Foto: Lohengrin 2022 © W. Hoesl
Wäre diese Inszenierung nur nicht so sehr darauf getrimmt, möglichst alles, was Wagner wollte, zu missachten – und wenn man das vorhat, würde man diese Persiflage auch nur ansatzweise verstehen –, so hätte das ein eindrücklicher Abend werden können. Die Inszenierung ist unverständlich, sie ist teilweise primitiv (zum Beispiel, wenn sich das Volk bei „Nie sollst du mich befragen“ den Mund zuhält), und sie frönt künstlerischem Elitismus. Denn vermutlich erschließt sich erst nach eingängiger Lektüre einiger hundert Seiten Regiekonzept der Abend in all seinen tieferen Bedeutungsschichten. Solches Nacharbeiten zu erfordern, kann aber nicht die Aufgabe von Musiktheater sein.
Lohengrin
Musik und Libretto von Richard Wagner
Bayerische Staatsoper, 7. Dezember 2022
von Willi Patzelt
Manchmal hat man den Eindruck, neue Lohengrin-Inszenierungen führten einen Wettkampf darüber, noch symbolistischer, noch innovativer, noch dekonstruierender zu sein als die Konkurrenz. Schließlich seien Schwäne ebenso überholt wie Schwertkämpfe. Nun ja, die Ergebnisse können gelingen wie der Bayreuther „Ratten-Lohengrin“ von Hans Neuenfels, sie können gänzlich lächerlich sein, wie Jossi Wielers Inszenierung bei den diesjährigen Opernfestspielen in Salzburg oder sie verwirren, voller „psychologischer Studien“ und symbolischer Chiffrierung so sehr, dass wirklich nur sehr hypothetisch darüber gemutmaßt werden kann, was eigentlich gezeigt werden sollte.
Letzteres beschreibt den neuen Münchner Lohengrin des Ungarn Kornél Mundruczó. Schon im Vorfeld war in Interviews und dem begleitenden Audio-Material der Bayerischen Staatsoper angekündigt worden, die Inszenierung wolle viele Fragen stellen. Zumindest dies gelang. Allerdings mache es große Kunst aus, dass sie nicht nur gute Fragen stelle, sondern auch gute Antworten gäbe, so einst der leider verstorbene Stefan Mickisch. Diese Antworten kann man dann auch streitig diskutieren. Unter dem Publikum, dessen Applaus auch schon mal üppiger ausfiel, wurde hingegen in den Pausen vermehrt diskutiert, welcher Lohengrin eigentlich noch schlimmer sei: Die alte etwas schwachsinnige Inszenierung von Richard Jones oder diese neue Persiflage von Kornél Mundruczó.
Wohl in einer posthumanen Welt, findet sich das Volk von Brabant schon während des Vorspiels in einem weißen Raum mit einigen Bäumen wieder. Der König zeichnet sich nicht durch Königliches aus, im besten Falle ist er im Volk ein primus inter pares, dessen genauere Aufgabe aber auch in den darauffolgenden Stunden nicht wirklich klar wird. Die Inszenierung verzichtet auf alles Übernatürliche – Lohengrin wird aus dem Volk heraus als Retter bestimmt, ohne das augenscheinlich überhaupt zu wollen. Das steht freilich in Gegensatz zu Text und Musik („Heil, König Heinrich…“). Aber diese Ignoranz zieht sich durch den ganzen Abend.
Das dahinterstehende Konzept von Mundruczó mag ja durchaus interessant sein. Was passiert mit einem Volk, das ohne Hoffnung und ohne Führung ist? Sich einen Herrscher zu organisieren, in ihn eine Hoffnung zu projizieren, die am Ende in kollektiver Gewalt und Unfrieden endet (wenn nämlich im dritten Akt Telramund vom Volk gesteinigt wird) ist ja durchaus spannend und gesellschaftlich relevant. Manche Inszenierungseinfälle scheinen dann auch – ich betone bewusst vorsichtig, denn es war alles so widersprüchlich, dass sich ein klareres Bild kaum fassen lässt – zu verfangen. Wenn Lohengrin im zweiten Aufzug als „Schützer von Brabant“ vom Volk mit roten Fähnchen begrüßt wird und es etwas an den 7. Oktober 1989 erinnert, kann man darin tatsächlich eine ideologische Verirrung des Volkes vermuten, dass sich eine quasi-religiöse Figur schafft, die es so nicht gibt.
Warum aber Elsa im ersten Akt ständig in einer Pfütze herumspringt (sucht sie darin ihren ertränkten Bruder?) bleibt ebenso unklar wie die Frage, warum sie erst allein und dann mit Ortrud zusammen im zweiten Akt einen Joint raucht. Ebenso bleibt fraglich, warum das Volk im zweiten Akt Regenmäntel trägt, die vom Material optisch etwas an Kondome erinnern und sich Lohengrin und Elsa am Ende des zweiten Aktes als Sonne und Mond verkleiden. Sind sie wohl eine astronomische Vorwarnung für den Kometen, der am Ende vom dritten Akt auf das Volk sinkt? Und warum fährt Elsa auf dem Kometen wieder gen Himmel, nachdem alle anderen, mit Ausnahme von Gottfried, tot sind? Die Inszenierung wollte Fragen stellen. Betrachten wir sie also als gelungen.
Dem viel zu tiefen Griff in die Symbolkiste musste nicht zu selten die Personenregie weichen. Sie findet über weite Strecken kaum statt. Der Chor steht, oder sitzt, in der Regel quasi-konzertant und unbeholfen in der Mitte, oder läuft abwechslungsweise mal auf der Bühne von rechts nach links – und zurück. Lediglich im dritten Aufzug unterstreichen einzelne mit Rücken zum Publikum stehende Choristen, als Kontrast zu vielen Sitzenden, beudeutungsschwanger die Worte Lohengrins: „Wir sind allein, zum ersten Mal allein“.
Musikalisch ist der Abend deutlich erfreulicher. Dass Klaus Florian Vogt als Lohengrin unangefochten ist, muss nicht wiederholt werden. Wie herrlich und leicht kann man diese anspruchsvolle Partie eigentlich singen? Anja Kampe gelingt ein geniales Debüt als Ortrud. Voller Kraft und subtiler Bösartigkeit, zeigt sie Ortrud als Strippenzieherin mit enormer Bühnenpräsenz. Ihr zur Seite Johann Reuter als Friedrich von Telramund überzeugt durch extreme Textverständlichkeit und zeigt den Telramund als eigentlich eher sympathische Person, was, glaube ich, ins Regiekonzept passt. Johanni van Oostrum als Elsa hat womöglich nicht den besten Tag erwischt. Manche Spitzentöne klingen gepresst, auch fehlt es zuweilen etwas an vollendeter melodiöser Linie. Mit Mika Kares als König Heinrich und vor allem dem herausragenden Andrè Schuen als Heerrufer erlebt man abgeschlossen ein wirklich ansprechendes Sänger-Ensemble.
Am Pult, für eine Wagner-Neuinszenierung durchaus überraschend, nicht GMD Vladimir Jurowski, sondern François-Xavier Roth wählt einen eher sachlichen Zugriff auf das Werk. Obschon oft extrem gefühlvoll musiziert, legt er den Fokus nicht auf Pathos und auf Klangrausch, sondern vielmehr auf Klarheit und Artikulation. So hört man zuweilen Begleitfiguren in einer Deutlichkeit, die womöglich sogar über das Ziel hinausschießt. Alles in allem dennoch eine musikalische Interpretation, die wirklich Freude macht!
Wäre diese Inszenierung nur nicht so sehr darauf getrimmt, möglichst alles, was Wagner wollte, zu missachten – und wenn man das vorhat, würde man diese Persiflage auch nur ansatzweise verstehen –, so hätte das ein eindrücklicher Abend werden können. Die Inszenierung ist unverständlich, sie ist teilweise primitiv (zum Beispiel, wenn sich das Volk bei „Nie sollst du mich befragen“ den Mund zuhält), und sie frönt künstlerischem Elitismus. Denn vermutlich erschließt sich erst nach eingängiger Lektüre einiger hundert Seiten Regiekonzept der Abend in all seinen tieferen Bedeutungsschichten. Solches Nacharbeiten zu erfordern, kann aber nicht die Aufgabe von Musiktheater sein.
Willi Patzelt, 9. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
LOHENGRIN, Richard Wagner Bayerische Staatsoper, Mittwoch, 07. Dezember 2022
Richard Wagner, Lohengrin Bayerische Staatsoper, München, 3. Dezember 2022 PREMIERE
Lohengrin, Musik und Libretto von Richard Wagner Bayerische Staatsoper, 3. Dezember 2022 PREMIERE