Die Oper Zürich bringt die „Csárdásfürstin“ auf eine Luxusjacht

Emmerich Kálmán, Die Csárdásfürstin  Opernhaus Zürich, 1. April 2024

Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Emmerich Kálmáns Meisterwerk „Die Csárdásfürstin“ kommt in der Inszenierung des Opernhauses Zürich (Jan Philipp Gloger) auf einer Luxusjacht daher, die stracks in den Schiffbruch rast und mit ihr die ganze Welt, die in einer gigantischen Nuklearexplosion untergeht.

Dazu die unvergängliche Musik Kálmáns, sehr, sehr viel (viel zu viel?) farbiger Klamauk, von tanzenden Pinguinen und Eisbären, kitschig in pseudofolkloristischer Manier verkleideten Südsee-Insulaner(innen), Inuit, die auf der letzten, schmelzenden Eisscholle auf ihren Untergang zutreiben, als thailändische Exotinnen verkleidete Nutten (als aktualisierte Version der in der Operette besungenen „Mädis vom Chantant“) – und überdies  (was dann doch manche Zuschauer als geschmacklose Pointe empfanden) ein prekäres Schlauchboot mit Flüchtlingen.

Schockierend, aufwühlend, aber musikalisch durchaus ein Gewinn (Musikalische Leitung: Lorenzo Viotti), wie man es nicht anders gewöhnt ist von diesem kleinen, feinen Opernhaus im Herzen Europas und der Schweiz.

Emmerich Kálmán
Die Csárdásfürstin

Operette in drei Akten von Emmerich Kálmán (1882-1953)
Libretto von Leo Stein und Belá Jenbach

Opernhaus Zürich, 1. April 2024

von Dr. Charles E. Ritterband

Was soll das Ganze? Nun, das Konzept dieser ungewöhnlichen, kompakten Inszenierung (die richtigerweise auf eine Pause verzichtet), ist intelligent – und es geht auf: Kálmáns muntere Operette entstand am Vorabend des (ersten) Weltuntergangs, 1914, und der Ausbruch des ersten Weltkrieges verhinderte nicht nur die Fertigstellung der Komposition dieses Werkes, sondern auch die Uraufführung, denn die Theater wurden geschlossen.
Die „Csárdásfürstin“ wird in den Theatern und Opernhäusern zumeist in farbiger, lebensfroher Harmlosigkeit aufgeführt – und bei den mitreißenden Klängen und den bunten Kostümen geht stets zweierlei verloren: Die bittere Ironie und die historische Dimension des Stückes. Denn es zeigt den jähen Untergang einer selbstverliebten aristokratischen Gesellschaft, die in unbekümmerter Arroganz über ihre Verhältnisse lebt und die Zeichen der Zeit ignoriert. Dabei sind die Warnsignale im Text der Operette mit aller Deutlichkeit enthalten: „Mag die ganze Welt versinken…“, „Hurra, man lebt ja nur einmal, und einmal ist keinmal“.

Die Luxusjacht auf der Bühne des Opernhauses Zürich befindet sich, ohne dass die beflissene Crew und die Champagnerglas-schwenkenden Passagiere sich dessen bewusst sind, auf „Kreuzfahrt in den Untergang“,  wie das klug verfasste Programmheft feststellt. Überdeutlich die unappetitliche Haltung der Passagiere, die nur an ihrer Liebelei und an ihrem aristokratischen Standesdünkel interessiert sind – und skrupellos die Zivilisationsabfälle ins Meer werfen. Kein Wunder, dass am Ende das Schiffswrack inmitten von schwarzen Abfallsäcken und Bergen von Plastikmüll gestrandet ist und die toten Möwen scharenweise vom Himmel fallen. Auf einem Video-Projektionsschirm ist dann der nukleare Weltuntergang zu sehen – ästhetisch wunderbar, aber von brutaler Endgültigkeit. Doch die muntere aristokratische Bootspartie reist weiter – ins Exil auf dem Mars.

Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Metapher statt Authentizität

Es wäre ein riskantes, ja geradezu unmögliches Unterfangen, die „Csárdásfürstin“ (oder die thematisch eng verwandte „Gräfin Mariza“) nach mehr als einem Jahrhundert und in Hunderten von Kilometern Distanz von den Schauplätzen Wien und Budapest „authentisch“ aufzuführen: In historischen Kostümen, mit harmlosen Graf-Bobby-Witzen etc. Manch eine Schweizer Bühne hat das versucht, das Publikum hat’s kritiklos goutiert – doch es war am Ende nur peinlich.

Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Das Opernhaus Zürich ist den richtigen Weg gegangen und hat jene weiße Luxusjacht als surreale Metapher für die Welt von heute, welche ebenso wie die Welt Kálmáns im Jahr 1914 vom Weltuntergang bedroht ist, auf die Bühne gestellt. Mit Humor und Charme, aber letztlich mit knallharter Konsequenz, wenn auch bisweilen zu penetrant moralisierend, was vor allem im ersten Teil zu manchen unnötigen Längen führt.

Die Idee des Couplets „Der alte Noah“  (vorgetragen mit etwas irritierendem aber vom Publikum als lustig empfundenen Schweizer Kabarettisten-Akzent)  passte gut in dieses Konzept: Die Arche Noah als Rettungsboot auf dem von höherer Macht angeordneten Weltuntergang als Sintflut. Dieses üblicherweise nicht in der „Csárdásfürstin“ zu hörende Stück stammt ebenfalls von Kálmán, der es für seine Operette „Die Faschingsfee“ 1915 komponiert hatte. Und es gab einen ausgezeichneten Vorwand her, um die köstlichen tanzenden Tiere auf die Bühne zu bringen – paarweise, versteht sich!

Csárdásfürstin, Schlussapplaus © Dr. Charles Ritterband

Hervorragende musikalische Leistungen

Bei aller zeitgemäßer Umdeutung – diese „Csárdásfürstin“ klang so, wie  sie klingen musste und wohl 1914 zu Zeiten des Komponisten geklungen  hatte. Jan Philipp Gloger am Dirigentenpult führte die Philharmonia Zürich mit Rasanz, aber mitunter wohl doch etwas zu lautstark in Kálmáns Operettenwelt.  Sängerisch herausragend Annette Dasch als derb-temperamentvolle Sylva Varescu, mit sattem Sopran.

Dr. Charles E.  Ritterband, 1. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Inszenierung: Jan Philipp Gloger
Musikalische Leitung: Lorenzo Viotti
Bühne: Franziska Bornkamm
Kostüme: Karin Jud

Sylva Varescu: Annette Dasch
Edwin: Pavol Breslik
Boni: Nathan Haller
Stasi: Rebeca Olvera
Feri: Martin Zysset
Fürst: Jürgen Appel

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