Klein beleuchtet kurz Nr 21: Das NDR Elbphilharmonie Orchester begeistert nicht nur mit Bruckners 9. Sinfonie

Klein beleuchtet kurz Nr 21: Das NDR Elbphilharmonie Orchester begeistert nicht nur mit Bruckners 9. Sinfonie  Elbphilharmonie, 1. März 2024

NDR Elbphilharmonie Orchester Hamburg; Foto: Patrik Klein

Elysium statt Te Deum – Manfred Honeck zaubert Bruckners „Unvollendete“ auf das Podium der Elbphilharmonie Hamburg

Wohin werden wir am Ende gehen? Diese Frage stellten sich sowohl Anton Bruckner als auch Samy Moussa. Daher ließ Manfred Honeck, seit nunmehr 15 Jahren Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra und gerne gesehener Gast in Hamburg, Moussas Werk „Elysium für Orchester“ der bombastischen letzten Sinfonie des Linzer Komponisten voranstellen. Oft wird statt des unvollendeten 4. Satzes das Te Deum Bruckners serviert. Zu recht brachte der Dirigent des Abends stattdessen zeitgenössische Musik an dessen Stelle.

Der in Berlin lebende kanadische Komponist Samy Moussa schrieb das 12 minütige Orchesterwerk 2021. Es wurde in Barcelona uraufgeführt und auch von Manfred Honeck danach erstmals in Deutschland dirigiert.

Die Pforten zum Jenseits wurden dann musikalisch geöffnet mit leuchtenden Streicherklängen und einer Harmonie, die immer wieder durch kleine Tonvariationen beeinflusst und gestört wurde. Es ertönten reinste b-Dur Klänge statt Moll und fließende Akkordwechsel mit einer faszinierenden Wirkung. Nach den viel zu kurzen 12 Minuten hatte man Bock, das Stück noch einmal zu hören. Großartig.

„Es scheint, die Neunte ist eine Grenze. Wer darüber hinaus will, muss fort. Die eine Neunte geschrieben haben, standen dem Jenseits zu nahe“ – so schrieb Arnold Schönberg über Gustav Mahler, der gestorben war, ohne je seine Neunte Symphonie gehört zu haben. Auch Anton Bruckner soll Angst vor der fatalen Zahl gehabt haben: „I’ mag dö Neunte gar net anfangen, i’ trau mi nöt“. Trotzdem begann er sehr bald nach Beendigung der Achten Symphonie mit seinen ersten Entwürfen. Insgesamt zog sich die Arbeit an der Neunten dann über den langen Zeitraum von 1887 bis 1896 hin und musste aufgrund des sich zunehmend verschlechternden Gesundheitszustandes des Komponisten immer wieder unterbrochen werden. Schließlich verstarb Bruckner während der Arbeit am vierten Satz.

Manfred Honeck, Gastdirigent beim NDR Elbphilharmonie Orchester; Foto: Patrik Klein

Das Gott gewidmete Meisterwerk blieb unvollendet. Der dreisätzige Torso war jedoch auch ohne ein Finale höchst beeindruckend. Das NDR Elbphilharmonie Orchester Hamburg hatte wieder einmal einen starken Abend. Gerade zu Beginn mit besonders sphärischem Klang und dem typischen Brucknertremolo schwang es sich auf wie eine gigantische Orgel. Die Ursuppe, aus der die Welt entstand, wurde fast im gesamten ersten Satz omnipräsent. Die melodische Gestaltung mit dem Hauptthema roch akustisch nach Richard Wagner, dessen Bewunderer Bruckner immer war. Einstimmig und wuchtig kam es aus dem riesigen Instrument auf dem Podium. Auf die Spitze getriebene Entstehungsdramatik wurde dem Scherzo und der Übersteigerung bruckner’scher Methodik im zweiten Satz vorangestellt. Rhythmische Bewegungen in den Bässen kamen vor dem gemeinsamen Stampfen des Orchesters. Abstriche und Aufstriche bei den Streichern wirkten absolut synchron und aufregend. Im dritten Satz dann der Abschied und das Resümee des Lebens. Es machte sich eine Aura der Endgültigkeit breit mit schmachtenden Violinen. Das Orchester stieg bis zum Himmel auf wie bei Wagners Parsifal, wie in einem Klagegesang. Der Ausblick in die moderne Musik mit atonalem Klangfeld gelang meisterhaft.

Grandios!

NDR Elbphilharmonie Orchester
Dirigent: Manfred Honeck

Samy Moussa
Elysium für Orchester

Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 9 d-Moll

(c) Patrik Klein

Der Klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Nicht immer nimmt er sich Pressekarten im offiziellen Modus, sondern lauscht oder schaut privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei Klassik-begeistert – voller Leidenschaft – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – aber immer mit großem Herzen!

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