Foto: Wikipedia
Wer kennt die Namen von Walter Damrosch, Oley Speaks, Charles Wakefield Cadman? Aber manche ihrer Lieder werden Ihnen beim Anhören der hier angegebenen Beispiele von YouTube sehr bekannt sein. Sänger, wie zum Beispiel Paul Robeson, Marian Anderson, Eileen Farrell, Robert Merrill und, in jüngeren Zeiten, Thomas Hampson haben dazu beigetragen, dass diese Melodien nicht vergessen sind.
von Jean-Nico Schambourg
Walter Johannes Damrosch (1862-1950) war ein in Deutschland geborener amerikanischer Dirigent und Komponist. Er war Direktor des New York Symphony Orchestra und dirigierte die Uraufführungen verschiedener Werke, darunter George Gershwins “Klavierkonzert in F” (1925), “An American in Paris” (1928) und Jean Sibelius’ “Tapiola” (1929). Damrosch war auch maßgeblich an der Gründung der Carnegie Hall beteiligt. Er dirigierte ebenfalls die Uraufführung von Rachmaninows “Klavierkonzert Nr. 3” (1909) mit dem Komponisten selbst als Solist. Eine seiner wichtigsten Dirigaten war die Erstaufführung in den Vereinigten Staaten am 3. März 1886 von “Parsifal” von Richard Wagner.
Zwischen 1928 und 1942 war er der musikalische Leiter des NBC (National Broadcasting Company). In dieser Funktion war er ein Pionier des symphonischen Rundfunks und etablierte auch eine wöchentliche Reihe von Radiovorträgen über Musikverständnis für Schulen.
Obwohl die Geschichte ihn fast nur als Dirigenten kennt, gab es auch den Komponisten Damrosch. Er komponierte die Opern “The Scarlet Letter” (1896), “Cyrano” (1913) und “The Man Without a Country” (1937). Diese Opern werden heute fast nie mehr aufgeführt.
Bekannter ist er als Komponist des Liedes “Danny Deever” auf ein Gedicht von Rudyard Kiplings aus dem Jahr 1890. Von mehreren anderen Komponisten vertont, wurde vor allem Walter Damroschs Version sehr populär, zum Teil dank der Interpretation durch David Bispham, einer der ersten großen amerikanischen Baritonen. “Danny Deever” war auch angeblich das Lieblingslied von Theodore Roosevelt.
David Bispham : https://youtu.be/AXnGft51rSM
Leonard Warren: https://youtu.be/9fhEVpUa_kc
+++
Oley Speaks (1874-1948) war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Lieblingskomponist vieler Sänger. Zu seinen Liedern gehören Vertonungen von Emily Dickinson, Rudyard Kipling, Frank Lebby Stanton und Robert Louis Stevenson. Speaks war auch selbst ein guter Bariton.
Als Komponist schrieb er über 250 Lieder. Zu seinen Kompositionen gehören u.a. sein größter Erfolg “On the Road to Mandalay”, geschrieben auf einen Text aus dem Gedicht “Mandalay” von Rudyard Kipling. Das Lied war eine beliebte Salonballade, insbesondere im Vereinigten Königreich und in britischen Territorien weltweit und wurde von vielen bekannten Sängern aufgenommen, u.a. von Peter Dawson, Laurence Tibbett, Leonard Warren und in unseren Tagen von Thomas Hampson.
Interessant die Geschichte um die Aufnahme von Frank Sinatra, die 1958 auf seinem Album “Come Fly with Me” veröffentlicht wurde. Nach einigem Widerstand des Kipling-Nachlasses, wegen dem Weglassen mehrerer Verse, blieb diese Version des Songs im britischen Commonwealth verboten, bis sie viele Jahre später auf der digital überarbeiteten Veröffentlichung des Albums erschien.
Peter Dawson: https://youtu.be/Q6nyHsP_FTI
Laurence Tibbett: https://youtu.be/jZjRy02OBPY
Frank Sinatra: https://youtu.be/jZjRy02OBPY
Speaks hatte zwei weitere große Erfolge: “Morning” (1910) und “Sylvia” (1914). Ersterer gibt es in u.a. Aufnahmen von John McCormack und Joan Sutherland .
John McCormack: https://youtu.be/22c-2bLY2lI
Joan Sutherland: https://youtu.be/oX20NlLQKL8
Noch bekannter aber ist sein Song “Sylvia”, das Richard Tauber, Jussi Björling, Nelson Eddy, Robert Merrill und viele andere aufgenommen haben. Vor wenigen Jahren erschien es auf einer CD des Baritons Brian Mulligan, mit Klavierbegleitung.
Richard Tauber: https://youtu.be/UAczwFV4MFc
Jussi Björling: https://youtu.be/poGMIxT1Ln4
Brian Mulligan: https://youtu.be/WAVZWwU7fos
+++
Charles Wakefield Cadman (1881-1946) war einer der ersten amerikanischen Komponisten, der sich für die Musik und Folklore der amerikanischen Indianer interessierte. Er hatte Alice Fletchers Abhandlung über die Lieder und Geschichten der Indianer gelesen, welche seine Komposition in neue Bahnen lenkte. Er reiste zu den Omaha-Indianern in Nebraska. Inspiriert von Texten und Melodien der Omaha und Irokesen komponierte er seine “Four American Indian Songs, Op. 45”, das 1909 sein erster kommerzieller Erfolg wurde. Den Text hierzu schrieb Nellie Richmond Eberhart, die die meisten seiner Liedtexte und Opernlibretti schrieb. Das erste Lied des Zyklus “From the Land of the Sky-Blue Waters” wurde zum großen Erfolg, vor allem durch die Unterstützung der bekannten Sopranistin Lillian Nordica, die das Lied auf ihrer Konzerttournee aufführte. Auch andere berühmte Opernsänger haben dieses Lied später aufgenommen.
Lillian Nordica (ab Minute 3:55): https://youtu.be/_PW1dr1Ph6M
Alma Gluck: https://youtu.be/REmyJcA-Ml8
Jerry Hadley: https://youtu.be/CQb8xNZTGJA
Den ganzen Zyklus kann man auf YouTube gesungen von William Parker hören:
Auf seiner Erfolgswelle reitend bereiste Cadman in den 1920er Jahren Nordamerika und Europa, wo er Vorträge über die indianische Musik hielt. Gleichzeitig schrieb er Filmmusik und galt als einer der besten Filmkomponisten Hollywoods seiner Zeit. Im folgenden Jahrzehnt versiegte das Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit an der indianischen Musik und damit auch an Cadman. Einst wohlhabend und allseits gefragt, konnte sich Cadman in seinem letzten Lebensjahrzehnt beim Publikum nicht mehr durchsetzen. Er starb im Jahr 1946 als verarmter und vergessener Künstler.
Cadman war in erster Linie ein ernsthafter Komponist, der für fast alle Genres schrieb. Seine Kammermusikwerke zählen allgemein zu seinen besten Werken. Er führte Elemente der Ragtime-Musik in das klassische Musikformat ein und nahm unter anderem Gershwin, Strawinsky und Milhaud vorweg. Sein Klaviertrio op. 56, komponiert 1913, erregte die Aufmerksamkeit der Kritiker und erregte Lob für seine Neuerungen.
Seine Lieder “At Dawning” (1906) und “From the Land of Sky-Blue Water” (1908) wurden sehr populär. Seine Oper “Shanewis (The Robin Woman)” von 1918 war die erste amerikanische Oper, die zwei Spielzeiten an der New Yorker Metropolitan Opera spielte. Weitere Werke sind die Opernkantate “The Sunset Trail” (1925) und die Opern “A Witch of Salem” (1926) und “The Willow Tree” (1931), die erste amerikanische Oper, die für das Radio geschrieben wurde, die “American Suite” für Streicher, die “Thunderbird Suite” für Klavier, und die Kantate “The Vision of Sir Launfal”.
Das vielleicht erfolgreichste Lied von Cadman wurde 1906 veröffentlicht. Das Lied mit dem Titel “At Dawning”, auf einen Text von Eberhart, wurde von vielen berühmten Sängern aufgenommen.
John McCormack: https://youtu.be/VlWWJ36-am8
Richard Tauber: https://youtu.be/AT_u3qtBC2Y
Paul Robeson: https://youtu.be/C6mPg6DLECo
Thomas Hampson: https://youtu.be/PJLEcMSrcdw
+++
Ernest Charles (1895-1984) war Komponist klassischer Lieder, sogenannter “Art Songs”. Geboren “Grosskopf”, änderte er seinen Familiennamen in “Charles” um und zog nach New York, wo er als professioneller Sänger in Vaudevilles und in Broadway Shows auftrat. Seine Liedkompositionen wurden bekannt, nachdem der amerikanische Bariton John Charles Thomas erstmals sein Lied “Clouds” in einem New Yorker Konzert aufgeführt hatte.
Zwischen 1930 und 1950 komponierte Charles ungefähr 45 Lieder für Gesang und Klavier. Die Lieder sind bekannt für ihr Rubato, mitreißende Gesangslinien, prächtige Melodien und ihren naiven Charme. Zwei seiner Lieder sind sehr populär geworden: “Let My Song Fill Your Heart”, berühmt geworden durch Eileen Farrell, ist ein Lied im Stil des Wiener Walzers.
Eileen Farrell: https://youtu.be/m3MS84Paj6s
Dolores Wilson: https://youtu.be/VliYA6Pe4vw
Ben Heppner: https://youtu.be/rSHEqIwxveI
1934 schrieb Ernest Charles Text und Musik “When I Have Sung My Songs”. Das Stück wurde ein großer Erfolg in Konzertsaal und Radio. Und das mit Recht: die Worte sind kraftvoll, die Musik ist schön und die Stimmung ist edel. Aufgenommen wurde es von Sängern wie Kirsten Flagstad, Rosa Ponselle, John Charles Thomas und vielen anderen. Dieses Lied ist auch zu hören im Abspann des Films “Florence Foster Jenkins” (2016), gesungen von der Hauptdarstellerin Meryl Streep.
Kirsten Flagstad: https://youtu.be/S1s2VlF4AVE
Eileen Farrell: https://youtu.be/13shQla4Cto
Meryl Streep: https://youtu.be/HJ2RweaSgDw
Zum Schluss dieses Artikels seien noch zwei amerikanische Komponistinnen gewürdigt:
Nach ihrer Heirat im Jahre 1885, reduzierte sie ihre Auftritte als Pianistin auf 2 pro Jahr und konzentrierte ihre musikalischen Aktivität auf das Komponieren. Nach dem Tod ihres Mannes 1910 verbrachte sie die Jahre 1911–14 in Europa, wo ihre Auftritte als Pianistin und ihre Kompositionen viel Beifall fanden.
Sie war bei weitem die herausragende Komponistin in den Vereinigten Staaten. Ihre mehr als 300 Werke, von denen fast alle veröffentlicht wurden, umfassen weltliche und geistliche Chorwerke (u.a. Messe in Es, Op. 5), Kammermusik (u.a. eine Violinsonate, Op. 34 (1896), ein Klavierquintett, Op. 67 (1907), Thema und Variationen für Flöte und Streichquartett, Op. 80 (1916), ein Streichquartett, Op. 89 (1929), ein Klaviertrio, Op. 150 (1938)), und viele Klaviermusik für Kinder. Im Jahre 1939 schrieb sie auch eine Oper: “Cabildo” Op. 149.
Am beliebtesten war sie jedoch für ihre Lieder, von denen sie etwa 150 schrieb. Die Texte von etwa fünf stammen von ihr und von ihrem Ehemann H.H.A. Beach, der Rest von anderen Dichtern wie zum Beispiel Shakespeare, Robert Burns und Robert Browning. Seit 1890 hatte sich ihr Interesse an Volksliedern entwickelt, so dass sie sich bald zur ersten nationalistischen Bewegung in der amerikanischen Musik zählte. Zu den Beiträgen von Beach gehörten ungefähr dreißig Lieder, die von Volksmusik inspiriert waren, einschließlich schottischer, irischer, balkanischer, afroamerikanischer und indianischer Herkunft.
Die “Three Browning Songs, Op. 44” (1899) sind vielleicht Beachs bekanntestes Werk. Sie waren ein Auftragswerk der Boston Browning Society, die Beach bat, den Text von „The Year’s at the Spring“ für ihre jährliche Feier zum Geburtstag des englischen Dichters Robert Browning zu vertonen.
Den ganzen Zyklus findet man auf YouTube gesungen von Deborah Voigt:
Von dem zweiten Lied diese Zyklus’ “Ah, Love, but a Day” gibt es auch eine fulminante Aufnahme von Jussi Björling:
+++
Eine weitere amerikanische Komponistin ist Florence Beatrice Smith Price (1887-1953). Sie war die erste Afroamerikanerin, die in den USA als Komponistin klassischer Musik bekannt wurde.
Geboren in Little Rock, Arkansas, bekam sie ihre musikalische Ausbildung am “New England Conservatory of Music” in Boston, was zu dieser Zeit eine bemerkenswerte Leistung für eine schwarze Frau war. Zurück in Little Rock, gründete Price ein Musikstudio, gab Klavierunterricht und schrieb kurze Stücke für Klavier. Trotz ihrer Zeugnisse wurde ihr aufgrund ihrer Rasse die Mitgliedschaft in der “Arkansas State Music Teachers Association” verweigert.
Zunehmende rassistische Spannungen in Arkansas in den 1920er Jahren ließen sie 1927 nach Chicago ziehen. Sie setzte ihre Musikstudien dort fort und etablierte sich als Lehrerin, Pianistin und Organistin. 1932 gewann sie mehrere Wettbewerbe, u.a. mit ihrem größten Werk, der “Symphonie in e-moll”, die am 15. Juni 1933 mit dem Chicago Symphony Orchestra uraufgeführt wurde.
Bis zu ihrem Tod im Jahr 1953 hatte sie über 300 Musikstücke fertiggestellt: vier Symphonien, vier Konzerte, sowie Chorwerke, Kunstlieder, Kammermusik und Musik für Soloinstrumente. Die Kunstlieder und spirituellen Arrangements von Price wurden häufig von bekannten Künstlern der damaligen Zeit aufgeführt. So sang die Altistin Marian Anderson Prices spirituelles Arrangement “My Soul’s Been Anchored in de Lord” in ihrem berühmten Auftritt am Lincoln Memorial in Washington am Ostersonntag, dem 9. April 1939. Später wurde dieses Lied auch regelmäßig von Leontyne Price (nicht verwandt mit der Komponistin) in ihren Konzerten gesungen. Nach ihrem Tod im Jahre 1953 ließen die Aufführungen jedoch nach. Seit geraumer Zeit hat aber das Interesse für ihre Kompositionen wieder zugenommen.
Marian Anderson: https://youtu.be/gP6n-DQWGKE
Leontyne Price: https://youtu.be/4mqFgNcwZ8Y
Ihr Musikstil ist eine Mischung aus neo-romantischer klassischer europäischer Musik mit Einbeziehung afroamerikanischer Idiome wie Spirituals und Tanzrhythmen, wie dem Juba-Tanz. Das südliche Erbe von Price hatte einen offensichtlichen Einfluss auf ihre Arbeit, wie die Titel einiger ihrer kürzeren Arbeiten andeuten: “Arkansas Jitter”, “Bayou Dance” und “Dance of the Cotton Blossoms”.
Sie hat eine Reihe sehr schöner “Art Songs” komponiert.
“My dreams”: Thomas Hampson: https://youtu.be/lLbhy03VgXE
“Night”: Louise Alder: https://youtu.be/T94QBrk4D8k
Als kleine Zugabe empfehle ich von Florence Price die “Four Encore Songs”, vier sehr kurze Lieder voller Humor.
Das erste Lied des Zyklus (“Tobacco”) endet mit dem Satz, der meine Bewertung der Melodien der hier vorgestellten Komponisten aus den Vereinigten Staaten wunderbar wiedergibt:
“I like it!”
Jean Nico Schambourg, 14. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schammis Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Sonntag.
Jean-Nico Schambourg, Jahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, regelmäßig am Sonntag.
Daniels vergessene Klassiker Nr 20: Amy Beach – Sinfonie in e-Moll – „Gaelische Sinfonie“
CD-Rezension: Rising, Lawrence Brownlee klassik-begeistert.de 13. Mai 2023