheit Langeweile und Ermüdung erzeugen und ganze Generationen vergraulen. Der moderne Mensch ist kein Weichei – man darf uns auch im jungen Alter etwas zumuten, und wir sind auch nicht mehr so einfach gestrickt wie noch vor 250 Jahren. Insofern ist dies ein inständiges Plädoyer dafür, in Zukunft lieber einmal zu viel als einmal zu wenig auf diese Art von Musik zu verzichten. Alle wahren Klassikliebhaber werden es danken!
Daniel Janz, 26. Februar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.
Pathys Stehplatz (1): Ein Brief an Mozart: „Da hättest schön geschaut!“
Lieber Herr Janz, erfrischend geschrieben und begeistert gelesen. Ich habe mir das Stück gleich noch einmal auf Youtube angehört. Danach war der Ohrwurm erwacht. Ihr Ralf Wegner
„God was sitting right next to Mozart when he composed this masterpiece“
Nach der Lektüre deines Artikels fand ich diesen Kommentar unter einem YouTube-Upload ebendieses Stückes schon recht amüsant.
Ich stimme der Kritik voll und ganz zu. An sich mag ich das Stück, aber sein Beitrag zur „Klassikverdrossenheit“ (schöner Begriff übrigens) sollte nicht unterschätzt werden.
Guido Schäfer