Als sich am 18. Juni 1821 der Vorhang im von Schinkel neu erbauten Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Berlin hob, war es für die Uraufführung einer neuen Oper von Carl Maria von Weber. „Der Freischütz“ war der Titel des Werkes und griff in seinem Libretto eine alte Volkssage auf.
von Peter Sommeregger
Der Stoff, die Musik, der Komponist und Librettist, alles war Deutsch, und das war für die Oper der damaligen Zeit, die italienisch und französisch dominiert war, völlig neu. Nicht zu Unrecht sprach man später von der Geburtsstunde der Deutschen Oper. Für den großen Erfolg des Werkes sorgte aber die mitreißende Musik Webers, der damit sein bedeutendstes Werk geschaffen hatte.
Heinrich Heine schilderte in einem Zeitungsartikel anschaulich, wie populär einige Melodien aus dem Freischütz waren, sämtliche Drehorgelspieler Berlins hätten sie gleich nach der Premiere in ihr Repertoire aufgenommen.
Was den Freischütz über die großartigen musikalischen Einfälle Webers hinaus so besonders macht, ist die Grundstimmung der Angst, die in der gesamten Oper mitschwingt. Das Stück spielt in der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg und alle Beteiligten sind von dessen Grausamkeiten und blutigen Schlachten immer noch traumatisiert. Das schlägt sich in deren Verhalten nieder, in den Ängsten Agathes um ihren Max, vor allem aber in Max’ panischer Angst vor dem Probeschuss, mit dem er erst seine Braut endgültig gewinnen kann. Laut Libretto gibt es einen glücklichen Ausgang der Geschichte, mehr und mehr setzt sich aber die Einschätzung durch, dass es nach den dramatischen Ereignissen kein Happy-End für das Paar geben kann.
Autor des Textbuches war der Advokat und Schriftsteller Friedrich Kind. Nach dem großen Erfolg des Werkes kam es zwischen ihm und Weber zu einem Streit über eine angemessene Bezahlung durch den Komponisten. Ein Urheberrecht für Autoren existierte damals in der heutigen Form noch nicht, so gesehen hatte sich Weber durchaus korrekt verhalten. Für die junge Familie des Komponisten war der auch materielle Erfolg des Freischütz natürlich ein Segen. Webers Bekanntheit steigerte sich ungemein, aus Wien und London kamen Aufträge für neue Opern. Mit dem „Oberon“ hatte er in London einen letzten großen Erfolg, den der Todkranke nur kurze Zeit überlebte. Am 5. Juni 1826 starb Weber in der britischen Hauptstadt und wurde in einer Kirche provisorisch beigesetzt. Richard Wagner bemühte sich später um die Überführung der Gebeine nach Dresden, die erst 18 Jahre nach Webers Tod stattfand.
War Weber auch mit anderen Werken erfolgreich, gilt doch bis heute der Freischütz als sein opus magnum. Dessen Verbreitung unmittelbar nach der Uraufführung dehnte sich bald über ganz Europa aus. Hector Berlioz fertigte für Paris eine französische Fassung an, die allerdings hauptsächlich die Rezitative betrifft. Auch im 21. Jahrhundert ist der Freischütz eine der am häufigsten gespielten Opern im deutschen Sprachraum. Er ist eine jener Opern, in die man Kinder mitnimmt, um sie an das Musiktheater heranzuführen.
Fast alle großen Dirigenten haben den Freischütz mehrfach aufgeführt, Wilhelm Furtwänglers Salzburger Aufführung erschien später auf Tonträger, Carlos Kleiber spielte das Werk für die Schallplatte ein. Auch Nikolaus Harnoncourt führte den Freischütz in Berlin konzertant auf, diese Aufführung erschien später auch auf CD. Der Katalog bietet eine reiche Auswahl an zum Teil großartigen Aufnahmen, aus den Sängerinnen der Agathe stechen hier besonders Elisabeth Grümmer und Gundula Janowitz heraus. Die Rolle der Agathe gilt allgemein als Einstieg in das jugendlich-dramatische Fach für junge Sopranistinnen.
Die Berliner Staatsoper wird zeitnah zum Jahrestag den Freischütz zweimal konzertant aufführen. Warum eigentlich nicht am 18. Juni? Vor 25 Jahren fand am Jahrestag eine sehr stimmungsvolle Open-Air-Aufführung am Gendarmenmarkt statt. Aber eigentlich hat diese Oper keine Jubiläen nötig, gespielt wird sie nach wie vor landauf, landab. Und das ist auch gut so!
Peter Sommeregger, 15. Juni 2021, für
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Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
Sommereggers Klassikwelt 91: Maria Cebotari – ein viel zu früh verglühter Stern
Meine Lieblingsoper, Teil 10 :“ Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber
Es gibt eine Jubiläums-Aufführung am 18. Juni 2021 um 19 Uhr. Aus dem Konzerthaus am Gendarmenmarkt live auf ARTE Concert und konzerthaus.de sowie als Live-Stream auf dem Gendarmenmarkt für 500 Besucher*innen. Herzlichen Glückwunsch, „Freischütz“.
Mattias Richter