Das Luzerner Theater überrascht mit einer musikalischen Rarität

Béla Bartók, Herzog Blaubarts Burg  Luzerner Theater, 16. September 2022

Foto: Solenn’ Lavanant Linke als Judith, Herzog Blaubarts Burg, Luzerner Theater, © Ingo Hoehn

Mein Klavierlehrer, ein gewisser Professor Tibor Házay – er stammte aus Ungarn – versuchte mich (mit nur mäßigem Erfolg) für zwei ungarische Komponisten zu begeistern: Béla Bartók und Zoltán Kodály. Ich hätte lieber nur Mozart gespielt. Aber konnte ich damals ahnen, dass Bartók neben den für mich eher fad wirkenden Klaviersonaten eine faszinierende Oper komponiert hatte – und noch dazu seine einzige? Herzog Blaubarts Burg – ich gebe zu, ich ging eher skeptisch ins Luzerner Theater, was sich als ziemlich banausenhaft herausstellte – ist ein Faszinosum, vor allem in dieser meisterhaften Inszenierung der jungen, preisgekrönten Regisseurin Anika Rutkovsky und mit hervorragenden Sängerinnen (Judith 1 und 2) und einem fantastischen Blaubart.

Luzerner Theater, 16. September 2022

Béla Bartók, Herzog Blaubarts Burg


von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)

„Warum tötet Blaubart, was er liebt?“ – dies ist die unbeantwortete und unbeantwortbare Frage, welche dieser pausenlos durchkomponierten einaktigen Oper zugrunde liegt. Es ist nicht nur eine Frage ohne Antwort, sondern eine Frage, die sich nährt von jahrhundertealten Erzählungen, Geschichten, Märchen, Balladen und Sagen, welche alle um dieses eine Motiv kreisen: Hingebungsvoll liebende Frauen, ein kalt-abweisender Aristokrat, der für diese Frauen umso begehrenswerter, herausfordernder wird, je kälter er sich gibt – bis hin zum Serienmord. Wir fühlen uns an Lohengrin (und an durchaus alltägliche Erfahrungen im Beziehungsalltag…) erinnert: die Frau will unbedingt das Geheimnis lüften, das sich hinter den sieben verschlossenen Türen verbirgt, die Fragen werden immer inständiger, lästiger, bohrender – und die Ablehnung des Mannes verhärtet sich bis zum Mord. Nie sollst Du mich befragen…

Es ist die Tragödie der emotionalen Asymmetrie, der unerklärlichen, unhaltbaren Anziehung und der absoluten, radikalen Zurückweisung. Dieser Magnetismus und diese Abstoßung zwischen Mann und Frau, dieser Widerspruch legt ungeheure Kräfte, zerstörerische Kräfte frei – und Bartók verstand es, in diesem ebenso kurzen wie starken Werk diese ungeheuren Gegensätze zwischen Liebe und Mord in eine zutiefst expressive Musik zu gießen – vor einer zutiefst symbolistischen Handlung. Rutkovsky verstand es, unterstützt von einem exzellenten Licht-Designer (Marc Hostettler), dieses Spannungsfeld in eine Bühnenrealität umzusetzen, die den Zuschauer eine Stunde zwanzig Minuten lang in Bann hält und erst mit dem Schlussapplaus aus seiner Erstarrung löst. Die Türen sind riesige Spiegel, die das gleißende Licht zurückwerfen – der Rest ist Abstraktion, ist im Text vorgegeben und wird der Fantasie des Zuschauers überlassen.

Herzog Blaubarts Burg, Luzerner Theater (c) Dr. Charles E. Ritterband

Schwer zu glauben, dass Bartók dieses völlig avantgardistische Werk bereits im Jahr 1911 komponierte – just das Jahr, in dem Richard Strauß’ „Rosenkavalier“ mit seiner so eingängig-wunderschönen, noch tief in der Romantik des 19. Jahrhunderts verhafteten Musik in Dresden uraufgeführt wurde. So populär der „Rosenkavalier“ ist, permanent in allen großen Häusern der Welt auf die Bühne gebracht, mit den berühmtesten Sängerinnen und Sängern, so unbekannt ist doch „Blaubart“. Selten aufgeführt (immerhin: kürzlich in einer großartigen Inszenierung in der Salzburger Felsenreitschule) führt dieses grandiose Werk – für die Regisseurin Rutkovsky nichts weniger als „ein Monolith“ – ein Schattendasein auf den Opernbühnen. Verdienstvoll, dass sich das Luzerner Theater an dieses nicht populäre, widerspenstige und keineswegs eingängige Werk gewagt hat – ein verborgenes Juwel! Hier findet sich keine Spur von den ungarischen Volksmusik-Klängen, die Bartók faszinierten und die er sonst in seine Kompositionen einfließen lässt. Überhaupt orte ich im „Blaubart“ keine Spur von ungarischer Melodik. Das ist Moderne pur.

Herzog Blaubarts Burg, Luzerner Theater (c) Dr. Charles E. Ritterband

Die Zusammenarbeit mit dem renommierten Lucerne Festival bürgt für höchste musikalische Qualität, die denn auch durch das subtil und präzis intonierende Luzerner Sinfonieorchester unter der souveränen Stabführung von Jonathan Bloxham gewährleistet wurde. Er betont, dass dieses musikalische und literarische Meisterwerk zu Unrecht so selten gespielt wird. Das mag auch an den extrem hohen Ansprüchen an die Stimmen vor allem der beiden Sängerinnen liegen. Sowohl Solenn’ Lavanant Linke als auch Camila Meneses brachten die zwei Judith-Figuren mit tragenden, weich modulierenden Stimmen auf die Bühne. Der frauenmordende Herzog Blaubart des Christian Tschelebiew ließ einen sonoren, maskulinen Bass ertönen – zu einer steinernen Miene. Der (wenig bekannte) Schriftsteller Reinhard Koester charakterisiert diesen Blaubart, der so viele Rätsel aufgibt und keine Fragen beantwortet, mit folgenden Worten:

„Er liebte mehr als irgendeiner,
denn seine Sehnsucht war ein Meer.
Er liebte viele – aber keiner
gab er die ganze Seele her.
Und sah er sich im Lustgenießen,
nach dem sein Blut verzweifelt schrie,
in eine Frau hinüberfliessen –
erschlug er sie.“

Dr. Charles E. Ritterband, 16. September 2022, für
klassik-beigeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung: Jonathan Bloxham
Regie: Anika Rutkovsky
Bühne und Kostüme: Uta Gruber-Ballehr
Licht: Marc Hostettler
Herzog Blaubart: Christian Tschelebiew
Judith: Solenn’ Lavanant Linke
Judith 2: Camila Meneses
Luzerner Sinfonieorchester
Koproduktion mit Lucerne Festival

Béla Bartók Herzog Blaubarts Burg und Carl Orff De temporum fine comoedia Großes Festspielhaus, Salzburg, 31. Juli 2022

Béla Bartók, „Judith“, Konzert für Orchester und „Herzog Blaubarts Burg“, Bayerische Staatsoper, München (Premiere), am 1. Februar 2020

Senza Sangue, Herzog Blaubarts Burg, Péter Eötvös, Béla Bartok, Hamburgische Staatsoper

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