Foto: Lise Davidsen (Sieglinde), Klaus Florian Vogt (Siegmund). Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Klaus Florian Vogt und Lise Davidsen sind als Wälsung-Braut- und Zwillingspaar DIE Traumbesetzung des 21. Jahrhunderts. Auf eine viel kritisierte Rheingold-Inszenierung folgt eine umjubelte szenische Walküre-Darbietung. Überschattet wurde die lang ersehnte Walküre-Premiere leider von einem Bühnenunfall, weshalb sich zwei Ausnahme-Sänger den Wotan teilen mussten.
Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 1. August 2022
Walküre
Musik und Libretto von Richard Wagner
Bühnenunfall überschattet geteilten Wotan-Auftritt
von Peter Walter
„Wälse! Wälse!“, singt Siegmund, Oktavsprünge über einem dicken Tremolo-Streicherklang. Klingt so, als würde ein Gewichtheber das Festspielhaus mit einer Hand hochheben. Völlig mühelos und trotzdem voller Kraft, das kann auch nur Klaus Florian Vogt. So geht das den ganzen ersten Aufzug, so klingt ein siegender Siegmund. Gibt es eigentlich eine Wagner-Rolle, die der Holsteiner im Moment nicht abräumt?
Natürlich hört man, dass seine Stimme sich wandelt. Die vibratoarme Lyrik – einst sein Stolzing-Markenzeichen – weicht einem heldenhafteren, intensiveren Klang. Muss auch so sein, spätestens, wenn er sich nächstes Jahr an den Siegfried wagt. Oder doch nicht? Winterstürme wichen dem Wonnemond, die berühmte Liebesarie des Siegmunds, da schwebt sein Gesang nur noch in der Luft, eben auf linden Lüften. Kein Held mit dem Schwert, stattdessen fließen die Worte wie der Bach, in dem Sieglinde ihr eigen Bild erblickt.
Stichwort Sieglinde: Lise Davidsen wurde schon letztes Jahr als Elisabeth grandios gefeiert, mit dieser Sieglinde legt sie noch mal richtig nach. Ihre Stimme dringt ein, tief ins Herz, tief in die Seele. Eine Frau wie ein Turm, stimmlich wie darstellerisch. Sie singt eine Note, reißt alle Gedanken der knapp 2.000 ZuschauerInnen fest an sich. Ich wage es zu sagen: Sie war noch ein Ticken besser als Vogt, noch etwas fesselnder.
George Zeppenfeld ist nach wie vor eine zuverlässige Bank für alle Bass-Rollen des Wagner-Repertoires. Dazu zählt auch der Hunding. Mit glasklarer Textverständlichkeit meisterte er auch die zweite von insgesamt vier Rollen auf dem Grünen Hügel dieses Jahr.
Es wäre der perfekte erste Walküre-Auszug gewesen. Cornelius Meisters Dirigat fiel fast eine Stunde lang kaum auf, weder positiv noch negativ. Auch die Wagner-Tuben haben endlich mal solide sauber gespielt, das kann auch ganz anders klingen. Dann kam der Schluss „Bist du Siegmund, den ich hier sehe“, einer der emotional aufgeladensten Momente der Opernliteratur. Leider konnte Meister sich von der immer schneller werdenden Raserei dieser Takte nicht mitnehmen lassen, die für diesen Moment eigentlich so charakteristische Ekstase blieb aus.
Kommen wir zu den anderen Rollen, schließlich ging es nach dem ersten Aufzug noch fast drei Stunden weiter. Christa Mayer sang die Fricka mit kräftiger Stimme, völlig logisch, dass sie damit selbst den Göttervater Wotan von seinem eigentlichen Willen zum Umdenken bringen konnte. Auch die acht Walküren waren souverän, wie ein Chor aus 8 Weltklasse-Sängerinnen. Sie haben gekämpft, ja, aber nicht gegeneinander, sondern miteinander.
Iréne Theorins Brünnhilde hat leider sehr viele Noten schlicht falsch gesungen, viele davon zu hoch, teilweise um mehrere Halbtöne. Ihre Gesang wirkte für mich etwas forciert, gar gepresst, das war selbst für die Kriegerin Brünnhilde ein wenig zu hart. Dazu setzte sie den diesjährigen Trend der textlichen Unverständlichkeit fort; selbst an Stellen, wo ich das Libretto kannte, hatte ich größere Probleme, sie zu verstehen. Von allen Hauptrollen auch den zurückhaltendsten Applaus, aber auch keine Buh-Rufe.
Wie gewohnt sang Tomasz Konieczny den zwischen Macht und Liebe zerrissenen Göttervater durchgehend mit dämonischer und drohender Stimme. Vor diesem Wotan kriegt man Angst, selbst die letzte Reihe in der Galerie fürchtet sich vor diesem allmächtigen Gott, dem alle gehorchen müssen. Ein Schwertzerhacker par excellence, auch wenn er in dieser Inszenierung kein Schwert zerhackt, sondern aus eigener Hand Siegmund erschießt. Einer der vielen Highlights dieser Inszenierung. Ist keine schöne Ansicht, wenn ein Vater seinen eigenen Sohn ermordet, aber das ist die Handlung. Ist brutal, ist bitter, ist die Realität dieser Oper.
Brennend hätte mich Koniecznys Schlussmonolog im dritten Aufzug interessiert. Dazu kam es leider nicht mehr, denn kurz vor Ende des zweiten Aufzugs brach ein Stuhl, auf dem der Konieczny-Wotan saß, zusammen. „In Stücken das Schwert“ konnte er noch singen, zu Beginn des dritten Aufzugs hieß es, er sei nach diesem Bühnenunfall nicht in der Lage, die Partie fortzusingen. Glücklicherweise konnte Michael Kupfer-Radecky für ihn gesanglich wie auch szenisch einspringen.
Erstens ist es für jeden Sänger eine Zumutung, in diese Hammerrolle mit einer Stunde Vorlauf einzuspringen. Zweitens hat der diesjährige Gunther verdammt gut gesungen. Das wäre auch für Konieczny eine Mammut-Aufgabe gewesen, noch besser zu singen. Kupfer-Radecky konnte auch donnern, seine Stimme hatte die mächtige Macht, Brünnhilde brutal zu bestrafen. Aber auch die andere Seite des Wotans – die der Liebe – klang bei ihm richtig gut durch. „Muss ich verlieren, dich, die ich liebe“, da hat man Wotans Schmerz, seine Lieblingstocher verabschieden zu müssen, gehört und gespürt. Höchste Zeit, dass dieser Sänger größere Rollen übernimmt.
Nach einer banalisierten, gar albernen Rheingold -Inszenierung war man natürlich auch auf den zweiten Teil der szenischen Umsetzung gespannt. Viel besser als am Vorabend, die politische, dramatische Dimension des Werks kam wieder richtig gut durch. Im Feuerzauber wurden die Augen zwar nicht von Flammen, wohl aber vom Anblick der leeren, monströs großen Bühne überwältigt. Es war wieder spektakulär, wie Wagner dieses Gesamtkunstwerk gedacht hat.
Morgen ist Pause, dann gehts am Mittwoch mit Siegfried weiter. Mal schauen, wer den Wanderer singt und was sich Valentin Schwarz für den dritten Teil der „Netflix-Serie“ – so hat er seine Ring-Inszenierung selbst bezeichnet – hat einfallen lassen. Schade, dass Vogt wie auch Davidsen im Ring schon durch sind. Aber vielleicht ist ja Schager der diesjährige Traum-Siegfried?
Peter Walter, 2. August 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspiele, 1. August 2022
Richard Wagner, Das Rheingold Bayreuther Festspiele, 31. Juli 2022
„Lohengrin – für Kinder“ – die Kinderoper der Bayreuther Festspiele 2022 Bayreuth 30. Juli 2022