Gesanglich rettete Anita Hartig als Einspringerin den Abend, die schon im Mozartteil mit der furiosen Arie der Donna Elvira aus „Don Giovanni“ brillierte.
Foto: Anita Hartig © Hollywood Bowl
Fake News
Grafenegg, Wolkenturm, 10. Juli 2021
Werke von Mozart, Cherubini, Rossini, Verdi, J. Strauß, George Gershwin, Leonard Bernstein u.a.
Daniela Fally, Sopran
Anita Hartig, Sopran
Peter Kirk, Tenor
Markus Werba, Bariton
Christoph Wagner-Trenkwitz, Moderation
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
Dirigentin: Karen Kamensek
von Herbert Hiess
Schon Ludwig Wittgenstein hat in seinem „Tractatus logico-philosophicus“ den berühmten Stehsatz „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ gesetzt. Diesen Satz hätte sich an diesem Abend in Grafenegg auch der Moderator, Christoph Wagner-Trenkwitz (CWT), hinter die Ohren schreiben mögen.
Man hatte ein kräftiges Déjà-vu mit dem Konzert von 2018 (https://www.evolver.at/musik/grafenegg_festival_20181008/), bei dem CWT mehrmals in die Peinlichkeitenfalle gestolpert war. Natürlich weiß der Chefdramaturg der Volksoper Wien und Buchautor sehr viel und hat schon viel gesehen und gehört. An diesem 10. Juli 2021 hat er sich mühelos übertroffen – dies hier deutlich zu erklären, verbietet nicht zuletzt auch die Höflichkeit.
Zur musikalischen Qualität des Konzertes, die auch unter der Moderation des CWT litt und insgesamt recht bescheiden war. Da war einerseits die Dirigentin Karen Kamensek, die vielleicht gute Ideen und Ansätze hatte (vor allem in der „Così fan tutte“-Ouvertüre), die aber im weiteren Konzertverlauf von Nummer zu Nummer weniger wurden, bis sie dann überhaupt nicht mehr vorhanden waren. Da wurde weder auf Klangsinnlichkeit noch auf Phrasierung geachtet. Offenbar war es das Ziel, das Konzert „zwischenfallfrei“ über die Bühne zu bringen. Das Orchester klang (vor allem im amerikanischen Teil) oftmals eher blechern und zu kompakt; was aber durchaus an der Verstärkung durch die Lautsprecher gelegen haben könnte. Dies und auch einige „Wackler“ (vor allem bei Cherubini) waren aber vielleicht auch durch Probenmangel verursacht.
Gesanglich rettete Anita Hartig als Einspringerin den Abend, die schon im Mozartteil mit der furiosen Arie der Donna Elvira aus „Don Giovanni“ brillierte. Auch bei Johann Strauß brillierte sie mit ihrer großen und wunderschönen Stimme im „Csárdás“ aus der „Fledermaus“. Markus Werba überzeugte mit seinem prägnanten Bariton; wobei er stellenweise da und dort mehr Biss und Phrasierungskunst brauchen könnte. Gerade bei Jagos Traumerzählung aus Verdis „Otello“ hätte er viel mehr subtile Gehässigkeit in die Stimme legen können.
Mit dem Briten Peter Kirk hatte man einen jungen Tenor auf dem Podium und mit Daniela Fally eine arrivierte Sängerin. Beide konnten teilweise nicht wirklich überzeugen. Während sich Peter Kirk mit reiner Kopfstimme und unsauberen Koloraturen durch Almavivas Kavatine aus Rossinis „Barbier von Sevilla“ fast quälte, überzeugte er grandios mit der Nummer „Trouble“ aus Meredith Wilsons Musical „The Music Man“. Diese mehr als schwierige Nummer sang er komplett auswendig und vergaß auch nicht auf den Witz in der Stimme. Ganz großartig. Ebenso das Duett aus Millöckers „Bettelstudent“ mit ihm und Daniela Fally.
Bei dem sympathischen Koloratursopran hörte man oft sehr deutlich, dass ihre Grenzen erreicht sind – vor allem in Bernsteins „Glitter and be gay“ aus „Candide“. Am Anfang sang sie noch ausgezeichnet Despinas Arie „Una donna a quindici anni“ aus „Così fan tutte“ – bei Bernsteins brutaler Nummer aber war ihr Reservoir schon längst ausgeschöpft. Dazu muss man aber sagen, dass diese Nummer aus „Candide“ auf wienerisch gesagt ein echter „Beuschelreißer“ ist. Da braucht es schon Mut, sich auf das Abenteuer einzulassen.
Die Moral von der Geschicht’ ist letztlich, dass eine intelligente und sängergeeignete Programmauswahl vonnöten gewesen wäre. Und es hätte auch den Mut erfordert, gewisse Nummern nicht ins Programm zu nehmen. Natürlich ist die große Arie der Cunégonde aus Bernsteins „Candide“ ein gewaltiges Effektstück. Das sollte dann aber auch bravourös gesungen werden.
Es lassen sich eigentlich alle Opern mit dem Thema „Fake News“ verbinden. Da hätte es weit mehr Auswahl gegeben, die den anwesenden Sängern gerecht gewesen wäre. Und bevor man eher belanglose Musicalnummern bringt, hätte man den Fokus ruhig auf interessantere Werke richten können.
Herbert Hiess, 11. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Mir gefällt dieser Bericht sehr gut – fundiertes Wissen und frei von der Leber. So findet man ja auch immer wieder Ausführungen von Herausgeber dieses Bloggs, Herrn Andreas Schmidt.
Ich komme immer mehr zu dem Eindruck, dass wir online-Rezensenten einfach ehrlicher und deutlicher schreiben als viele Kollegen von den Printmedien, die ja ohnehin eine aussterbende Gruppe sein dürften.
Ich habe z. B. in letzter Zeit ca. 20 Rezensionen über die Bayr. Staatsoper geschrieben, ca. 1/3 sehr bejahend, 1/3 mit Abstrichen, 1/3 deutlich hinterfragend.
Ergebnis: Man verweigert mir den Zutritt bzw. vergibt eine Karte dann an die Freunde des Nationaltheaters mit der Behauptung, dies würde für meine Redaktion gelten. Das wird so nicht mehr lange geschehen, dafür werden online-Medien zu wichtig.
Tim Theo Tinn