Tosca in Salzburg: Höchste künstlerische Qualität wurde offensichtlich nicht angestrebt

Giacomo Puccini, TOSCA, Salzburger Osterfestspiele         

Foto: Forster (c)
Giacomo Puccini, Tosca
Salzburger Osterfestspiele, 24. März 2018

von Tim Theo Tinn

„Bedingungsloser Anspruch nach höchster künstlerischer Qualität“ – das fordern die Salzburger Osterfestspiele gemäß ihrem Gründer Herbert von Karajan in diesem Festival der Klassik (lateinisch classicus „zum ersten Rang gehörig, mustergültig“).

Wer ist derzeit für die fehlende Einhaltung dieser Maxime verantwortlich: Christian Thielemann (künstlerische Leitung) und Peter Ruzicka (geschäftsführender Intendant)? Salzburger Festspiele auf dem Weg zur Spektakel-Bude?

Erfüllt wird der Anspruch umfassend nur von Anja Harteros. Sonst finden sich gute, solide, geringe und ganz geringe Ergebnisse.

Joachim Kaiser (Kritikgigant des 20. Jahrhunderts) über Karajans Inszenierungen: „…war auch nicht alles verwerflich. Aber es stand ihm wohl nicht zu Gebote, Sänger inszenatorisch zu führen“.

Die aktuelle Tosca-Inszenierung wandelt auf diesen Spuren. „Alles so machen, wie es immer war und nichts so lassen, wie die Leute es gewohnt sind“, kündigte der Regisseur an. Herausgekommen ist ein unentschiedenes Kauderwelsch zwischen versuchtem sogenanntem „Regietheater“, bemühtem Nippen an szenischem Mainstream ohne tatsächliche Akzente und vorsichtigem konventionellen Changieren entlang der Vorlage. Es bleibt eine durchaus kurzweilige Unterhaltung (wie ein lauer Wetterbericht) in plattem Naturalismus ohne eine Theatersprache gefunden zu haben.

Unterkühlte unfreiwillig komische Momente: angekündigte Mafiabezüge entleeren sich durch wenige Sonnenbrillen und Maschinengewehre. Ins Heute lediglich durch Kleidung geholt, müssen Protagonisten über einen „aktuellen“ Sieg Napoleon Bonapartes aus dem Jahre 1800 jubeln. Ständig wird im 1. Bild über Gemälde-Malerei, über ein Frauen-Portrait gesungen, tatsächlich findet sich aber nur eine überdimensionale Marien-Skulptur. So mutiert ein Proviantkorb in den musikalischen Dialogen optisch zum kleinen Jutesack. Tosca fragt: Wer ist die blonde Frau? … und keine ist da. Exekution des Cavaradossi durch Kinder usw. –seltsamer Zauber des Theaters.

Bühnenbild/Ausstattung: Man bleibt überwiegend bei realen Originalschauplätzen in uninspirierter Monumentalität. Damit wird die riesige Bühne illustriert, Räume entstehen nur bedingt. Dafür gibt es übergroße freie Flächen, die die Protagonisten optisch reduzieren, man wirkt dann leicht verloren. Immer ist der Hintergrund nervig schwarz, dunkel. Eine theatralische Möglichkeit fand man zum Beispiel 2007 in Bregenz, die sogar von James Bond als Filmkulisse genutzt wurde. (http://www.omm.de/veranstaltungen/festspiele2007/BREGENZ-2007tosca.html).

Ausstattung, Maske, Bühne sind handwerklich auf mangelfreiem Niveau.

Die Kostüme aus heutigem Alltag sind desillusionierend, trivial, sollten wohl den erhofften Zeitensprung von 1800 nach 2018 transportieren. Soll Theater überhöhte Parallelwelten oder platte Trivialität zur Aktualisierung nutzen?

Musikalische Leitung Christian Thielemann: die Sächsische Staatskapelle Dresden hat den Ruf eines Klangkörpers auf Weltniveau. Die Abstimmung und Qualität ist ein Vergnügen. Musik wird zum Erfühlen, Empfinden gereicht, weg vom Rationalen. Hier versammelt sich Wollen und Können zu genialer Klangmalerei. Und wie gerät die Tosca?

Beispiel: die feine Klangsinnlichkeit des veristischen Puccinis Ende des 2. Aktes. Tosca hat Scarpia gemordet/abgestochen, verweilt, sucht noch Unterlagen und flieht verängstigt. Dieses Seelen-/Empfindungsgemenge hat Puccini nur instrumental komponiert: die letzten fünf Takte unterlegt mit leisem, bedrohlichen Schlagzeugwirbel, ein irrationaler Forte-Akkord, Pause und immer langsameres Piano, Pianissimo und noch weniger …. Im letzten Takt sind nur noch ein Achtel und Pausen komponiert. Der Rezensent hofft auf ein unendliches ätherisches Entschweben ins akustische Nichts. Das könnte tiefe Berührung durch die Situation und Seelenlage der Tosca spiegeln (Angst, Flucht), aber auch schon die Ankündigung der Exekution ihres Geliebten.

Tatsächlich wurden die Takte formal einwandfrei geboten, und dann endete man abrupt. Ein verzehrendes Entschwinden von Klang und Raum war nicht wahrzunehmen. Diese völlig einwandfreie Leistung begleitete den Abend vielfach. Alles war richtig, aber besonders in diesem Rahmen erhofft man sich eine Öffnung in interpretatorische Klangwunder – in außerordentliches orchestrales Ausloten der Tosca-Klangmagie.

Anja Harteros – Sopran ­– Floria Tosca: Wie leuchtet man den Kosmos dieser Stimme mit unreifen Vokabeln aus? Da gibt es ein Fundament, dass der Stimme Größe und Strahlkraft verleiht, dabei elastisch schwingt wie eine silberne Stimmgabel. Es gibt einen Kern, der sensibel Kraft in weit geöffnete Ausgewogenheit führt. Es gibt eine Technik mit grandioser Ausformung der Stimme. Registerwechsel, exponierte Lagen: alles ist ein Wunderweben einzigartiger Sopranwelten.

Grenzenloses Öffnen schwerelos perlender Tonwelten führt ins seidengemantelte oberste Register. Feingeistige musikalische Sensibilität trifft auf intensivste Bühnenpräsenz. Kurz: alles gemäß Eingangstext übertroffen.

Aleksandrs Antoņenko – Tenor ­– Mario Cavaradossi: ungewöhnlich und gut im italienischen jugendlichen Heldenfach, Tenore spinto. Die Stimme ist gut ausgeformt, kann sogar zartes Piano im mühelosen dynamischen auf und ab aller Register. Er hat sich nach seinem Otello vor einigen Jahren an gleicher Stelle positiv entwickelt. Auch die Höhe wurde nach den ersten Szenen frei und schön. Seine Massenkompatibilität dürfte aufgrund seiner für dieses Fach ungewöhnlichen aber großartigen Technik eingeschränkt sein. Das ist kein typischer italienischer Tenor, sondern einer osteuropäischer Prägung. Hier wird die Stimme eher aus guturalem Vermögen im Halsrachenraum entwickelt, während hiesiges Publikum an tenoraler Nutzung der Kopfresonanzräume gewohnt ist. Aus dem Hals eine freie Stimme mit feinem Piano zu führen ist eine Seltenheit und verdient Anerkennung.

Ludovic Tézier – Bariton – Baron Scarpia: ein Weltklasse–Sänger mit perlendem dynamischen Vermögen in allen Lagen, wunderschönem Übergang ins hohe Register, dort samtige Auen schaffend, das war er mal. Nun ist da Einiges untergegangen. Der Stimmsitz ist eingeschränkt, die Brillanz ist verschwunden, die Dynamik wirkt lahm. Es bleibt eine gute solide Leistung, weit entfernt von ehemaliger phänomenaler Klasse.

Die übrigen Partien versetzen fast alle in Erstaunen. Das ist keine Oberliga, sondern nur eingeschränkte statt bedingungsloser Qualität. Muss das Salzburger Osterfestival so besetzen? Einzig Levente Pal kann mit sehr guter Leistung überzeugen, hat aber nur wenige Einwürfe. Selbst der Knabensopran (Anfang 3. Akt) hat eine zu kleine Stimme.

Der Chor blieb seltsam unauffällig, mit seiner Leistung aber in guter Erinnerung.

Mit diesem Abend eröffnen sich die Salzburger Osterfestspiele einen weiten Raum nach oben. Höchste künstlerische Qualität wurde offensichtlich nicht angestrebt.

Tim Theo Tinn, 2. April 2018, für
klassik-begeistert.de

Foto: Barbara Zeininger

Christian Thielemann Musikalische Leitung
Michael Sturminger Inszenierung
Renate Martin und Andreas Donhauser Bühnenbild und Kostüme
Urs Schönebaum Licht
Anja Harteros Floria Tosca
Aleksandrs Antoņenko Mario Cavaradossi
Ludovic Tézier Baron Scarpia
Andrea Mastroni Cesare Angelotti
Matteo Peirone Der Mesner
Mikeldi Atxalandabaso Spoletta
Rupert Grössinger Sciarrone
Levente Páll Ein Schließer                                                                                                                            Salzburger Bachchor
Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor
Sächsische Staatskapelle Dresden

2 Gedanken zu „Giacomo Puccini, TOSCA, Salzburger Osterfestspiele         “

  1. Ich habe die 3 Sat-Übertragung der Tosca gesehen. Was wollte Herr
    Sturminger uns damit sagen? Wird die Tosca nun umgeschrieben?
    Scarpia kommt als Auferstandener zurück und erschießt Tosca.
    „Aber Jesus ist Ostern ja auch aufersanden“! Diese Szene ist noch zu
    ertragen – aber nicht „das Waisenhaus in dem die 3 Elitekinder an der
    Pistole ausgebildet werden“ um Cavaradossi zu erschießen!
    Armes Österreich – einstiges Kulturland – Herrn Sturminger sollten alle
    Gelder gestrichen und er zur Strafarbeit verurteilt werden!
    Kindersoldaten in Österreich – was ist das für eine Blamage!!!
    Edith Bahr

  2. Hallo Herr Schmidt,
    ich habe Ihren Kommentar zum „Elias“ von Mendelssohn-Bartholdy am 15.04.2018 in der
    Hamburger Laeiszhalle gelesen und stimme Ihnen 100 %ig zu.
    Ich habe den „Elias“ vor einigen Jahren im Hamburger „Michel“ gehört mit Franz Grundheber, auch
    die Aufführung war spektakulär.
    Ich bin eine Frau von über 80 Jahren (genau 81 jahre alt) und hätte mir ein Leben ohne klassische Musik nicht vorstellen können. Soviel über mich.
    Vor fast 2 Jahren wurde ich hier in Stade zufällig nachmittags Zeugin einer Hauptprobe in unserer
    Wilhadi-Kirche, es sollte am Abend die „Schöpfung“ von Haydn aufgeführt werden. Mir fiel sofort die Stimme des jungen Bass-Baritons Martin Berner auf, die ich dann am Abend noch einmal erleben durfte. Ich war begeistert !!!
    Ich habe über Internet Kontakt zu ihm aufgenommen und erfuhr von ihm, daß er Weihnachten 2016
    in der Laeiszhalle im Weihnachtsoratorium mitwirkt. Jetzt im Januar 2018 gab er einen Liederabend im Hamburger Tschaikowsky-Saal, ein weiterer musikalischer Hochgenuß. Diese wunderbare “ Elias“ Aufführung jetzt am 15.04. war das bisher letzte große musikalische Erlebnis mit dieser wunderbaren
    Stimme. Ich freue mich., daß Sie seine gesangliche Leistung so gewürdigt haben. Sie haben recht, wenn Sie sagen: DIESEN NAMEN SOLLTE MAN SICH MERKEN.
    Ich hoffe und wünsche ihm, daß er einmal den ganz großen Durchbruch erlebt und noch vielen Menschen mit seiner Stimme so viel Freude bereitet wie für uns hier in Hamburg.
    Waltraut Schlüter

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