Elena Guseva (Cio-Cio-San) (Foto RW)
Und nur das real existierende Kind erklärt dem Publikum hinreichend das lange Warten auf den Geliebten und das Zurückweisen des optisch imposanten Bewerbers Yamadori. Cio-Cio-San steigert sich am Ende in einen Liebeswahn hinein, was Suzukis Worte „arme Butterfly“ als Hinweis auf ein Seelenleiden von Cio-Cio-San neuen Sinn gäbe. Dazu steht der Text aber im Gegensatz. Denn der Konsul Sharpless hätte sich mit Butterfly sicher nicht über ein eingebildetes Kind unterhalten.
Giacomo Puccini
Madama Butterfly, japanische Tragödie in drei Akten
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Dirigent: Alexander Joel
Inszenierung: Vincent Boussard, Bühnenbild: Vincent Lemaire,
Kostüme: Christian Lacroix
Staatsoper Hamburg, 24. Januar 2024
von Dr. Ralf Wegner
Seit 2012 gibt es diese Inszenierung der Butterfly. Die alte in den Bühnenbildern von Alfred Siercke und der Inszenierung von Ulrich Wenk hatte davor 50 Jahre lang gehalten. Sie zeigte japanisches Lokalkolorit und entsprach genau den Vorgaben des Librettos und einer um das Jahr 1900 angesiedelten und damals offensichtlich modernen Handlung.
Eine Verlegung dieser Oper in das Jeanszeitalter (Butterfly trägt in der jetzigen Fassung nach dem ersten Akt Jeans und Pullover) bringt unzweifelhaft Probleme mit sich. So ist es schwer vorstellbar, dass sich eine moderne Japanerin entgegen aller weisen Ratschläge so in eine rosarote Liebesblase einhüllt wie die Butterfly in der Inszenierung von Vincent Boussard an der Hamburgischen Staatsoper.
Es wird in einem Einheitsbühnenbild, einer großen, nach oben offenen weißen Kiste mit einer Art Mohnblumentapete gespielt. In der Mitte des Raumes führt eine geländerlose Wendeltreppe von der Unterbühne nach oben und durchbricht dort noch die Decke. Was sich oberhalb dieses Raumes befindet, erklärt sich nicht. Denn niemand nutzt diese Treppe, um nach oben zu gelangen. Nur Cio-Cio-San stieg manchmal bis auf gefährliche drei Meter Höhe, um von dort in das Publikum zu singen. Alle Gäste kamen von unten hoch und verließen die Räumlichkeit auf demselben Wege.
Als ich diese Inszenierung 2015 zum ersten Mal sah, empfand ich die Interpretation, Cio-Cio-San als seelisch Kranke zu sehen, die sich ihr Kind nur einbildet (im Hintergrund wird zeitweilig ein Schrank mit Kinderpuppen geöffnet, in den auch eine nach dem Bilde Pinkertons gefertigte Figur hineingestellt wird) als durchaus bemerkenswert. Die damalige Sängerin der Partie, Alexia Voulgaridou, legte die Partie auch entsprechend mit einem hypernervösen Bewegungsmuster an.
So interessant die Interpretation mit einer seelisch kranken Protagonistin auch ist, so wenig funktionierte dieses Konzept mit der Musik. Puccinis Komposition spricht von der Mutterliebe. Und nur das real existierende Kind erklärt dem Publikum hinreichend das lange Warten auf den Geliebten und das Zurückweisen des optisch imposanten Bewerbers Yamadori. Cio-Cio-San steigert sich am Ende in einen Liebeswahn hinein, was Suzukis Worte „arme Butterfly“ als Hinweis auf das Seelenleiden von Cio-Cio-San neuen Sinn gäbe. Dazu steht der Text aber im Gegensatz. Denn der Konsul Sharpless hätte sich mit Butterfly sicher nicht über ein eingebildetes Kind unterhalten.
Von dieser Inszenierungsidee war bei der jetzigen Aufführung nicht mehr viel nachgeblieben, jedenfalls interpretierte Elena Guseva die Cio-Cio-San nicht im Sinne einer seelisch Abgleitenden, sondern wie in der alten Inszenierung als liebende Frau, die ihr Kind dem Vater lässt und sich, um ihre Ehre gebracht, suizidiert. Allerdings konnten wir das Ende von unserem seitlichen Platz aus nicht sehen. Cio-Cio-San verschwand im Hintergrund, möglichweise durch eine sich öffnende und helles Licht einfallen lassende Tür.
Guseva, die derzeit große Rollen singt wie Mimì und Aida in München, Elisabetta in Dresden oder Tosca am Moskauer Bolschoi-Theater, verfügte über eine strahlkräftige, stets sicher über dem Orchester liegende und in der Höhe schön aufblühende Stimme, während die Mittellage eher uncharakteristisch blieb und nicht ausreichend Schmelz zeigte. In den dramatischen Passagen überzeugte sie aber stimmlich und ebenso im darstellerischen Spiel.
Eher leidenschaftslos blieb das Liebesduett am Ende des ersten Aktes. Das mag auch an dem erst zwei Stunden zuvor für Robert Watson eingesprungenen Tenor Stefano La Colla gelegen haben. Watson wurde angesagt, er hätte sich um 17:15 Uhr beim Einsingen dazu entschieden, nicht auftreten zu können. La Colla, der aktuell für Il Trittico probt, hatte sich dann trotz der kurzen verbleibenden Zeit bereit erklärt, die Rolle des Pinkerton, den er hier schon gesungen hatte, zu übernehmen.
La Colla und Guseva sangen sich nicht liebevoll an, sondern zeigten beide, was sie an Schalldruck emittieren können. Das war zwar beeindruckend, ging aber nicht unter die Haut, wie es in den alten Inszenierungen Hellen Kwon mit ihrer Zauberstimme und ihren Partnern Jean-Pierre Furlan, Mikhail Davidoff oder Massimiliano Pisapia immer wieder gelungen war. Natürlich sang La Colla gut, mit mehr Vorbereitungszeit hätten beide Protagonisten vielleicht auch zu einem beeindruckenderen Duett zusammengefunden. Auf jeden Fall war es höchst lobenswert, dass sich der Tenor so schnell zur Übernahme der ja eigentlich undankbaren Partie bereit erklärt hätte.
Die weiteren Rollen waren gut besetzt, so konnte der 38 Jahre alte italienische Bariton Simone Piazzola als Konsul Sharpless mit seiner kräftigen, legatofähigen, sensibel modulierenden Stimme einen schönen Erfolg beim Publikum einfahren. Der noch zum Hamburger Opernstudio gehörende polnische Bariton Mateusz Lugowski beeindruckte mit seiner optischen Erscheinung und einer strahlkräftigen Stimme als sich um Cio-Cio-San bemühender Fürst Yamadori, so dass man sich fragte, warum sein Werben nicht erhört wurde. Ida Aldrian sang Suzuki, schönstimmig, aber mitunter zu leise. Andrew Dickinson erwies sich als gut hörbarer und sehr gut spielender Heiratsvermittler Goro, Tigran Martirossian als stimmlich verlässlicher Onkel Bonzo.
Alexander Joel leitete das Philharmonische Staatsorchester umsichtig und entlockte dem Graben schöne Töne, ein beeindruckendes Zwischenspiel und einen knallharten Schluss. Besonders fesselte Jesper Tjoerby Korneliusen mit seinen auf- und abbrausenden Wirbeln an der Pauke. Das wohl auch wegen des durch die Stadt fegenden Sturmes nicht so zahlreich erschienene Publikum reagierte begeistert auf die Leistungen der der Protagonisten sowie des Orchesters unter Joel.
Dr. Ralf Wegner, 25. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giacomo Puccini, Madame Butterfly Bregenzer Festspiele, Seebühne Bregenz, 20. Juli 2023 Premiere
Giacomo Puccini, Madama Butterfly Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 12. Januar 2023
Giacomo Puccini, Madame Butterfly, Wiener Staatsoper, 16. September 2019