Foto: Hofstallgasse auf dem Festspielgelände in Salzburg © Salzburger Festspiele / Kolarik
Er ist der Salzburger schlechthin. Wolfgang Amadeus Mozart ist das Aushängeschild der Stadt. Mit ihm macht man Kasse. Teilweise schamlos und ohne Rücksicht: An allen Ecken findet man Souvenirs mit seinem Konterfei. T-Shirts, Kühlschrankmagneten und natürlich Mozartkugeln, wohin das Auge blickt. Original von Mirabell, nachgemachte aus Wien oder sogar als Sonderedition. Handgemacht. Um den doppelten Preis. Den blättert man in Salzburg auch beinahe auf den Tisch, wenn man Zutritt zu einem der Festspielhäuser finden will. Zumindest im Vergleich zu anderen Großstädten. Dafür wird aber einiges geboten.
von Jürgen Pathy
Cecilia Bartolis Triumph
„Der Villazón, eh klar – a Kasperle“. Clown wollte er auch werden. Ob das den Herrschaften im Parkett rechts, Reihe 9, so auch bewusst ist, sei mal dahingestellt. Zum Kommentieren finden sie jedenfalls genug. Im lupenreinen Kärntner-Dialekt, der sich hier unter viele andere mischt. Deutsche zieht es zu Pfingsten natürlich zuhauf nach Salzburg. Kein Wunder, ist doch die Grenze nicht mal einen Katzensprung von der Festspielstadt entfernt. Rund 50% der Festspielgäste kommen aus dem großen Nachbarland.
Auf dem Programm steht: „L’anima del filosofo“, Joseph Haydns Version von Orpheus und Eurydike. Diesen mythischen Stoff hat Cecilia Bartoli als Schwerpunkt der diesjährigen Pfingstfestspiele gesetzt. In Doppelfunktion ist sie hier zu erleben. Als Intendantin, zu der sich die quirlige Römerin seit 2012 berufen fühlt und natürlich in ihrer Paradedisziplin – als Koloraturen schwingende und agile Sängerin, die sich mit bald 58 Jahren noch immer nicht verstecken muss. Alleine ihretwegen rechtfertigt sich jeder Kilometer, den man mit dem Zug von Wien nach Salzburg zurückgelegt hat.
Ihr großer Trumpf im Ärmel: Wie man einen energiegeladenen Ton im Piano mühelos, scheinbar endlos halten kann. Damit lässt sie einem noch immer den Atem stocken. Auch wenn die Dame rechts von mir, ungefragt ihren Unmut kundtut. „Die Sängerin, die hat mich nicht so begeistert“. Rolando Villazón, der hat es ihr hingegen angetan. Der zeigt sich an diesem Tag auch wirklich in Hochform, in „good shape“, wie es der ein oder andere Fachmann nennt. Seinen Zenit, den hat der gebürtige Mexikaner ja schon länger überschritten. Von Stimmproblemen an diesem Samstagnachmittag kaum eine Spur. Thomas Hampson komplettiert die großen Namen.
Mozart hat man aus Salzburg vertrieben
Ein Starauflauf also, mit dem man das Festspielpublikum natürlich in Scharren anzieht. Da können nur wenige Veranstalter mithalten. Das hat schon alles Hand und Fuß, was man hier in Salzburg künstlerisch regelmäßig aufzieht. Nur eine Frage kreist einem da durch den Kopf, während man so durch die überfüllte Innenstadt spaziert. Vorbei am Mozarthaus, wo man an den Kassen Schlange steht. Oder durch die Getreidegasse, wo einem vor Mozarts Geburtshaus asiatische Touristenmassen den Weg versperren: Was hat das alles noch mit Mozart am Hut? Wo in dieser Stadt spürt man denn noch wirklich seinen Geist?
Um ehrlich zu sein: An wenigen Plätzen, wenn nicht sogar nirgendwo. Zumindest während der Festspielzeit. Vielleicht muss es einen dafür einmal außerhalb der Saison ins „Kaff“ an der Salzach verschlagen, wie Helga Rabl-Stadler, die ehemalige Präsidentin der Festspiele die Stadt einmal liebevoll bezeichnet hat. Abseits von den Ferienzeiten, wo generell die Verkehrsadern und die Stadt zum Bersten überfüllt sind. Obwohl man von den Kellnern, die in den Schanigärten alle Hände voll zu tun haben, immer nur hört: „Das ist ja alles noch halb so wild – kommen Sie mal zur Festspielzeit!“ Damit meinen sie natürlich den Sommer.
Die Pfingstfestspiele scheinen also noch nicht zu allen durchgedrungen zu sein. Dabei gibt es sie bereits seit 1973. Herbert von Karajan – wer denn sonst, könnte man meinen – hatte sie ins Leben gerufen. Um ganz im Sinne der Gründerväter zu agieren. „Alljährlich im Sommer, dann und wann aber auch zu anderen Zeiten, etwa um Weihnachten, oder sonst im Winter, auch zu Ostern und Pfingsten“, sollten die Salzburger Festspiele stattfinden. Das hatte Hugo von Hofmannsthal bereits 1919 geschrieben.
Vielfalt führt zum Erfolg
Mozart stand damals schon nicht alleine am Programm. Im Gegensatz zu Bayreuth, der anderen Festspielhochburg, wo man sich mit Richard Wagner nur einem Komponisten verschrieben hat. Bei den Salzburger Festspielen ist das alles etwas anders. Da definiert man sich nicht nur rein über Mozart. Muss man auch nicht. Die Salzburger Festspiele stehen als Marke völlig eigenständig da. Abgekoppelt vom größten Sohn der Stadt, den man hier doch ein wenig vergeblich sucht.
Die unwiderstehliche Anziehungskraft des Festivals ist dennoch schnell erklärt. Weltklasse und Elite alleine sind es nicht. Die findet man auch an anderen Orten. Was Salzburg aber von Wien oder München unterscheidet: Die lockere Atmosphäre, die auf dem ganzen Festspielgelände herrscht.
Intendant Markus Hinterhäuser mischt sich hier nach den Vorstellungen ebenso regelmäßig unters Volk wie Dirigent Gianluca Capuano, der zuvor noch leicht und luftig durch Haydns Partitur geglitten ist. Im „Triangel“, dem Kultwirten ums Eck, stößt dann auch noch Rolando Villazón hinzu. Max Reinhardt – auch wenn ich diese Redewendung hasse – hätte durchaus seine Freude gehabt. Sein Ausspruch „Die ganze Stadt ist Bühne“ wird hier tatsächlich zur Realität. Bei den Salzburger Festspielen ist man nämlich mittendrin, statt nur dabei. Mit oder ohne Mozart, das tut dann letztendlich nichts zur Sache.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 28. Mai 2023, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“
Christoph Willibald Gluck, Orfeo ed Euridice Haus für Mozart, Salzburg, 26. Mai 2023
Gioachino Rossini, Il barbiere di Siviglia Salzburger Pfingstfestspiele, 5. Juni 2022
Richard Wagner, Tannhäuser Großes Festspielhaus Salzburg, 9. April 2023
Eine traumhafte Kulisse der Kultur und der Kunst, dazu passt die Einmaligkeit der musikalischen Kapitänin, die mit ihrem Schiff einen Walzer auf der Salzach tanzt. Sowas gibt es nur in Salzburg.
Gisela Lange