Foto: © Terry Linke
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 21. September 2022
Zubin Mehta, Dirigent
Martha Argerich, Klavier
Wiener Philharmoniker
von Jürgen Pathy
„Komm mit“, fordert sie ihn auf. Zumindest scheint es so, wenn man die Worte von Martha Argerichs Lippen richtig liest. Doch die gebrechlichen Knochen wollen nicht mehr so recht. Deshalb bleibt er lieber sitzen. Zubin Mehta, der die Wiener Philharmoniker gerade eben einfühlsam durch Schumanns Klavierkonzert geleitet hat. In göttlicher Manier. Ebenso wie die „Löwin am Klavier“ selbst.
Ein Beiname, den man der Argerich gerne andichtet. Die hatte nur wenige Augenblicke zuvor Geschichte geschrieben. Selten hat man Schumanns romantisches Werk, eine Hommage an Clara Schumann, derart innig und zauberhaft vernommen. Dabei setzt Martha Argerich vor allem auf eines: Ausdruck, Ausdruck und nochmals Ausdruck. Mit welcher Intensität sie das Hauptthema, dieses herzzereißende Bekenntnis in a-Moll in den großen Saal des Wiener Konzerthauses geleitet, fast schon fantasiert, ist umwerfend. Lässt einem den Atem stocken, fast schon dahinschmelzen.
Dass ihr dabei ein Orchester zur Seite steht, das an diesem Abend ebenso in Hochform agiert, setzt noch eins drauf. Wie eng verwoben, fast schon mit Hingabe umschlungen, da die Klarinette und Martha Argerich im ersten Satz einen musikalischen Liebesakt vollführen, gleicht Überirdischem. Wie lyrisch da alle Musiker im Andantino fast schon dahinschweben – ein Traum. Selbst der letzte Satz, ein Allegro vivace, verkommt da nicht zu einer ermüdenden Klavier-Technik-Show, sondern flirrt und schwebt unter Argerichs Händen nur so dahin.
Ein deutliches Zeichen an die Musikalität
Überhaupt scheinen an diesem Abend alle an einem Strang zu ziehen – noch mehr als sonst. Von den ersten Geigen über die Holzbläser bis hin zu den Celli, die vor allem nach der Pause nochmals ordentliche Akzente setzen. Da schenken die Wiener Philharmoniker ihm nämlich noch einen gebührenden Abschluss. Maestro Zubin Mehta, körperlich zwar schwer gezeichnet, in den Augen aber noch immer das blühende Leben.
Alle für einen, einer für alle, lautet da unmissverständlich das Credo. Anders scheint es fast unerklärlich, dass man hier eine Vierte Bruckner zelebriert, die vom ersten bis zum letzten Satz von einem enormen Spannungsbogen durchzogen ist.
Dass da Martha Argerich bereits lange die Bühne verlassen hat, tut dem Schlussapplaus keinen Abbruch. Den hatte sie bereits zur Pause kassiert. Nachdem sie zuvor nochmals mit einer Zugabe von Domenico Scarlatti verdeutlicht hat, dass sie nicht nur wegen ihres überirdisch schönen Tons fast schon allein auf weiter Flur steht, sondern auch ihrer noch immer flinken Finger wegen.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 24. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at