(Ensemble des Tannhäusers, Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin; Foto Patrik Klein)
Der ungarische Dirigent Levente Török machte sich an seinem Geburtstag sein schönstes Geschenk selbst – eine musikalische Meisterleistung
Mecklenburgisches Staatstheater, Schwerin, 13. April 2024
Man konnte nur den Kopf schütteln und sich fragen, was sich die Verantwortlichen in Schwerin dabei gedacht hatten, dieses Talent am Pult ziehen zu lassen. Seiner Karriere wird es nutzen, denn er bekommt ein großes ungarisches Orchester, das Miskolchi Szimfonikus Zenekar, als Chefdirigent unter seine Fittiche und wird Schwerin bald verlassen.
Erneut stellte sich die Frage, nach dem nun dritten Besuch des Tannhäusers in Schwerin, was macht es aus, wenn so ein Talent mit gerade mal 31 Jahren, er hatte zudem gestern noch Geburtstag, eine renommierte Staatskapelle zu Höchstleistungen bringt? Es ist dieser Drive, dieses Gespür für Tempi, für Spannung und Emotion, was man als Zuhörer wahrnimmt und was sich auf der Bühne zu den Solisten und zum Chor ausbreitet wie ein Tsunami. Das ist berührend, akzentuiert und klar. Man könnte meinen, dass das Orchester wie eine Lunge atmet, gar lebendig ist. Kaum ein Wagnerdirigent verhalf mir zu solchen Empfindungen bei einem Tannhäuser.
Levente Török stand am Pult, durfte mal wieder ran und tat es erneut in unfassbarer Manier. Das gesamte Orchester und Ensemble folgte ihm voller Energie und Musizierfreude. Was da aus dem Graben kam, hatte Zug, Dynamik, satten Klang, aber auch feinste schillernde Details, eine musikalische Idee und Richtung, war ein Ohrenschmaus an Tempowechseln, Phrasierungen und energiegeladenen Finessen. Es krachte im Blech, es flirrten die Saiten der Geiger, es schmetterten die Hörner und Pauken.
Wer da keine Gänsehaut bekam und sich ungläubig im Sessel räkeln musste, der war verloren wie eine andere Figur des Komponisten, der Fliegende Holländer, der immer wieder an Land kommend seiner Erlösung hinterher fluchte.
Das gesamte Ensemble funktionierte makellos, harmonierte und man spürte förmlich, dass alle an einem Strang zogen, spielten, sangen und ihr Bestes gaben.
In der großartigen und vielfach positiv besprochenen Inszenierung von Martin G. Berger waren die Partien wieder erstklassig besetzt, vom Titelhelden des Tannhäuser, herrlich gespielt und gesungen von Heiko Börner, über die stark auftrumpfenden Damen Elisabeth der Camila Ribero-Souza und Venus der Julia Rutigliano, dem Weltklasse Bariton Brian Davies, der den Wolfram von Eschenbach verkörperte und weiter bis in die kleinsten Rollen.
Die Regie brachte das Thema „Vernunft trifft auf Gefühl“ mit einleuchtender Aktualität hoch spannend, konsequent und mit minutiös geplanten Details auf die Bühne.
Als sich der Vorhang nach vier Stunden schloss, bejubelte das fast ausverkaufte Haus am Theatertag Schwerins eine erneut sensationelle Tannhäuser-Aufführung. Der Titelheld verkündete dann noch den Geburtstagsjubilar, dem schließlich ein fulminantes „Happy Birthday“ von allen im gesamten Haus gesungen wurde. So geht Musiktheater in Schwerin.
In der schönsten Opernkantine des Landes und im „Bolero“ wurde der Erfolg, der Geburtstag und die Zukunft mit einem kühlen Bier, einem feinen Wein und atemberaubenden Blick auf das Schweriner Schloss gefeiert.
Einer wird künftig fehlen.
Musikalische Leitung: Levente Török
Regie: Martin G. Berger
Bühne: Sarah-Katharina Karl
Kostüme: Esther Bialas
Video: Daniel M. G. Weiss
Choreinstudierung: Aki Schmitt
Dramaturgie: Philipp Amelungsen
Besetzung
Landgraf von Thüringen: Renatus Mészár
Tannhäuser: Heiko Börner
Wolfram von Eschenbach: Brian Davis
Walther von der Vogelweide: Marius Pallesen
Biterolf: Martin Gerke
Heinrich der Schreiber: Sebastian Köppl
Reinmar von Zweter: Young Kwon
Elisabeth: Camila Ribero-Souza
Venus: Julia Rutigliano
Ein junger Hirt: Hyewon Lee
Opernchor des Mecklenburgischen Staatstheaters
Extra-Chor
Mecklenburgische Staatskapelle
Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!