Ambrogio Maestri als Falstaff, Metropolitan Opera New York © Bengt Nyman
Wieso bin ich jedes Jahr in der Fastenzeit inspiriert über Gesang und Essen zu schreiben? Dieses Jahr befasse ich mich mit dem Essen in Opern. Getrunken wird fast in jeder Oper und viele bekannte Trinklieder werden angestimmt. Dagegen wird eher selten gegessen. In manchen Opern lädt man die Gäste zwar zum Speisen ein, geht dazu aber von der Bühne.
Zumindest vor den Augen des Publikums ist Essen nicht alltäglich. Auch kenne ich keine Oper, wo jemand an einem falschen Bissen stirbt! In einigen Werken spielt Essen, auch wenn nicht immer direkt ersichtlich, dennoch eine wichtige Rolle. Einige davon sind hier aufgeführt.
Warnhinweis:
Vegane Leser seien vor dem Verschlingen dieses Artikels gewarnt: Es geht (fast) immer um Fleisch oder Fisch!
von Jean-Nico Schambourg
Der bekannteste Vielfraß und Zecher der Operngeschichte ist der von Shakespeare erfundene Falstaff! In Giuseppe Verdis Oper “Falstaff” erfahren wir Details darüber, was Falstaff und seine Kumpanen verschlingen: “sechs Hühner (…) drei Truthähne (…) zwei Fasane, eine Sardine”. Kein Wunder, dass der Geldbeutel leer ist und der Ritter sich an die betuchten Damen Alice Ford und Meg Page heranmachen muss. Zu seinem Leidwesen waren die Damen in jenen Jahren aber noch nicht emanzipiert und nicht willig, die Rechnung zu zahlen. Am Schluss der Oper geht die ganze Gesellschaft mit Falstaff zum Dinner.
Eine große Zeche zu bezahlen hat am Ende im “Rosenkavalier” von Richard Strauss der Baron Ochs von Lerchenau. Dabei wollte er doch “nur” das Zimmermädchen Mariandel, bei einem Rendezvous in einem preiswerten Ein-Sterne-Hotel, verführen. Die ganze Aufregung, die er an dem Abend durchlebt, schlägt ihm dabei fürchterlich auf den Magen. Er hat die “Kongestion”! Schließlich muss er unvollendeter Dinge abziehen: ohne Essen und ohne Mariandel!
Sein Essen unterbrechen muss auch Scarpia in Puccinis “Tosca”. Ist er deshalb so grantig und aufgebracht gegen Cavaradossi, lässt ihn foltern, in den Kerker werfen und schließlich erschießen? “La povera mia cena fu interrotta” (Mein armes Abendessen wurde unterbrochen) singt er. Zum Glück für Tosca war er noch nicht fertig mit dem Essen, denn sonst wäre der Tisch schon abgeräumt worden und sie hätte kein Messer gefunden, um sich den Angriffen Scarpias zu erwehren. Der Polizeichef stirbt schlussendlich erdolcht… mit leerem Magen!
Don Giovanni ist ein Lebemann. Er vernascht gute Speisen und Frauen jeden Alters, jeder sozialen Herkunft, jedes Aussehens. Zumindest tat er das früher, weil während der drei Stunden von Mozarts Oper blitzt er bei den Frauen dauernd ab. Aber Trinken und Essen lässt Da Ponte ihn bis zum Tode! Sein Diener Leporello versucht auch seinen Teil abzubekommen, wennschon nicht von den Frauen, dann zumindest vom leckeren Fasanen.
Dabei muss er aber schnell einsehen, dass Singen oder Pfeifen und gleichzeitig Essen nicht klappt. Don Giovanni selbst verdaut schlussendlich die Einladung zum Essen beim Commendatore nicht, der ihn in die Unterwelt hinabzieht. Dessen Speisen sind wahrscheinlich höllisch scharf. Aber, im Gegensatz zu Scarpia, verlässt der Lüstling wenigstens unsere Welt mit vollem Magen.
Man könnte denken, in den Opern des großen italienischen Komponisten und Gourmands, Gioachino Rossini, wäre manche Mahlzeit verarbeitet worden! Irrtum: Der Schwan von Pesaro scheint Musik und seine Liebe zum Essen strikt getrennt zu haben. Die Ausnahme findet man in seiner Oper “L’Italiana in Algeri”. Da wird Mustafà in einem Ablenkungsmanöver zum “Pappataci” ernannt. Der Träger dieses Ehrentitels muss nur essen, trinken, schlafen, schweigen! Was genau dem Tölpel zum Essen aufgetischt wird, ist nicht erwähnt bei Rossini! Ich nehme an, es sind Spaghetti und kein “Tournedos Rossini”!
Dass die Keller in Klöstern seit jeher gut gefüllt waren, weiß man auch ohne Oper. In der Operette “Les mousquetaires au couvent” (Die Musketiere im Kloster) von dem französischen Komponisten Louis Varney wird der Musketier De Brissac, verkleidet als Priester, von den Nonnen des Klosters mit üppigem Mahl verwöhnt: eine Lachsforelle, ein Mainzer Schinken begleitet von vier Rebhühnern, ein Kapaun aus Bresse und zum Schluss ein Hummer! Das Ganze natürlich reichlich begossen mit Champagner und den besten Weinen Frankreichs, Italiens und Spaniens.
Gabriel Bacquier: “Gris, suis-je gris, vraiment?” (Varney: “Les mousquetaires au couvent”)
Eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass man, gerade im Land der “Haute Cuisine”, in Bühnenwerken öfters vom Essen singt als anderswo. Jacques Offenbach war in diesem Sinne sehr produktiv. In seinen Werken besingt man zum Beispiel:
– gegrillte Koteletts und Kartoffel in “Pomme d’Api” (“Trio du grill”),
– Marmelade in “Vert-Vert” (“A toi toutes les confitures”),
– Pastete gefüllt mit Kalbfleisch und Schinken in “Geneviève de Brabant” (“Rondo du Paté”)
– “la choupe (soupe) au choux” (die Krautsuppe) in “La Rose de Saint-Flour”, inklusive Sprachfehler (“Chette marmite neuve”).
Offenbach verleiht auch mancher Figur lustige Namen angelehnt an Speisen: “Mme Poiretapée” (Frau Geschnittene-Birne), “Mme Madou” (Frau Meine-Süße), “Mme Beurrefondu” (Frau Geschmolzene-Butter), “Ciboulette” (Schnittlauch), “Croûte-au-Pot” (Topfkruste) in “Mesdames de la Halle”, “Crème fouettée” (Schlagsahne) in “La créole” (Die Kreolin), “Monsieur Choufleuri” (Herr Blühender-Kohl) in dem gleichnamigen Werk (im Deutschen besser bekannt als “Salon Pitzelberger”), “Frangipane” in “Coscoletto”, u.v.a.
In seiner Oper “Les brigands” (Die Banditen) lässt Offenbach die Banditen sich sogar als Köche verkleiden, um eine wohlhabende Gesellschaft einfacher auszunehmen! Diese Masche funktioniert bis heute in verschiedenen Fastfood-Lokalen!
Auch in deutschsprachigen Operetten wird geschmaust. In der “Fledermaus” ist Eisensteins letzte Mahlzeit vor dem Knast allerdings nicht in Musik festgehalten. Hier hängt es vom gastronomischen Geschmack des Regisseurs und des Interpreten des Eisensteins ab, was Adele im Restaurant nebenan bestellen muss. Frittatensuppe, Wiener Schnitzel mit Preiselbeermarmelade und Kaiserschmarrn dürften an sich dabei nicht fehlen. Verzehren tut Eisenstein dies üppige Menü allerdings nicht, da er von Dr. Falke auf die Soirée beim Prinzen Orlowsky eingeladen wird.
Weggeschmissen werden die Speisen nicht: nach Eisensteins Abgang taucht Alfred auf, um mit seiner geliebten Rosalinde nicht nur zu schmusen, sondern auch zu schmausen. Schon zu Lebzeiten von Johann Strauß war Verschwendung von Lebensmitteln verpönt.
In einer weiteren seiner Operetten gibt es Meeresfrüchte. Die “Frutti di mare” besingt Annina in “Eine Nacht in Venedig”. In ihren Fischernetzen fängt sie neben Fisch auch “Austern so saftig und frisch, Krevetten und Muscheln”, alles nur “frischeste Ware”. In ihren weiblichen Netzen verfangen sich neben Caramello, ihrem Liebhaber, auch dessen Chef, der Herzog Guido von Urbino.
In der “Bohème” bei Puccini ist das Menü im letzten Akt spartanischer: stinkender Fisch und altes, hartes Brot. Aber man hat das ganze Geld ja schon im zweiten Akt im Café Momus durchgebracht, mit “Crema”. Das tut der Lebensfreude der Künstler jedoch keinen Abbruch. Sie amüsieren sich trotzdem, frei nach dem Motto: “Hunger ist der beste Koch!” Aber Halt! Da bin ich in einer anderen Oper gelandet.
Dass Süßigkeiten ungesund für Kinder sind, erklären uns tagtäglich Ärzte und Nahrungsexperten in den modernen Medien. Vor vielen Jahren hat der Komponist Engelbert Humperdinck schon auf diese Gefahr hingewiesen in seiner Oper “Hänsel und Gretel”. Da wäre das viele Naschen den beiden Kindern fast zum Verhängnis geworden!
“Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert mir am Häuschen?” fragt die Hexe und will die beiden Naschkatzen selbst zu leckerem Lebkuchen verarbeiten. Mit Mandeln und Rosinen soll der dünne Hänsel noch schnell gefüttert werden, damit er auch zum Braten taugt. Zu Risiken und Nebenwirkungen von Zucker und Hexe befragen die Kinder aber nicht ihren Arzt, Ärztin oder die Apotheke, sondern handeln selbstständig und stoßen die Knusperhexe in ihren eigenen Ofen. Damit retten sie auch alle Lebkuchenkinder, die die Hexe schon vorher verbacken hatte.
Übergewichtigen Kindern von heute sei deshalb als Medizin, statt vieler Medikamente, einen Besuch in der Oper verschrieben, natürlich ohne Popcorn und Cola!
Bei Humperdinck heisst es am Schluss für Hänsel und Gretel: Happy End! Oder kulinarisch ausgedrückt:
“Ente gut, alles gut!”
Jean-Nico Schambourg, 18. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schammis Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Sonntag.
Jean-Nico Schambourg, Jahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, regelmäßig am Sonntag.
Schammis Klassikwelt 11: Kann denn Essen Sünde sein? klassik-begeistert.de, 5. März 2023