Weniger ist oft mehr: Der Barbier von Sevilla überzieht bei den Salzburger Pfingstfestspielen

Gioachino Rossini, Il barbiere di Siviglia  Salzburger Pfingstfestspiele, 5. Juni 2022

Foto: Il barbiere di Siviglia bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2022 © Monika Rittershaus

Salzburger Pfingstfestspiele, 5. Juni 2022

Gioachino Rossini, Il barbiere di Siviglia,

Commedia in zwei Akten (1816)

Libretto von Cesare Sterbini nach dem Schauspiel Le Barbier de Séville ou La Précaution inutile (1775) von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais

von Jürgen Pathy

Once upon a time. Wer denkt, es handle hier von einem Italowestern oder einem Film der Goldenen Ära Hollywoods, der liegt nicht ganz falsch. Bei den Salzburger Festspielen hat man Rolando Villazón damit beauftragt, den Barbier von Sevilla neu zu inszenieren. Das Ergebnis: Ein Pointe jagt die andere, während sich Figaro und Rosina mit Nosferatu, Frankenstein oder dem Paten konfrontiert sehen. Das mag anfangs noch lustig sein, ermüdet aufgrund der nicht mehr enden wollenden Gags irgendwann und endet beim Gedanken: „Muss das jetzt wirklich auch noch sein!“

Dabei ist vieles wirklich gelungen: Das Bühnenbild und die Kostüme, die Harald B. Thor und Brigitte Reiffenstuel auf die Bühne des Hauses für Mozart gezaubert haben, lässt die großen Klassiker Hollywoods wirklich zu Leben erwachen. Die nahtlosen Übergänge, bei denen die Realität mit der Fiction des Films verschmilzt, sind technisch einwandfrei gelöst. Dazu ein paar Hints:

Arturo Brachetti, ein italienischer Verwandlungskünstler, ist eine Art pantomimer Archivar auf einem Set in Hollywood. Während er so in den Tag hineinträumt, werden seine Helden von der Leinwand plötzlich Realität. Was anfangs nur mit zwei drei Galionsfiguren beginnt, mündet letzten Endes in einer Schlacht zwischen Samurais und wilden Barbaren. Mitten drin statt nur dabei, die Protagonisten, die Villazón in Rossinis opera buffa allerlei Unfug treiben lässt. Wem das ein wenig zu weit geht – kein Wunder.

Dem Festspielpublikum gefällt’s. So was Geniales haben sie schon lange nicht mehr erleben dürfen, freuen sich die beiden älteren Damen rechts von mir. Links, die etwas verschlossenere Lady amüsiert sich anscheinend ebenfalls köstlich. Ex-Festspielchefin Helga Rabl-Stadlers Reaktionen, drei Reihen vor mir, sind schwer zu erkennen. Plácido Domingo, der ebenfalls nicht unweit mitten im Parkett unter den Zuschauern weilt, quotiert die Gesangsleistungen mit undurchschaubarer Zurückhaltung. Davon wenig in Sicht auf der Bühne.

Feuer und Flamme

Großes Kino liefert Cecilia Bartoli, die als Rosina vor allem wegen ihrer unbändigen Energie und quirligen Ader in den Genuss des Salzburger Zuspruchs gelangt. Dass sie einen Tag zuvor ihren Geburtstag gefeiert hat, erfährt man, weil Gianluca Capuano am Ende des Spektakels seine Musiker zu einem Ständchen fordert. Natürlich, wie könnte es nach diesem Barbiere anders sein, genauso außergewöhnlich wie zuvor. Selten hat man die Ouvertüre derart klar und hell gehört, wie vom Mailänder, dessen Orchester Les Musiciens du Prince – Monaco danach wohl das Maximum an Esprit und Elan aus ihren historischen Instrumenten geholt haben.

Danach wohl eher Glut statt Brandgefahr. „Die Stimme der Bartoli hat damals anders geklungen“, stößt mir zu Ohren. „Gut möglich“, erwidere ich. Damals, das war im Sommer 2021, ebenfalls in Salzburg, bei der unaussprechlichen Oper von Händel: „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“.  Obwohl die Stimme noch immer glüht, wie die Fans ihrer Heimat für den dort ansässigen Traditionsklub AS Roma, sind der hell timbrierten Mezzosopranistin die Koloraturen auch schon mal geschmeidiger aus dem Hals gerutscht. Das Salzburger Publikum sieht es ähnlich.

Größten Zuspruch erhält ein anderer. „Viel zu selten sieht man ihn nur noch“, bedauern die Damen rechts neben mir. „Vielleicht, weil er jetzt ne junge Freundin hat“, bemerkt ein Opernliebhaber aus Wien. Wie auch immer: Der Hoffnung, dass Ildebrando D’Arcangelo sich in Zukunft weniger rar macht, der schließe ich mich gerne an. Selten hat man einen derart virilen Bass erlebt, der sich als Basilio selbst für keine Persiflage seiner eigen Figur zu schade ist. Edgardo Rocha, der als Graf zum Ende hin so richtig Fahrt aufnimmt und mit geschmeidiger Leichtigkeit durch Rossinis Belcanto-Labyrinth zu sausen vermag, erntet ähnliche Fürsprache. Ob er zu Beginn den ein oder anderen hohen Ton nicht getroffen haben soll, wie ich der Salzburger Nacht entnehmen konnte, ist mir entgangen. Dazu ist der Barbiere nicht unbedingt meine Lieblingsoper.

Nach Salzburg gereist, bin ich hauptsächlich der Bartoli wegen. Dass die letztlich nur etwas mehr Applaus erfuhr als der durchaus als wuchtiger Figaro in Erinnerung bleibende Bariton Nicola Alaimo, sagt dann schon viel über die Kenntnis des Salzburger Publikums aus. Davor ziehe ich meinen Hut!

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 6. Juni 2022, für klassik begeistert.de
und klassik-begeistert.at

Giacchino Rossini, L’italiana in algeri, Cecilia Bartoli, Salzburger Pfingstfestspiele

Konzert zu „Stille Rebellen“ – Polnischer Symbolismus um 1900 München, Herkulessaal, 1. Juni 2022

CD-Rezension: Cecilia Bartoli, UNRELEASED, klassik-begeistert.de

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