Lady Macbeth von Mzensk leidet, liebt und mordet im Haus am Ring

Dmitri Schostakowitsch, Lady Macbeth von Mzensk  Wiener Staatsoper, 31. Mai 2023

Foto: Wiener Staatsoper © Michael Pöhn

Zum Schluss wurden die Sängerinnen und Sänger vom Publikum im fast ausverkauften Haus ausgiebig gefeiert, ebenso Chor, Orchester und Dirigent. Ein Abend, der mir in Erinnerung bleiben wird! Wer die Oper nicht im Haus am Ring sehen und hören kann, sollte sie zumindest
am 12. Juni im Livestream der Staatsoper verfolgen.

Wiener Staatsoper, 31. Mai 2023


Dmitri Schostakowitsch

Lady Macbeth von Mzensk

Dirigent: Alexander Soddy
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper

Boris Ismailow: Günther Groissböck
Sinowi Ismailow: Andrei Popov
Katerina Ismailowa: Elena Mikhailenko
Sergej: Dmitry Golovnin

von Dr. Rudolf Frühwirth

Zur Zeit läuft in Wien die Wiederaufnahme der „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitri Schostakowitsch. Die Premiere der Produktion liegt schon eine Weile zurück, über 13 Jahre. Ich kannte die Oper nur in der stark bearbeiteten Fassung als „Katerina Ismailowa“, die die Staatsoper in den späten 1960er-Jahren zeigte. Trotz einer erlesen Besetzung – Schöffler, Zadek, Dermota – hinterließ das Werk damals keinen bleibenden Eindruck bei mir.

Wie anders diesmal! Die Urfassung ist eine aufregende und aufwühlende Oper, deren Stoff und die zu ihrer Zeit radikal avantgardistische Musik die Zuhörer erschüttern und zutiefst verstören muss. Die szenisch wie musikalisch schonungslose Darstellung von Mord, Polizeigewalt und Deportation löste bei Stalin eine vom Komponisten vermutlich nicht erwartete Reaktion aus: die Oper wurde in der „Prawda“ heftig angegriffen, was einem Aufführungsverbot gleich kam, und Schostakowitsch musste fortan um sein Leben bangen. Er überlebte glücklicherweise den bald darauf beginnenden Terror; andere Künstler, wie etwa der ihm eng verbundene Regisseur Meyerhold, wurden ermordet oder in die Arbeitslager geschickt, wo viele von ihnen elend zugrunde gingen.

Die Oper kann natürlich in erster Linie als Kritik an den im Zarenreich herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen gelesen werden. Ob Schostakowitsch ahnte, dass ähnliche, noch viel schlimmere Zustände in Stalins Sowjetunion ausbrechen würden, muss dahingestellt bleiben. Er bemühte sich ganz offensichtlich, die Hauptfigur Katerina nicht nur als Täterin, sondern auch als Opfer ihres familiären und sozialen Umfelds zu begreifen, vor allem als Opfer ihres brutalen, kontrollsüchtigen Schwiegervaters Boris. Er entschuldigt oder beschönigt die Morde keineswegs, aber er macht sie verständlich.

Im letzten, höchst ergreifenden Bild, auf dem Weg in die Zwangsarbeit, wird die Reue, die Katerina empfindet, in der Musik wunderbar ausgedrückt. Sie ist auch neben dem alten Zwangsarbeiter die einzige Person, die noch Mitleid empfinden kann. Der unfassbar herzlose Verrat ihres Liebhabers Sergej, der dieses Mitleid ohne Bedenken ausnützt, treibt sie zur ultimativen Verzweiflungstat, einem letzten Mord, gefolgt von Selbstmord.

Die Musik zur Oper ist ein stetiges Wechselbad der Emotionen. Schostakowitsch verstand es, wie vor ihm vielleicht nur Gustav Mahler, extreme Gegensätze wie die Sehnsucht und den Liebeshunger der Protagonistin mit gewaltigen Orchestereruptionen und parodistischen Elementen zu einem faszinierenden Ganzen zu verschmelzen. Die Musiksprache ist im Vergleich zu Mahler freilich weit fortgeschritten.

Tonale Passagen wechseln mit solchen freier Tonalität und gelegentlich ausgesprochener Atonalität, vor allem in den ausgedehnten Zwischenspielen. Der Walzer des Boris zu Beginn des zweiten Akts ist eine geniale Parodie, ebenso das Tänzchen des Popen nach Boris’ qualvollem Ableben. Bei der Eifersuchtsszene vor dem Mord am Ehemann Sinowi war ich mir nicht ganz sicher, ob Schostakowitsch sie als solche oder als Parodie komponiert hat; das jähe Umschlagen in tödlichen Ernst war für mich einer der eindrucksvollsten Momente der Oper. Die Szene in der Polizeistation ist szenisch wie musikalisch als Denunziation des Obrigkeitsstaates zu erkennen. Sie mag wohl 1936 zu Stalins erboster Reaktion beigetragen haben. Insgesamt bringt die Inszenierung von Matthias Hartmann die gewalttätigen wie auch die lyrischen und parodistischen Aspekte der Handlung sehr gut zu Geltung.

Elena Mikhailenko (Katerina Ismailowa) und Günther Groissböck (Boris Ismalow). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die Sängerinnen und Sänger meisterten die Herausforderungen der Partitur glänzend, allen voran Günther Groissböck als Boris. Er ist eine Idealbesetzung für die Rolle, gesanglich wie darstellerisch bot er eine großartige Leistung; die Selbstherrlichkeit und Unmenschlichkeit war in jedem Augenblick zu spüren. Elena Mikhailenko als Katerina gefiel mir zu Beginn nicht restlos, die Spitzentöne im ersten Bild klangen etwas forciert.

Im Lauf des Abends sang sie sich frei, und in den folgenden Bildern war an ihrer Interpretation nichts zu bemängeln. Das berührende Lied vom schwarzen See im Wald, mit dem sie im letzten Bild ihre Einsamkeit und Verzweiflung ausdrückt, bewegte mich tief. Der gehörnte Ehemann Sinowi hat eine recht undankbare Rolle, Andrei Popov füllte sie ansprechend aus. Der Liebhaber Sergej wurde von Dmitry Golovnin gesungen, klangschön, vielleicht eine Spur zu wenig expressiv.

Aus den übrigen Ausführenden möchte ich noch Maria Barakova als Sonjetka und Dan Paul Dumitrescu als alten Zwangsarbeiter hervorheben, die im letzten Bild zwei konträre Schicksale verdeutlichen: die kokette junge Frau, die noch nicht weiß, was sie erwartet, und der seinem Schicksal ergebene, hoffnungslose, von einer unbarmherzigen Gesellschaft zerstörte Gefangene.

Das Staatsopernorchester unter der Leitung von Alexander Soddy bot eine glänzende Leistung. Die orchestralen Zwischenspiele waren klanglich überwältigend. Dass Soddy sich auf expressionische Musik versteht, durfte ich schon in der von ihm in Wien dirigierten „Elektra“ bewundern.

Zum Schluss wurden die Sängerinnen und Sänger vom Publikum im fast ausverkauften Haus ausgiebig gefeiert, ebenso Chor, Orchester und Dirigent. Ein Abend, der mir in Erinnerung bleiben wird! Wer die Oper nicht im Haus am Ring sehen und hören kann, sollte sie zumindest am 12. Juni im Livestream der Staatsoper verfolgen.

Dr. Rudolf Frühwirth, 5. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dmitri Schostakowitsch, Lady Macbeth von Mzensk Staatsoper Hamburg, Dernière, 8. Februar 2023

Dmitri Schostakowitsch, Lady Macbeth von Mzensk, Bayerische Staatsoper

CD-Rezension: Günther Groissböck singt Richard Strauss, Gustav Mahler, Hans Rott klassik-begeistert.de, 16. November 2022

Ein Gedanke zu „Dmitri Schostakowitsch, Lady Macbeth von Mzensk
Wiener Staatsoper, 31. Mai 2023“

  1. 8. juni 2023 wiener staatsoper. überwältigend, erschütternd, musikalisch großartig. regie dem werk untergeordnet, sehr sehr gut.

    Elisabeth Anna

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