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NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER / MARTIN JAMES BARTLETT / JONATHAN BLOXHAM
NDR Elbphilharmonie Orchester
Martin James Bartlett Klavier
Jonathan Bloxham Dirigent
Benjamin Britten
Young Apollo op. 16
Felix Mendelssohn Bartholdy
Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56 »Schottische«
Elbphilharmonie, 24. September 2023
von Harald Nicolas Stazol
„Each new morn New widows howl, new orphans cry, new sorrows
Strike heaven on the face, that it resounds
As if it felt with Scotland and yelled out Like syllable of dolor.“ (4.3.4–8)
Macbeth
„Schottland, immer wieder Schottland“ rief Henry IV auf der Bühne in Weimar, 2002, den ewigen Unruhestifter jenseits des Hadrianwalls bezeichnend, – das weiß ich, weil ich in der Stadt Goethens war, um meinen damaligen Freund, Patrick Güldenberg, als bald ermordeten König von England zu sehen.
Und so bereist ein blutjunger, 20-jähriger Felix Mendelssohn-Bartholdy eben die Stätten Maria Stuarts, und komponiert derweilen: „In der tiefen Dämmerung gingen wir heut nach dem Palaste, wo Königin Maria gelebt und geliebt hat. […] Der Kapelle daneben fehlt nun das Dach. Gras und Efeu wachsen viel darin, und am zerbrochenen Altar wurde Maria zur Königin von Schottland gekrönt. Es ist alles zerbrochen, morsch und der heitere Himmel scheint hinein. Ich glaube, ich habe heute da den Anfang meiner Schottischen Symphonie gefunden.“
Scheint mir und meinem treuen Elphi-Knappen Gregory auch so gerade, beim 1. Satz, den Jeremy Bloxham gerade dirigiert, ja fast diktiert, der reinen Sonatenform wegen, die Mendelssohn erst 13 Jahre später seiner Feder entfliessen lässt, – diese Sinfonie gilt als sein Meisterstück. Warum?
Weil man Schottland sehen, schmecken und riechen kann. Der majestätische 1. ruft Edinburgh Castle geradezu herauf, über der Stadt thronend, – ich weiß es, weil ich 1998 dort war, um David Mamet zu interviewen, während des „Edinburgh Festivals“ zudem, samt Feuerspuckern und Bänkelsängern, immer im Zeichen der „Maria Stuart“ von Stefan Zweig:
„Sechs Tage ist Maria Stuart alt, da sie Königin von Schottland wird: bereits im ersten Anfang erfüllt sich ihr Lebensgesetz, alles zu früh und ohne wissende Freude vom Schicksal geschenkt zu erhalten. An dem düsteren Dezembertag 1542, da sie im Schlosse von Linlithgow geboren wird, liegt gleichzeitig in dem nachbarlichen Schlosse zu Falkland ihr Vater, James V., auf dem Sterbebette, erst einunddreißig Jahre alt und doch schon vom Leben zerbrochen, der Krone müde, des Kampfes müde.
20 Jahre ist Felix alt, als er Holyrood Palace besucht, dort, wo Marias 2. Mann, Harold, Lord Darnley von aufrührerischen Schotten in die Luft gesprengt wird, sie haben Pulverfässer unter des Prinzgemahls und Nichtsnutzes Gemächern gestapelt…
Man sieht, hört, riecht die Glens und Lochs und die Highlands und den ewig wechselnden Himmel, und auch einen Volkstanz im 2., es ist fast, als folge man den Reisespuren des Komponisten.
Und das mitten in Hamburg um 16.00 MESZ.
Mit dem Aufführungstermin ist es so eine Sache – findet man sich doch nach dem Kompaktkonzert noch im Lichte des frühen Abends, nach dem Five-o’clock Tea jedenfalls, sodass ich Greg noch zum Dinner einladen kann – ohne den Schweinemagen Haggis allerdings, doch einen Glenfiddich hab ich noch da – man muss ja im Thema bleiben? Es ist eine nebulöse Zwischenzeit.
Nun gut, man darf das beste Orchester der Stadt vielleicht nicht an der Aufnahme der Berliner unter Karajan messen – aber warum eigentlich nicht? Denn Bloxham liefert gerade einen Bartholdy 2.0.
Aber sehen wir und doch einmal das Gekritzel im Notizbuch an: „weitausholend, stets mit halb durchgedrückten Knien, einmal mit dem Fuß aufstampfend (Beinarbeit!), lässt dem Orchester freie Hand bald, bald zieht er die Zügel an. Zu elegisch?“
Zu elegisch? Das mag das ausverkaufte Haus anders sehen, und niemand klatscht in die schottische Atmo hinein, hat Mendelssohn doch „attacca“ vorgeschrieben, also keine Pause zwischen den 4 Sätzen seiner 3. – Boxham in ALLEM werktreu, doch modern, und ich höre, bis mir jemand den Gegenbeweis nahebringt, die grünen Wiesen und High Cliffs, die schottischen Naturgewalten, die Hirschjagden der McArthurs und McDonalds, nur eben in Jetztzeit und -Tempo – und man begreift, warum Elisabeth II. auf Balmoral sterben wollte, und es auch tat.
Seltsamer und wundersamer Weise ist dies auch ein britischer Nachmittag, steht doch zuvörderst Benjamin Britten auf dem Programm, dessentwegen es mir ÄUSSERST schwer fällt, Begleitung zu finden, zunächst. Als ich sage, dass Britten mit seinem Lebensgefährten, dem Tenor-Mirakel Peter Pears, er schreibt ihm ganze Lied-Zyklen, davon dann in meiner noch zu schreibenden Britten-Serie, nun also im Jahr 1956 das sexuell restriktive England flieht, in die Staaten. Und als Gregory den Grund erfährt, „Britten war schwul? Ich komme!!!“ – da ist mir wohl ums Herz, und sowohl Klavier und Streichquartett plus Streichorchester, die Crème de la Crème des NDR Elbphilharmonie Orchesters, und des halt recht eigentlich nur rasante Läufe spielenden Martin James Bartlett, (was heißt da „nur“?) den „Young Apollo“ in op.16, noch ganz melodisch also, noch in Elgar-Tradition, aber, wenn man genau lauscht, der Benjamin Britten, an dem sich die Geister scheiden, in Sonderheit jener meines besten Freund Jan, er bahnt sich schon an.
„Das Werk wurde von der Canadian Broadcasting Corporation in Auftrag gegeben und 1939, kurz nach Brittens Ankunft in den USA, fertiggestellt. Es trägt als Epigraph die letzten Zeilen von Hyperion, einem unvollendeten Gedicht von John Keats, das Werk wurde aber von „Wulff“ Scherchen (der sich später John Woolford nannte) inspiriert, Sohn des Dirigenten und Komponisten Hermann Scherchen und Brittens Muse, Vertrauter sowie erstes romantisches Interesse.“
Also sieben Minuten reine Adoration!
Gott, muss er den Mann geliebt haben!
Harald Nicolas Stazol, 25. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
DVD-Rezension: Benjamin Britten, A Midsummer Night’s Dream klassik-begeistert.de, 31. August 2023