Im Kontrast verliert sich der musikalische Fluss

Wolfgang Amadeus Mozart, „Don Giovanni“,  Großes Festspielhaus, Salzburg, 10. August 2021

Schlussapplaus: David Steffens (Masetto), Michael Spyres (Don Ottavio), Vito Priante (Leporello), Davide Luciano (Don Giovanni), Nadezhda Pavlova (Donna Anna), Federica Lombardi (Donna Elvira), Anna Lucia Richter (Zerlina), Mika Kares (Il Commendatore), Ensemble © SF / Marco Borrelli

Großes Festspielhaus, Salzburg, 10. August 2021

Wolfgang Amadeus Mozart, „Don Giovanni“

von Frank Heublein

Im vollen Festspielhaus in Salzburg wird heute die Neuinszenierung des Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart gegeben. Die musikalische Herangehensweise ist eine radikale. Teodor Currentzis ordnet den Orchesterklang radikal den Stimmen unter. Trotz der hörbaren Qualität von Orchester und Stimmen bleibt mein innerer Gesamteindruck blass.

Die Rezitative höre ich auf ganz andere Art, spannend! In den sehr leisen und sehr reduzierten Orchesterklängen entwickelt sich durch das eher antwortende und weniger das Rezitativ unterlegende Orchester eine Art zweite Dialogebene für mich.

In den Arien ist es der Kontrast, den Currentzis betont: Singt die Stimme, gibt das Orchester nur sehr sanften musikalischen Halt. Umso auffälliger und eben im starken Kontrast höre ich die Stellen reinen Orchesterklangs.

In manchen Arien der Damen funktioniert dieses Prinzip für mich. Sopran Nadezhda Pavlova als Donna Anna nuanciert stimmlich sehr fein in „Or sai chi l’onore“ (Nun weißt Du, wer mir). Im zweiten Teil in „Non mi dir, bell’idol mio“ (Sag mir nicht, mein Geliebter) überzeugt sie mit sehr ausdrücklicher klarer und eindrucksvoller Koloratur.

Federica Lombardi als Donna Elvira sorgt mit den beiden Arien „Ah fuggi il traditor“ (Ah flieh vor dem Betrüger) und „Mi tradì quell’alma ingrata“ (Der Undankbare hat mich betrogen) für zwei besondere Momente. Ihre ausdrucksvolle Sopranstimme berührt mein Inneres und nimmt mich mit in ihren emotionalen Zwiespalt, Don Giovanni zu lieben und zugleich zu wissen, was für ein gewissenloser Fraueneroberer er ist.

Vito Priante (Leporello), Davide Luciano (Don Giovanni)
© SF / Ruth Walz

Mezzosopran Anna Lucia Richter weiß als Zerlina in „Batti, batti, o bel Masetto“ (Schlag mich, mein schöner Masetto) und „Vedrai, carino“ (Du wirst sehen, Lieber) zu überzeugen. Warm und lyrisch wickelt ihre Stimme Masetto und zugleich mich ein.

Don Ottavio trägt als einziger der Hauptfiguren merkwürdige Kostüme. Der Sinn dahinter wird mir nicht offenbar. Diese ziehen die Figur für mich entstellend ins Lächerliche. Handelnd ist Don Ottavio treu und brav stets an der Seite Donna Annas. Michael Spyres ist die einzige Tenorstimme des Stücks. Die auf Kontrast angelegte schwache Orchesterunterfütterung schwächt die stimmliche Präsenz dieser Figur ab. Was nicht an seiner Stimme liegt. In allen Männerstimmen funktioniert für mich das erwähnte musikalisch gewählte Prinzip nicht so, dass mich die musikalische Gesamtdarstellung emotional mitreißen oder überzeugen würde.

Don Giovanni als Figur funktioniert für mich in dieser Inszenierung nicht. Davide Luciano überzeugt mich an diesem Abend zweimal. In „Deh vieni alla finestra, o mio tesoro“ (Ach komm ans Fenster mein Schatz) zeigt der Bariton sein ausgefeiltes lyrische Können, umschmiegt mich stimmlich.

Ensemble © SF / Monika Rittershaus

Und einmal ist alles anders. Das Orchester wird fast auf Bühnenniveau gehoben. Stroboskoplicht. Davide Luciano singt Don Giovannis Arie „Fin ch’han dal vino“ (Solange der Wein) furios, hier spielt das Orchester in eindringlicher Intensität. Das ist der einzige Augenblick, in dem Don Giovannis grenzenlose Gier zum Ausbruch kommt. Doch verschwindet Davide Luciano hinter dem hervorgehobenen Orchester, das unter Lichtblitzen sehr viel Aufmerksamkeit in diesem Moment auf sich zieht.

Sonst fehlt mir stimmlich die gierig draufgängerische Komponente. Davide Lucianos Don Giovanni wirkt auf mich weder brachial noch zeigt er ungebremste Wucht. Ich vermisse diabolisch schamlose Ruchlosigkeit. Die Figur bleibt für mich blass, etwa wenn er versucht, Zerlina im ersten Akt für sich zu gewinnen. Die Dramatik der Handlung wird im Wesentlichen durch die Hauptfigur gesteuert. Diese auf mich emotional zu übertragen, gelingt nur an wenigen Stellen.

Bariton Vito Priante als sein Diener Leporello bestreitet viele Duette mit seinem Herren Don Giovanni. Die Dynamik und Dramatik, die Art und Weise wie der Herr seinen Diener instrumentalisiert, ist für mich musikalisch nicht nachspürbar.

Durch den radikalen musikalischen Ansatz bleibt das Stück in den einzelnen Nummern gefangen. In mir entsteht kein musikalischer Fluss, keine die Oper tragende Dynamik, die den drängenden Impuls des Don Giovanni, die nächste Frau zu verführen, auf mich übertragen würde.

Die Inszenierung trägt aus meiner Sicht im ersten Akt praktisch nichts zur Illustration der Handlung bei. Bombast, der nicht eingesetzt wird, nichts mit dem Stück zu tun hat. Ein – ich glaube echtes – Auto, ein Rollstuhl und ein auf jeden Fall echtes Pianoforte fallen krachend vom Bühnenhimmel. Die beiden ersteren sind einfach irgendwann weg. Das Pianoforte immerhin dient dem Don Giovanni zum Spiel. Ab und an fallen auch Basketbälle herunter. Allerlei Staffage wie Hunde, eine Ziege, eine Ratte, Dürers Zeichnung des Hasen werden auf der Bühne eingesetzt. Viele Male denke ich für mich: Wo ist der Bezug zum Inhalt der Oper?

Die inszenatorische Klammer, noch vor der Ouvertüre wird ein Kircheninnenraum abgebaut, der am Ende mit umgedrehtem Kreuz als Heimstätte Don Giovannis widerkehrt, wirkt nicht in mir. Im zweiten Teil ziehen an die hundert Frauen und Mädchen in unterschiedlichen sich bewegenden Formationsanordnungen über die Bühne. Nur manches Mal scheint inhaltliche Funktion auf, etwa wenn ich darin die Äonen der Frauen erkenne, die Don Giovanni verführt hat. Für mich trägt die Regie insgesamt sehr wenig dazu bei, die Opernhandlung zu unterstützen.

Ich habe heute Stellen in Don Giovanni neu und spannend gehört. Insgesamt vermisse ich den musikalischen Fluss. Die Haupttriebfeder des Stücks, die sexuelle, in den Abgrund führende Gier des Don Giovanni, wird durch das eingesetzte musikalische Prinzip viel zu stark ausgebremst.

Frank Heublein, 13. August 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

Programm

Wolfgang Amadeus Mozart, “Don Giovanni”

Besetzung

Don Giovanni              Davide Luciano

Il Commendatore      Mika Kares

Donna Anna                Nadezhda Pavlova

Don Ottavio                Michael Spyres

Donna Elvira             Federica Lombardi

Leporello                    Vito Priante

Masetto                      David Steffens

Zerlina                       Anna Lucia Richter

 

Dirigent                                 Teodor Currentzis

MusicAeterna Orchester und Chor

Regie, Bühne, Kostüme und Licht         Romeo Castellucci

Choreografie                      Cindy Van Acker

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