Krzysztof Urbański. Foto: Sabrina Ceballos
Das brüderliche Klavierduo Lucas und Arthur Jussen bringen den frischen Frühling in die Kölner Philharmonie. Unter dem Dirigenten Krzysztof Urbański läuft das WDR Sinfonieorchester und auch das Publikum am heutigen Abend zur Hochform auf.
Kölner Philharmonie, 12. Mai 2023
Lucas und Arthur Jussen, Klavier
WDR Sinfonieorchester
Leitung: Krzysztof Urbański
Felix Mendelssohn Bartholdy
Ouvertüre zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ op. 21
Konzert E-Dur für zwei Klaviere und Orchester
Zugabe:
Igor Roma „Strausseinander“. Bearbeitung von Melodien aus der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß für zwei Klaviere
Sergej Prokofjew
Suite aus dem Ballett „Romeo und Julia“
zusammengestellt aus den Ballett Suiten Nr. 1 op. 64a, Nr. 2 op. 64b und Nr. 3 op. 101 von Krzysztof Urbański
von Petra und Dr. Guido Grass
Das heutige Konzert widmet sich – passend zum Wonnemonat Mai – ganz und gar der Jugend, und dies auf vielfachen Ebenen.
Der Dirigent Krzysztof Urbański, schlank und groß gewachsen, tritt beschwingten Schrittes auf die Bühne. Urbański hat nach seiner Ausbildung an der Fryderyk-Chopin-Universität für Musik in Warschau schnell international Karriere gemacht. Dem Trondheim Symfoniorkester, dem er bis 2017 vorstand, ist er als Ehrengastdirigent weiterhin verbunden. Seit letztem Jahr wirkt er beim Orchestra della Svizzera italiana als Erster Gastdirigent. Seitdem sein Vertrag als Musikdirektor des Indianapolis Symphony Orchestras ausgelaufen ist, hat er seinen Wirkungskreis nochmals vergrößert. Viele große Orchester, von der New York Philharmonic bis zu den Berliner Philharmonikern, heißen ihn regelmäßig willkommen.
Urbański dirigiert grundsätzlich ohne Partitur, einerseits konzentriert er sich hierdurch ganz auf die Musik, andererseits spart er während der Proben Zeit, wie er einmal in einem Interview ausführte.
Auch heute leitet er das erste Werk des Abends, Mendelssohns Ouvertüre zu „Ein Sommernachtstraum“, auswendig.
Mendelssohn schrieb die Ouvertüre zu „Ein Sommernachtstraum“ als 17-Jähriger, nachdem ihn die Lektüre der Shakespeare’schen Komödie in den Bann gezogen hatte. Sie gehört zu seinen meistgespielten Werken. Doch so frühlingshaft und leicht wie heute ist sie selten zu hören.
Nach den ersten vier Akkorden der Bläser lässt Urbański die Violinen in feinem Pianissimo beginnen. Leise scheinen die Elfen durch die nächtliche Sommerluft zu flirren. Den langen Taktstock führt er mit ökonomischer Schlagtechnik. Mit der linken Hand, seiner Mimik und Körpereinsatz führt er das Orchester durch die aufwühlenden Gefühle der Sommernacht. Offensichtlich macht sich gute Probenarbeit bezahlt: Das Orchester gestaltet die Motive des sogenannten Rüpeltanzes präzise, detailliert, mit klaren Akzenten und Dynamik.
Die vier Bläserakkorde des Beginns schließen das Werk, grundiert vom warmen, weichen Hörnerklang. So wie die Elfen erschienen sind, so lässt Urbański sie auch in die laue Nacht entschweben.
Frisch – fröhlich – frei: Die Jussen Brüder springen auf die Bühne
Lucas und Arthur Jussen sind trotz ihres jungen Alters fest etabliert in der Klassikwelt. Sie gehören zu den wenigen festen Klavierduos. Lucas, gerade erst 30 geworden, ist der ältere der beiden Brüder. Beide stürmen sportlich auf die Bühne und – nach kurzem Händeschütteln mit dem Konzertmeister – zum Klavier.
Was ins Auge fällt: Beide, Arthur mehr als Lucas, begleiten den emotionalen Ausdruck der Tastentöne durch Bewegung und Mimik. Anders als bei manch anderem Pianisten wirkt dies jedoch nicht aufgesetzt oder gar als Versuch, von mangelnder Emphase im Spiel abzulenken. Vielmehr spürt man wie innig die beiden verbunden sind, sich in- und auswendig kennen und auf der Bühne verständigen. Hierdurch entsteht diese bemerkenswerte Homogenität des Klangs, den die Brüder den ineinander verschränkten Flügeln entlocken.
Sehr schön perlen bei beiden im ersten Satz die exponierten, von der großen Oktave in den Diskant führenden Läufe. Egal ob die Motive von einer Klavierstimme zu anderen wechseln oder schnelle Figuren gemeinsam gespielt werden, wären es nicht so viel Noten und würde man es nicht sehen, man könnte glauben, nur ein Klavier würde spielen, perfekte Harmonie.
Gute Abstimmung besteht auch mit und im Orchester. Urbański muss sich hierbei nur selten durch Augenkontakt mit den Solisten verständigen. Die sich über den gesamten ersten Satz aufgebaute unterschwellige Spannung führt zur Kulmination. Der aufkommende große Applaus des Publikums ist hier durchaus angebracht.
Ein anderer Charakter herrscht im Adagio non troppo vor, dem zweiten Satz. Die Solopartien der beiden Klaviere stehen hier ganz im Vordergrund. Angemessen zurückhaltend wird hier das Orchester angeleitet. Hell klingende Farben entlocken die Jussen-Brüder mit geschicktem Pedal ihren Instrumenten.
Auch im dritten Satz gelingt die Abstimmung zwischen den Klavieren und dem Orchester vorbildlich. Mit sichtlicher Freude und Spaß gibt Urbański federnde Akzente, die die Musik zusammenhalten.
Das Publikum spendet der erfrischenden Interpretation und allen Musikern großen Beifall.
Die Solisten bedanken sich mit Igor Romas „Strausseinander“, einer ebenso witzigen wie herausfordernden, geradezu halsbrecherischen Bearbeitung von Melodien aus der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß für zwei Klaviere. Hier zeigen Lucas und Arthur Jussen noch einmal ihr gesamtes Können. Kein Wunder, dass es das Publikum zum Applaus nicht auf den Stühlen hält.
Urbański erdolcht Tybalt in Sergei Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“
Das Moskauer Bolschoi-Theater reagierte mehr als zurückhaltend, nachdem der Komponist Auszüge am Klavier vorgestellt hatte. Zu kompliziert die Musik, zu viel Piano würden das Werk untanzbar machen. Doch Prokofjew glaubte an sein Ballett und kämpfte hierfür. Er extrahiert einzelne Stücke hieraus und fasst sie in zunächst zwei Suiten so zusammen, damit sie konzertant dargeboten werden können. Aufführungen im Rundfunk machten das Werk nach und nach so populär, dass es schließlich 1938 vollständig uraufgeführt werden konnte, wenn auch im tschechischen Brünn.
Viele Dirigenten folgen in diesem Sinne einer von Prokofjew selbst gegründeten Tradition, wenn sie unterschiedliche Stücke des Balletts in einer eigenen Suite zusammenstellen. Krzysztof Urbański bedient sich am heutigen Abend aus den Ballett-Suiten Nr. 1 op. 64a, Nr. 2 op. 64b und Nr. 3 op. 101.
Wie in der Suite Nr. 2 beginnt er mit der Vorstellung der beiden verfeindeten Parteien, den Montagues und Capulets. Mit massivsten Schlägen auf die große Trommel und den Pauken lässt er keinen Zweifel aufkeimen, dass der Konflikt ernst wird. Die gewaltige Spannung entlädt sich im Orchester, das er nun mit großen und ausladenden Gesten führt.
Umso wirksamer ist damit der Kontrast zum anschließenden Morgen. Im Piano pianissimo lassen die Violinen die Straße sanft erwachen.
Die Stücke sind durchaus rhythmisch vertrackt. In kleinster Detailarbeit spielen die verschiedenen Instrumentengruppen tänzerische Figuren, während die Streicher die Melodien fließen lassen.
Urbański spannt lange dynamische Bögen und akzentuiert zugleich die einzelnen Motive. Dies ergibt eine fabelhafte Mikrodynamik. Liebevoll und zugleich voller Emphase erklingen im Blech die Sehnsuchtsmotive in der Balkonszene. Herrlich wie sich auch hier die Streicher im Pianissimo verabschieden.
Tybalts Tod bildet den dramatischen und musikalischen Höhepunkt der Suite. In atemberaubendem Einklang bauen die präzise dahingeworfenen Tutti-Akzente eine unerträgliche Spannung auf. Mit dem zum Dolch erhobenen Taktstock sticht Urbański mit aller Kraft in Richtung der großen Trommel und den Pauken. Wuchtige Schläge vollstrecken den Tod Tybalts. Mehr Dramatik geht nicht.
Ist dies alles nur große Show? Nein, das Orchester wird zu Höchstleistungen angespornt; es ergibt alles musikalisch Sinn. Es sind keine billigen Effekte, die nur auf den Augenblick zielen. Orchester und Dirigent verlieren nie das große Ganze aus den Augen. Tief bewegt hören wir, wie die Hörner mit und zugleich gegen die Stimme der Trompeten kämpfen und sich hierin verweben.
Dieser hochdramatischen Passage setzt Urbański in seiner Suite zwei ruhigere Stücke entgegen. Im morgendlichen Ständchen lässt die Harfe, sekundiert vom ebenso sanft wie exakt spielendem Orchester, eine Fee auf einer Spieldose tanzen. Mit kleinen, zarten Gesten werden die Mädchen mit den Lilien zum Tanz geführt, gebettet auf den leisen Melodien der Violinen.
Doch noch einmal baut Urbański mit gewaltigen Eruptionen im Schlagwerk am Grabe Julias große Tragik auf. Auch das Blech lässt er hier von der Leine, das ihm mit Spielfreude in sauberer Intonation dankt.
Auch wenn das Ballett kein Happy-End hat, findet dies heute in anderem Sinne in der Kölner Philharmonie statt. Gebannt lauscht das Publikum, den Atem anhaltend den letzten Tönen der im Pianissimo ersterbenden Suite. Stille. Stille.
Die „Huster von Köln“ sind berüchtigt, doch heute hat das WDR Orchester diese mit hoher musikalischer Leistung und Spannung zum Schweigen gebracht: kein Gehüstele und Räuspern zwischen den Sätzen. Das Publikum gibt der Stimmung am Ende durch Schweigen Raum.
Entscheidenden Anteil an dieser Leistung hat der Dirigent des heutigen Abends, Krzysztof Urbański. Mit fein ausgearbeitetem Details und zugleich den großen Bogen haltend, gelingt ihm bei exakter Orchesterführung die Musik mit Emotion und Emphase zum Klingen zu bringen. Ein toller Abend.
Petra und Dr. Guido Grass, 14. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lucas und Arthur Jussen, Großes Interview, Konzerthaus Berlin
Lucas und Arthur Jussen, Klavier, Het Concertgebouw, Großer Saal, Amsterdam
Wiener Philharmonikern, Jakub Hrůša, Dirigent Kölner Philharmonie, 11. Mai 2023
Liebe Petra, lieber Guido,
was für eine ganz und gar fabelhafte Kritik, die ihr da geschrieben habt. Und wie schön, dass das WDR Sinfonieorchester endlich auch einmal wieder musikalisch glänzen konnte! Das habe ich ja bei einigen meiner letzten Rezensionen dieses Orchesters vermisst.
Mir ist allerdings nicht entgangen, dass sie mit Prokofjews „Romeo und Julia“ haargenau dasselbe aufgeführt haben, wie die Wiener Philharmoniker unter Jakub Hrůša nur einen Tag zuvor (ich hatte auch berichtet, vielleicht habt ihr den Beitrag ja gelesen – wenn nicht, findet ihr ihn hier):
https://klassik-begeistert.de/wiener-philharmonikern-jakub-hrusa-dirigent-koelner-philharmonie-11-mai-2023/
Euren Worten entnehme ich, dass sogar die Auswahl der Exzerpte aus Prokofjews Suite identisch war. Damit stellt sich mir natürlich jetzt die Frage: Ist das Absicht oder zufällige, besonders schlechte Planung? Oder der Wunsch, dasselbe Erlebnis einem Publikum zu liefern, dass sich die bis zu 200 € für die Wiener Aufführung sparen will? Es trägt in diesem Fall jedenfalls dazu bei, dass Prokofjews Romeo und Julia noch weiter ausgelutscht wird. So wunderbar Prokofjews Musik ist – selbst bei einem großen Meister führt zu viel Wiederholung irgendwann zu Ermüdung. Und in Köln spielt man ja laufend immer nur dasselbe.
Aber gut – Parallelaufführungen kann man auch machen, wenn es unbedingt sein muss. Dann muss man sich aber auch Fragen stellen und das tut man hier in Köln wohl nicht. Denn spannend wäre ja z.B. eine Gegenüberstellung der Aufführungen gewesen. Leider aber sperren sich die Konzertbetreiber in Köln inzwischen durch die Bank weg, eine Doppelberichterstattung zuzulassen, womit sie sich bei immer leerer werdenden Sälen ins eigene Knie schießen. Bei teuren Gastorchestern verstehe ich das noch, bei subventionierten Orchestern des Öffentlichen Rundfunks ist mir so eine Knickrigkeit aber völlig unverständlich. Und ein Statement, warum man sich in einen so direkten Vergleich zu einem Orchester von Weltklasse begibt, gab es wohl auch nicht, wenn ich eure Rezension richtig lese? Wo ist denn dann der Mut beim WDR? Was macht diese Aufführung anders, spezieller, besuchenswert im Kontrast zur Konkurrenz vom Vortag?
So schleicht sich bei mir der Eindruck als Fazit ein, dass man hier versucht, sich im Ruhm der großen Meister Prokofjew und Wiener Philharmoniker zu sonnen, was als Zeichen gedeutet werden könnte, dass man nicht auf eigenen Beinen steht…
Vielleicht sehe ich das zu kritisch. Aber mir stellt sich schon die Frage, ob man beim WDR echt so schwach aufgestellt ist, dass man das wirklich nötig hat?
Daniel Janz
Lieber Daniel,
vermutlich ist wegen der Programmierung niemanden ein Vorwurf zu machen. Die Orchester planen sehr langfristig. Zumal ein Gastdirigent dem WDR Sinfonieorchester vorstand, wäre es wohl auch kaum möglich gewesen, einfach auf einen anderen Termin zu tauschen. Ähnliches dürfte auch für die Wiener Philharmoniker gelten, die auf der Tour die Stücke fest einprogrammiert haben. Im Übrigen waren die am Donnerstag bzw. am Freitag dargebotenen Suiten nicht identisch, wie sich aus den Programmheften ergibt. Die Dirigenten haben sich etwas unterschiedlich aus den Suiten bedient. Anders als Hrůša berücksichtigte Urbański hierbei auch beispielsweise die dritte Suite. Dass eine Darbietung von Romeo und Julia ohne Tybolts Tod, ohne Romeo am Grabe Julias etc. unvollständig wirken würde, liegt in der Natur der Sache. Selbstverständlich tauchen folglich diese Werkteile in jeder Zusammenstellung auf. Es wäre vielleicht einer genauen Analyse wert zu schauen, wie sich die durch die Wahl der Stücke und deren Reihenfolge andere Wirkungen und Deutungen ergeben.
Dennoch können wir Deinen Einwurf nachvollziehen, dass eine Programmierung des gleichen (wenn auch nicht desselben) Stücks an unmittelbar aufeinanderfolgenden Tagen vielleicht unglücklich ist, Absicht war sie aber sicherlich nicht.
Guido und Petra