Im Haus für Mozart in Salzburg wird an diesem Abend „Le nozze di Figaro“ von Wolfgang Amadeus Mozart gegeben. Mit dieser Produktion schließen die Salzburger Festspiele den Mozart-da Ponte Zyklus ab.
Haus für Mozart, Salzburg, 30. Juli 2023
Wolfgang Amadeus Mozart
Le nozze di Figaro
Commedia per musica in vier Akten KV 492 (1786)
Libretto von Lorenzo Da Ponte nach der Komödie La Folle Journée ou Le Mariage de Figaro von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais
Wiener Philharmoniker
Continuo Hammerklavier Pedro Beriso
Continuo Violoncello Julian Barre
Musikalische Leitung Raphaël Pichon
Regie Martin Kušej
Bühne Raimund Orfeo Voigt
Kostüme Alan Hranitelj
Licht Friedrich Rom
Dramaturgie Olaf A. Schmitt
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Choreinstudierung Jörn Hinnerk Andresen
von Frank Heublein
Die für mich beeindruckendste Arie des Abends beginnt mit „E Susanna non vien!“. Adriana González als Contessa singt sie mit einem – nicht nur – mich betörenden Schmelz. Zärtlich, ängstlich, leidenschaftlich. Welch warmes rundes vollmundiges Timbre. Szenenapplaus. Adriana González’ Leistung überzeugt mich im gesamten Abend durch ihre Sicherheit und genau der richtigen Kraft. So offenbart sie mir die jeweilige Emotionalität des gesungenen Textes wunderbar.
Sabine Devieilhe singt die Susanna. Eine sehr anspruchsvolle Rolle. Sie hat von den Hauptrollen die wenigsten Pausen. Als Dauersängerin teilt sie sich die vier Akte stimmlich sehr gut ein. Im ersten Akt spart sie Kraftreserven auf. Ihr jederzeit wunderbar akzentuierter hell leuchtender Sopran gewinnt im Lauf der Oper an Intensität und Stärke. Im vierten Akt schenkt sie mir mit der Arie „Giunse alfin il momento“ einen Glücksmoment, den ich wohlig auskoste.
Bariton Andrè Schuen singt den Conte di Almaviva. Gekonnt setzt er seine souveräne stimmliche Kraft ein. Stimmlich toll transportiert er des Grafen depperte Lüsternheit, seine ständigen Versuche, Oberwasser und Herrschaftsanspruch darzustellen. Das gelingt ihm in den entscheidenden Situationen nicht. Einige Male kriecht er vor der Contessa zu Kreuze.
Bass Krzysztof Bączyk singt die Titelrolle, den Kammerdiener Figaro. Zu Beginn steht er ganz schön auf dem Schlauch. Es braucht, bis er die Lage peilt und im Grafen den Konkurrenten sieht, der dieser ist. Stimmlich hat Bączyk starke Präsenz, er füllt sonor den Raum, ist voll da in seiner Bauernschläue, die Susanna in die richtige Richtung zu lenken weiß.
Mezzosopranistin Lea Desandre schlüpft in die Hosenrolle des Cherubino. Gesanglich sticht mir das Terzett mit der Contessa und Susanna im zweiten Akt hervor. Drei Soprane, die sich auf das Schönste verschmelzen.
Mir gefallen die Ensembleszenen in den Aktfinalen sehr, in denen die Solisten und Solistinnen eine mich begeisternde harmonische Einheit ausformen. In dieser Oper müssen sich alle Männer der Intelligenz, Emotionalität und Schlauheit der Frauen beugen. Es gibt weder Denken noch zugewandte Empathie zwischen ihren Beinen. Das arbeitet da Ponte und Mozart wunderbar und klar heraus.
Raphaël Pichon unterstützt mit den Wiener Philharmonikern zu jeder Zeit und äußerst achtsam die Künstler auf der Bühne. Die Wiener Philharmoniker bilden das musikalische Rückgrat für die Sängerinnen und Sänger. Die beiden Continuos Pedro Beriso am Hammerklavier und Julian Barre am Violoncello werden einige Male bei geschlossenem Vorhang zu feinsinnigen Solisten oder exklusiven Duo.
Martin Kušej hat eine interessante Idee mit sich nach links und rechts verschiebenden Bühnenräumen. Allerdings unterstützt diese Idee nur genau einmal Anfang des dritten Aktes die Handlung. Sonst stiftet diese doppelte Handlung auf der Bühne in mir Verwirrung. Verschnellert es die Veränderung der Szenerie? Nein. Die geschaffene räumliche Umgebung unterstützt für mich zu keiner Zeit die Handlung und handlungstreibenden Aktionen der Künstler und Künstlerinnen auf der Bühne. Zum Teil wirken die dargestellten Handlungen für mich kontraintuitiv und entgegen der gesungenen Aktionen.
Zwei Beispiele: Das Terzett zwischen der Contessa, Susanna und Cherubino gerät zur „Cherubino macht mit beiden Frauen rum und die mit ihm“. Für mich läuft das gegen den Gesang, durch den für mich klar wird, Cherubino steht voll auf die Gräfin. Oder: Warum in aller Welt bedrohen sich die Solisten und Solistinnen im Finale des zweiten Aktes mit Pistolen? Sie wollen sich doch kriegen, ein komplettes Vexierspiel zwar, wer wen und was das auch immer ein- oder ausschließt mag. Aber sich mit der Waffe bedrohen? Ich mach mir keinen Reim drauf. Oft an diesem Abend schüttle ich den Kopf: diese Inszenierung enttäuscht mich auf der ganzen Linie.
Das Publikum feiert im Schlussapplaus viele der Sängerinnen und Sänger genauso zu Recht wie den Dirigenten Raphaël Pichon und die von ihm geleiteten Wiener Philharmoniker. Ein Nebenaspekt möchte ich nicht unerwähnt lassen: die deutschen Übertitel sind schwungvoll direkt und wie ich finde sehr amüsant weit entfernt von einer zwar direkten doch hölzernen Libretto-Übersetzung.
Musikalisch ein mich erfüllender Abend!
Ich habe alle drei Produktionen des Mozart-da Ponte Zyklus in Salzburg gesehen und auf klassik-begeistert auch über die beiden anderen Produktionen berichtet. Lesen Sie meine Eindrücke zu Così fan tutte und Don Giovanni.
Frank Heublein, 31. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Il Conte di Almaviva Andrè Schuen
La Contessa di Almaviva Adriana González
Susanna Sabine Devieilhe
Figaro Krzysztof Bączyk
Cherubino Lea Desandre
Marcellina Kristina Hammarström
Bartolo Peter Kálmán
Basilio Manuel Günther
Don Curzio Andrew Morstein
Barbarina Serafina Starke
Antonio Rafał Pawnuk
Le Nozze di Figaro, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart Wiener Staatsoper, 11. März 2023 PREMIERE
Wolfgang Amadeus Mozart, „Le nozze di Figaro” Öffentliche Probe, Theater Lübeck, 16. Januar 2023
Wolfgang Amadeus Mozart, Le Nozze di Figaro Staatsoper Hamburg, 15. Juni 2022