Fotos: Michael Pöhn (c)
Peter Iljitsch Tschaikowski, Eugen Onegin, Staatsoper Wien
25. Februar 2018
von Mirjana Plath
Louis Langrée, Dirigent
Falk Richter, Regie
Katrin Hoffmann, Bühne
Martin Kraemer, Kostüme
Stephanie Houtzeel, Larina
Olga Bezsmertna, Tatjana
Margarita Gritskova, Olga
Aura Twarnowska, Filipjewna
Mariusz Kwiecień, Eugen Onegin
Pavel Černoch, Lenski
Ferruccio Furlanetto, Fürst Gremin
Igor Onishchenko, Ein Hauptmann/Saretzki
Pavel Kolgatin, Triquet
Oleg Zalytskiy, Vorsänger
Orchester der Wiener Staatsoper
Chor der Wiener Staatsoper
Er hat vieles gesehen und doch alles versäumt. Onegin, ein weltgewandter Lebemann, weist die Liebe seines Lebens zurück, ermordet seinen besten Freund und muss beim Zurückblicken feststellen, dass kein Luxus der Welt seine innere Leere füllen kann. Peter Iljitsch Tschaikowskis „Eugen Onegin“ behandelt ein tiefgründiges Thema. Der Komponist vertonte in seiner Oper von 1879 einen Roman von Alexander Puschkin. Was bleibt vom Leben, wenn man es mit niemandem teilen kann?
An der Wiener Staatsoper inszeniert Falk Richter Tschaikowskis Oper. Er interpretiert die Geschichte sehr modern. Er versetzt die Erzählung um den Bonvivant Eugen Onegin in eine kalte Eiswelt. Im Hintergrund fallen unablässig dicke Schneeflocken vom Himmel herab. Die Bühnenelemente sind allesamt aus durchsichtigen Eisblöcken zusammengesetzt; Katrin Hoffmann reduziert die Kulisse auf ein Minimum. Wenige abstrakte Formen symbolisieren einen Garten, ein Schlafzimmer oder einen Ballsaal. Es ist eine ferne, fremde Welt, die sich auf der Bühne für die Zuschauer öffnet. Sie ist so kalt wie Onegins Inneres. Am Ende steht er einsam auf der Bühne. Der leere Raum ist ein Abgrund, in den er hinabfällt. Unaufhaltsam, wie die fallenden Schneeflocken.
Aus dieser abstrakten Welt entreißt in der großen Ballszene des zweiten Aktes die Erscheinung von Triquet (gespielt von Tenor Pavel Kolgatin). Er singt seine Auftrittsarie als Karl Lagerfeld verkleidet, der wie auf einem Laufsteg auf der Bar stolziert. Gesanglich ein guter Auftritt, aber leider so beziehungslos zu allem, was sonst in der Oper passiert.
Schade auch, dass die wunderbare Tanzmusik von Tschaikowski so unmusikalisch auf der Bühne umgesetzt wird. Der schwungvolle Walzer zu Tatjanas Namenstag ist hier ein hemmungsloses Besäufnis. Die Gäste rocken so richtig ab. Zur erhabenen Polonaise im dritten Akt läuft der Chor zwar noch ein, steht dann aber statisch auf der Bühne herum. Ein interessanter Ansatz, diese Momente nicht als traditionelle Tanzszenen zu inszenieren. Aber der Bezug zur Musik geht damit verloren.
Dabei leitete Dirigent Louis Langrée das Orchester gut an. Pathetisch schwoll die Musik an den dramatischen Stellen an – filigran nahmen sich die Instrumente an den intimen Momenten der Oper zurück. Vor allem die Celli führten ihre Passagen in einem Fluss aus. Präzise verschmolzen sie zu einer Masse, die die lyrischen Momente der Oper intensiv erlebbar machten.
Kommen wir zu den Sängern. Olga Bezsmertna… Wow! Die Sopranistin zeigte als Tatjana eine umwerfende Leistung. Ergreifend sang sie Tatjanas berühmte Briefszene. Hier öffnet Tatjana Eugen Onegin ihr Herz und gesteht ihm ihre unsterbliche Liebe. Wie zögerlich und verletzlich sang sie mit zarter Stimme die ersten Phrasen der Arie! Bezsmertna verkörperte eine verunsicherte Jugendliche, die ihre Gefühlswelt noch nicht begreift. Die innere Weiterentwicklung von Tatjana, die sich ihrer Liebe bewusst wird, zeigte Bezsmertna mit einer atemberaubenden Intensivierung der Stimme. Sie erreichte eine Ausdrucksstärke, die mitten ins Herz trifft.
Margarita Gritskova mimte Tatjanas lebenslustige Schwester Olga. Die Mezzosopranistin brillierte vor allem in den tiefen Lagen. Dann schwang eine süße Melancholie in ihrer Stimme mit.
Der Bariton Mariusz Kwiecień sang die Titelrolle der Oper. Er füllte seine Rolle ebenfalls gut aus. Charmant umgarnte er Tatjana im ersten Akt, verzweifelt stand er in der letzten Szene vor den Scherben seines Lebens. Pavel Černoch (Tenor) spielte Onegins besten Freund Lenski. Er gestaltete seine Partie ausdrucksvoll und füllte sie mit Leidenschaft aus.
Richters Inszenierung von „Eugen Onegin“ an der Wiener Staatsoper bietet eine spannende Interpretation der Oper. Er kehrt das Innenleben der Figuren auf der Bühne nach außen. Die Bilder des Abends prägen sich in den Kopf ein. Immer weiter versinkt Eugen Onegin in seiner Schuld. Immer weiter fällt der Schnee.
Mirjana Plath, 27. Februar 2018
für klassik-begeistert.at
Fotos: Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn