Experiment gelungen: Kunstart-Fusions-Krimi! Judith Bond in München

Béla Bartók, „Judith“, Konzert für Orchester und „Herzog Blaubarts Burg“,  Bayerische Staatsoper, München (Premiere), am 1. Februar 2020

Bayerische Staatsoper, München (Premiere), am 1. Februar 2020
Béla Bartók, „Judith“, Konzert für Orchester und „Herzog Blaubarts Burg“
Foto: W. Hösl (c)

von Frank Heublein

Béla Bartók ist ein reichlich unbeschriebenes Opernblatt. Nur eine und dazu sehr kurze Oper. Herzog Blaubarts Burg entstand 1911 und wurde erst sieben Jahre 1918 später in Budapest uraufgeführt. Davor hatte kein Haus Interesse an einer Aufführung gezeigt. Kompositions-Lust geht anders.

Zu kurz ist die Oper für einen ausgefüllten Abend. Was machen? Katie Mitchell ist für die Inszenierung zuständig und hat mehrere Ideen zusammengeführt, die diesen Herzog Blaubart neu interpretieren, mich sehen und empfinden lassen.

Idee eins: das von Bartók 1943 komponierte Konzert für Orchester vor die Oper zu stellen. Wie hören sich Werke desselben Komponisten nacheinander an, zwischen den 32 Jahre Leben stehen? Wie werden die beiden Stücke sinnvoll verknüpft?

Idee zwei: Blaubarts Verhalten in der Oper ist sehr ambivalent. Wie geht große Liebe mit derartiger brutaler Macht-Gewalt zusammen? So unbedingt erschließt sich mir das aus dem Libretto nicht. Katie Mitchell nimmt die weibliche Perspektive ein: Was bewegt Judith, sich diesem Blaubart und seiner Zimmer seiner Burg auszusetzen?

Was Mitchell zu Idee drei führt: Liebe als Triebfeder? Konformistisch, langweilig wenig überzeugend. Was wäre, wenn Judith Blaubart als Täter aufzudecken versucht? Wenn also keine Liebesgeschichte, sondern ein Krimi erzählt wird?

Muss mit Idee vier der passende Rahmen gesetzt werden. Das Konzert für Orchester wird Stummfilmmusik für einen ersten (Film-) Akt, der im Heute spielt und für den passenden Rahmen sorgt.

Klingt das nach (ein-)gängiger Oper? Für mich erst einmal nicht, das finde ich – gerade! – spannend. Es ist ein Experiment auf mehreren Ebenen. Bartòks Konzert für Orchester funktioniert als Stummfilmmusik für mich fantastisch. Hätte ich mir vor dieser Aufführung so nie vorgestellt. Dirigentin Oksana Lyniv gelingt, einen zeitgemäßen lebensechten Stummfilm mit Kriminalhandlung mit Bartóks Musik zu verschmelzen. So etwas habe ich selten gesehen in den letzten Jahren. Noch dazu in einer als „Opernabend“ deklarierten Veranstaltung! Kunstformen werden verwoben. Der Film wird als erster Akt vor die Oper gesetzt. So rahmt und konditioniert er meine Wahrnehmung und Interpretation des Opernwerks.

Die beiden Kompositionen aus Idee eins werden durch die starke inhaltliche Klammer aus Idee drei ineinander verwoben – und das obwohl die Lesart von Herzog Blaubarts Burg damit komplett gegen den (patriarchalen) Strich gebürstet wird. Risiko eingehen, neue Wege gehen: das soll Kunst.

So beginnt der insgesamt kurze Abend ohne Pause mit dem Konzert für Orchester als Stummfilmuntermalung. Oksana Lyniv dirigiert das bayerische Staatsorchester souverän. Ich höre einen klaren, prägnanten präzisen Klang, immer! ob in der Solostimme oder im vollen Orchester im fortissimo. Dabei spielt die Musik gar nicht die Hauptrolle. Es ist der Film, cool und krimizeitgemäß von Grant Gee in Szene gesetzt. Die Musik verstärkt die filmische Stimmung kongenial. Ein Stummfilm, der die Aufgabe hat, als „erster Opern Akt“ handlungstechnisch zu fungieren. Ich wundere mich nicht – vielmehr erst hier beim Schreiben. So normal wie es sich anfühlt, das ist das hervorragend Gelungene daran!

Ein Typ – es wird der Herzog Blaubart im zweiten Akt des Abends, also der Oper – kauft Frauen in einem Internetportal, bemächtigt sich ihrer, schließt sie weg. Die Frauen gelten als vermisst. Einer der drei Fälle wird im Film gezeigt. Und hineingeschnitten in die Tathandlung wird die Kommissarin, die den Fall bearbeitet. Sie kommt durch geschickten Schluss auf des Entführers Muster. Und bietet sich übers Internetportal als Köder an. Blaubart schluckt diesen. Alles zeitgemäß: Frau Kommissarin verdrahtet sich mit dem Hauptquartier. Die K.O.-Tropfen erkennt die Kriminalistin am Geruch und bleibt daher wach, als sie in die moderne Trutzburg Blaubarts – ein Londoner Loft gefahren wird. Dem Handlanger, der als „frauenzustellender Fahrer“ fungiert, ist die Sache längst nicht mehr geheuer. Aus Gangsterehre lässt er beim Gehen seinen Lohn liegen, denn das Opfer ist gegen die Anweisung bei Übergabe wach.

Film aus. Licht bleibt aus. Ein paar irritierte Klatscher, denn es geht nach Willen der Aufführenden ohne Pause sofort weiter mit der ersten Opernszene.

Spannung wird im Film reichlich aufgebaut. Gelingt es der Kommissarin – Judith, Blaubart zu enttarnen, die vermissten Frauen zu finden? Ich werde eingefangen von der filmisch gesetzten Handlung und schaue Herzog Blaubarts Burg gänzlich neu.

Kommissarin Judith ist also in der Burg – dem Londoner Loft angekommen. Das Auto aus dem sie steigt, dient als Identifikation des unmittelbaren Anschlusses der Handlung. Blaubart ist ambivalent gespalten: passt perfekt in die aufnotierte Opernrolle Blaubarts. Wach ist sie? Oha! Eine Herausforderung. Denn Kommissarin Judith fordert! Power ist der Herzog nicht gewohnt. Durch den „erster Akt“ Film werden die Rollen Blaubarts und Judiths aus der Filmhandlung heraus interpretiert. So ist die Frau die starke, die den Entführer aufzudecken sucht. Dafür geht sie ein sehr bewusstes berufliches Risiko ein. Der Herzog dagegen kann dieser Frauenpower wenig entgegensetzen. Schnell rückt er Schlüssel um Schlüssel der sieben Zimmer heraus. Prahlt und protzt mit den Zimmerausstattungen. Fragt die Kommissarin Judith anfangs: „hast Du Angst?“ Die Frage verhallt. Hat sie also nicht! Und so tankt sich Kommissarin Judith – aller klugen Frauenkniffe kundig – vor bis ins siebte Zimmer. Eben bis zum Ende, bis die drei Frauen erfolgreich befreit sind! Im sechsten Zimmer gibt’s ein wenig Stress. Schwamm drüber. Souverän hält sie die Situation im Griff. Blaubarts Versuch misslingt final, Kommissarin Judith zu überwältigen. Fall gelöst!

Alex Eales Bühnenkonstruktion klappt prima. Nicht leicht bei dieser sehr kurzen Oper, in dem die zwei einzigen Protagonisten ständig in neue Zimmer wechseln! Ihm gelingt es mit einem „laufenden Zimmerband“, das von rechts nach links beständig langsam über die Bühne fährt.

Oksana Lyniv hält im zweiten Teil der Aufführung weiter souverän die musikalischen Zügel am Pult des hervorragend aufgelegten bayerischen Staatsorchesters in der Hand. In Bariton John Lundgrens Herzog Blaubart und Sopran Nina Stemmes Judith stehen zwei stimmlich wie spielerisch hervorragende Künstler auf der Bühne, die die inszenatorische (neue) Rollendynamik traumwandlerisch sicher in Spiel und Gesang meistern. Große Klasse in jedem gesungenen Ton. Er der ambivalente, reiche, egomanische, protzende, macht- und herrschsüchtige, der doch recht schnell klein beigibt. Wenn sie die Powerfrau, unerschrocken, schlau, klug, zielgerichtet, entschlossen sich durchsetzt. Den beiden gelingt, all das aus ihren Stimmen auf den Punkt herauszuholen und mit dem Spiel zu verbinden. Das Orchester und die beiden Stimmen verschmelzen zu einer intensiven dichten Einheit. So funktioniert auch hier im zweiten Akt – der eigentlichen Oper – die dramatische Aufladung. Die Musik ist mir perfekte Untermauerung und Steigerungsinstrument der dramatischen Handlung auf der Bühne. Klingt perfekt nach eingängiger Oper! Sie ist es für mich.

Ich kannte das Ende der Oper bisher nur andersherum interpretiert: das zu neugierige Weibchen endet wie die drei anderen davor im siebten Zimmer als des Herzogs nächstes Spielzeug. Die neue gänzlich andere Interpretation funktioniert für mich. Dies liegt am Ideenreichtum und der schlüssigen Zusammenführung wie Umsetzung des experimentellen Ansatzes Katie Mitchells, Kunstformen zu fusionieren und anders einzusetzen als ursprünglich gedacht. Bartóks Konzert für Orchester als Stummfilmmusik! Tolle Idee. Mir kommen keine Zweifel, all das ist rund und sehr gelungen.

Tuscheln im persönlichen Zuschauerumfeld mag manchmal stressen, das gehauchte „uh James Bond“, als der Schlussvorhang fiel, bringt es fast auf den Punkt: ihr Name ist Judith, Judith Bond.

Frank Heublein, 2. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung Oksana Lyniv

Inszenierung Katie Mitchell

Bühne Alex Eales

Filmregisseur Grant Gee

Herzog Blaubart John Lundgren

Judith Nina Stemme

Bayerisches Staatsorchester

 

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