Man ist dankbar für diese Veröffentlichung, die erneut an die tragische Künstlerpersönlichkeit von Ferras erinnert, und den Verlust deutlich macht, den die Musikwelt durch seinen frühen Tod erlitt.
CD-Rezension:
Christian Ferras
The SWR Recordings
1953-1972
SWR Classic 1911 4CD
von Peter Sommeregger
Der französische Geigenvirtuose Christian Ferras gehörte seit den 1950er Jahren zu den international gefragtesten Musikern seiner Zunft. Speziell in Frankreich meinte man mit ihm die schmerzliche Lücke füllen zu können, die der tragische Tod Ginette Neveus bei einem Flugzeugabsturz 1949 bedeutet hatte.
Der 1933 geborene Ferras trat bereits als „Wunderkind“ auf, ab 1951 begann er mit bedeutenden Dirigenten und Orchestern zu konzertieren, so wurde er in den 1960er Jahren zum erklärten Lieblingsgeiger Herbert von Karajans, der mehrere Konzerte mit ihm und den Berliner Philharmonikern einspielte. Am Ende dieses Jahrzehnts begannen allerdings Depressionen und Alkohol die Karriere von Ferras zu beeinträchtigen und zu zerstören. Für mehrere Jahre zog sich der Geiger vom Konzertpodium zurück, nahm eine Professur an. Kurz vor seinem sorgfältig vorbereiteten Comeback nahm sich Ferras aber am 1. September 1983 durch einen Sprung aus dem Fenster seiner Wohnung in Paris das Leben.
Sein höchst individuelles Spiel ist auf zahlreichen Tonträgern erhalten. Wohl anlässlich seines bevorstehenden 40. Todestages hat nun auch der SWR seine Archive geöffnet und in einer 4-CD-Box Ferras’ Aufnahmen für diesen Sender veröffentlicht.
Neben hinreissend inspirierten Einspielungen von Klaviersonaten Beethovens, Debussys, Enescus und Schumanns mit seinem kongenialen Klavierpartner Pierre Barbizet, enthält die Edition auch die großen Violinkonzerte Beethovens, Tchaikovskys, Brahms und Bergs. Diese Konzerte existieren in Aufnahmen mit verschiedenen Dirigenten und Orchestern. Die hier enthaltenen von Beethoven und Tchaikowsky entstanden unter Hans Müller-Kray, das Brahms-Konzert unter Herbert Blomstedt. Für den Konzertmitschnitt des Berg-Konzertes stand Michael Gielen am Pult.
Ferras fasziniert vom ersten Ton an durch seine spontane, hoch individualisierte Herangehensweise an das jeweilige Stück. Man sagte ihm nach, bei ihm klängen alle Werke, als wären sie gerade erst komponiert worden. Ferras’ Emotionalität, die ihm wohl auch zum Verhängnis wurde, macht sein Spiel ganz besonders. Dazu kommt die Schönheit seines Tons, die sofort für ihn einnimmt. Ein sorgfältig zusammengestelltes Booklet, das neben Angaben über die Aufnahmedaten- und Orte, auch noch ausführliche biographische Details enthält, rundet die gelungene Edition ab.
Man ist dankbar für diese Veröffentlichung, die erneut an die tragische Künstlerpersönlichkeit von Ferras erinnert, und den Verlust deutlich macht, den die Musikwelt durch seinen frühen Tod erlitt.
Peter Sommeregger, 24. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt 79: Yehudi Menuhin, der Welt-Geiger