Foto: Omer Meir Wellber © Rouven Steinke
Eröffnungskonzert des Eufonie Festival
Gustav Mahler, Symphonie Nr. 5 cis-Moll
Wolfgang Amadeus Mozart, C-Dur Klavierkonzert Nr. 21, KV 467
Wiener Symphoniker
Omer Meir Wellber, Dirigent
Jan Lisiecki, Klavier
Warschau, Filharmonia Narodowa (Nationalphilharmonie), 18. November 2022
von Jürgen Pathy
So etwas hat die Welt noch nie gehört. Besonders nicht in Warschau, wo das Eufonie Festival dieses Jahr keine Mühen und Kosten gescheut hat: Mit Unterstützung des polnischen Kulturministeriums hat man zur Eröffnung die Wiener Symphoniker in die polnische Hauptstadt geladen. Die haben während ihrer traditionsreichen Geschichte bestimmt schon die ein oder andere Duftmarke gesetzt. Unter Omer Meir Wellber gelingt der nächste Streich. Mahlers 5. Symphonie, ein Kosmos der Emotionen, hat man derart spannend noch nicht erlebt.
Mahler’scher Herzschmerz in Vollendung
Mahlers Symphonien sind ein Schatz. Sie zehren aus einem enormen Reichtum. Sie spiegeln generell schon das unermessliche Maß wider, warum in der Musik mehr Kraft und Ausdruck innewohnt, als in jeder anderen Kunstform. Oder hat man Zuschauer derart gebannt und fassungslos schon Mal eine Mona Lisa knapp über eine Stunde betrachten sehen oder einen Michelangelo?! Vielleicht, aber die Spannung und die Energie, die man während einer Sternstunde der symphonischen Aufführungspraxis gemeinsam erleben kann, erreicht keine andere Kunstform. Vor allem dann nicht, wenn man das Glück hat, einen Klangmagier in Höchstform zu erleben.
Omer Meir Wellber ist ein faszinierender Dirigent. Eine Mischung aus Teodor Currentzis und Christian Thielemann. Der Israeli hüpft und streckt sich, wenn er es bombastisch und voller Spannung will. Lehnt sich geschmeidig zurück und geht in die Hocke, wenn er die Tempi reduziert und die Lautstärke gedrosselt will. Die Wiener Symphoniker folgen unermüdlich. Suchen regelmäßig den Blickkontakt mit dem schlanken 41-Jährigen.
Dass sich daraus dann eine Sternstunde der Mahler’schen Interpretation entwickelt, ist bei dieser sensationellen Konstellation schon fast unausweichlich. Vor allem, weil der junge Israeli auch noch einen anderen Giganten seiner Zunft ins Spiel bringt. Laut Sergiu Celibidache bestehe Musik aus nichts anderem als Spannung und Auflösung. Omer Meir Wellber ist ein Meister dieses Credos. Zieht das Ende des traumhaften Adagiettos fast schon bis an die Schmerzgrenze hinaus, ohne dabei den Absprung zu versäumen. Eine punktgenaue Landung. Höchstnote 10. Telemark und perfekter Sinkflug inklusive. Das Skisprungpublikum wäre aus dem Häuschen.
Ebenso wegen der außergewöhnlichen Darbietungen an den Celli und dem Blech. Das muss den Vergleich mit den oft zitierten US-amerikanischen Orchestern nicht scheuen. Mit einem Pluspunkt: Im Gegensatz zu den Kollegen aus Übersee klingen die Wiener Hörner, an denen die Wiener Symphoniker spielen, um einiges Mahlerlike. Kniefall natürlich auch vor dem Komponisten selbst: Mahler hat es, wie wohl nur noch Richard Wagner neben ihm, geschafft, die Celli und das Blech zu einer tragenden Säule seiner Werke zu gestalten. Das Scherzo der 5. Symphonie ist ein Beweis dafür.
Ein ganz klassischer Mozart
Größte Überraschung an diesem Abend: Omer Meir Wellber beherrscht auch den Spagat. Kann Mahler ebenso wie Mozart. Eine Kunstfertigkeit, die nur sehr wenige beherrschen – weil Mozart im Gegensatz zu Mahler nicht annähernd so offensichtliche Anweisungen in der Partitur hinterlassen hat. Das Orchester und der Solist machen es ihm an diesem Abend aber auch leicht. Hatte Jan Lisiecki in blutjungen Jahren noch keinen derart klaren Ton entwickelt, ist der mittlerweile 29-jährige Kanadier zu einem ernstzunehmenden Mozart-Interpreten gereift.
Mit dessen C-Dur Klavierkonzert Nr. 21, KV 467, liefert Lisiecki einen Klang, so zart und leicht wie die Schneeflocken, die im eiskalten Warschau bereits gefallen sind. Hitzewallungen gibt es nur in der Nationalphilharmonie. Die bebt am Ende. Angesichts dieser grandiosen Präsentation des kulturellen Reichtums der österreichisch-ungarischen Monarchie – ein Schwerpunkt des diesjährigen Eufonie Festivals – dann fast schon ein Selbstläufer. Das Chopin Nocturne in Es-Dur op. 9/2, als auch zwei Polkas ganz am Ende setzen dann einen passenden Schlusspunkt.
Das Festival dauert noch bis 27. November 2022 und präsentiert auch Raritäten der slawischen und polnischen Musik. Von Janáček über Smetana bis hin zu Lutosławski – und natürlich auch das Warschauer Orchester „Sinfonia Varsovia “, das mit den Wiener Symphonikern einen harten Gradmesser zu bestehen hat.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 20. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Beethoven, Fidelio, Konieczny, Apokalypse, Opera Baltycka, Danzig, 12. März 2022