„Insgesamt hat Beirers Karriere 50 Jahre gedauert, was in den heutigen Zeiten des schnellen Verschleißes von Sängerstimmen kaum mehr vorstellbar erscheint.“
von Peter Sommeregger
In die letzte Juni-Woche fallen sowohl Geburts- als auch Todestag des Österreichischen Heldentenors Hans Beirer. Gestorben ist der 1911 in der Wiener Neustadt geborene Sänger im Jahr 1993 in Berlin, genau 82 Jahre alt.
Ursprünglich wollte Beirer Medizin studieren, entschloss sich dann aber doch zu einem Gesangstudium an der Wiener Musikakademie, wo er Schüler von Tino Pattiera wurde. Sein Debüt als Opernsänger hatte er 1936 am Landestheater Linz als Hans in der „Verkauften Braut“ von Smetana. Zu Beginn seiner Karriere trat er auch häufig in Operetten auf, seine Opernpartien waren eher dem lyrischen Fach zuzurechnen. Im 2. Weltkrieg wurde er zum Militär eingezogen, trat aber ab 1941 wieder als Operettensänger auf.
1943 wurde er an die Städtische (heute Deutsche) Oper Berlin engagiert, deren Mitglied er bis zum Ende seiner Karriere blieb. Nach dem Krieg wechselte Beirer ins Fach des Heldentenors. In diesem Rollenspektrum entfaltete sich seine Laufbahn zunehmend international. Berlin, ab 1958 die Hamburgische, und ab 1962 die Wiener Staatsoper blieben aber seine Stammhäuser.
Neben den Tenorpartien Richard Wagners sang Beirer auch Florestan in Fidelio, den Otello in Verdis gleichnamiger Oper, den Radamès in Aida, den Pedro in Tiefland, den Vasco da Gama in Giacomo Meyerbeers Oper Die Afrikanerin, den Samson in Samson et Dalila . In den 1950er und 60er-Jahren sang Beirer an fast sämtlichen europäischen Opernhäusern die großen Wagnerpartien wie Parsifal, Tannhäuser, Tristan und Siegfried. Bei den Bayreuther Festspielen trat er von 1958 bis 1962 als Parsifal und Tristan auf.
Sein groß dimensionierter Heldentenor eignete sich nicht gut für Plattenaufnahmen, daher gibt es keine Studio-Einspielungen des Sängers. In zahlreichen, später veröffentlichten Live-Mitschnitten kann man aber das beeindruckende Volumen von Beirers Stimme erleben. In Wien wirkte er 1971 in der Uraufführung von Gottfried von Einems Oper „Der Besuch der alten Dame“ als Bürgermeister mit. Die Wiener „Tannhäuser“-Premiere von 1963 unter Herbert von Karajan, die später von der Deutschen Grammophon veröffentlicht wurde, ist ein beeindruckendes Dokument der Strahlkraft von Beirers Tenor. Diese Strahlkraft blieb dem Sänger ungewöhnlich lange erhalten. Noch mit 75 Jahren sang er in Berlin Herodes, in Wien Siegfried in der „Götterdämmerung“. Seinen Bühnenabschied nahm er mit 76 Jahren in Wien als Aegisth in „Elektra“ von Richard Strauss.
Insgesamt hatte Beirers Karriere also 50 Jahre gedauert, was in den heutigen Zeiten des schnellen Verschleißes von Sängerstimmen kaum mehr vorstellbar erscheint. Bei YouTube kann man einen kompletten „Tannhäuser“ aus der Deutschen Oper Berlin von 1983 hören, in dem der 72-jährige Sänger diese vielleicht schwierigste Wagner-Partie mit einer Kraft singt, um die ihn erheblich jüngere Fach-Kollegen nur beneiden können. Ebenfalls auf YouTube kann man einen kompletten „Tristan“ von 1965 aus Rom mit der jungen Anja Silja hören. Es ist schwer verständlich, dass dieser Sänger von der Plattenindustrie ignoriert wurde. Um so dankbarer ist man für diese Dokumente, welche die Erinnerung an diesen Ausnahmesänger bewahren.
Seine letzte Ruhestätte fand Hans Beirer auf dem Berliner Waldfriedhof Zehlendorf. Seine Ehefrau Terry überlebte ihn nur um wenige Monate.
Peter Sommeregger, 22. Juni 2021, für
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Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
Lieber Herr Sommeregger,
eine eher persönliche Ergänzung zu ihrem dankenswerten Beitrag über diesen Sänger: Ich habe Hans Beirer zwischen 1965 und 1970 gut ein Dutzend Mal in Hamburg und Berlin als Erik, Tannhäuser, Tristan, Siegmund und in den beiden Siegfrieden gehört. Er ist mir in Erinnerung geblieben als jemand mit einer großen, den Raum flutenden Stimme, die aber schon damals von einem ausgeprägten, langsamen Vibrato getrübt war. Der englische Ausdruck Wobble kennzeichnete das am besten. Auch war sein Spiel sehr statisch. Dass man den Siegmund auch mitreißend singen und spielen konnte, davon zeugte zu jener Zeit der Tenor Jess Thomas. Adäquate Heldentenöre waren aber wohl auch schon in den 1960er Jahren Mangelware. Denn zumindest dreimal war als seine Partnerin die großartige Birgit Nilsson engagiert gewesen. Mein erstes Tristan-Erlebnis (Hans Beirer und Hanne-Lohre Kuhse) hat mich lange davon abgehalten, mir diese großartige Werk wieder anzuschauen.
Ihr Ralf Wegner